Rz. 154

Eine Fallgestaltung für die Verschiebung des Mutterschaftsgeldanspruchs wegen der unter Rz. 153 aufgeführten EG-Mutterschaftsrichtlinie liegt vor, wenn die Mutter

  • kein vom Arzt oder der Hebamme bzw. dem Entbindungspfleger ausgestelltes Zeugnis etc. über einen voraussichtlichen Entbindungstermin vorlegen kann und
  • in den letzten 6 Wochen vor der tatsächlichen Entbindung "in Verkennung der Phase der besonderen Schutzbedürftigkeit" noch gearbeitet hat.

In diesen Fällen beginnt der Anspruch auf das Mutterschaftsgeld mit dem Tag nach der letzten Arbeitsleistung bzw. mit dem Folgetag desjenigen Tages, für den Arbeitsentgelt/Arbeitseinkommen bezogen wurde (GR v. 06.12.2017-II i.d.F. v. 23.03.2022, Abschn. 9.4.3.1).

 
Praxis-Beispiel

Eine selbständig tätige Frau kann der Krankenkasse für die Zahlung von Mutterschaftsgeld nur die Geburtsurkunde (Entbindung am 21.6.), nicht aber ein Zeugnis nach § 24i Abs. 3 Satz 4, aus der sich das Datum der voraussichtlichen Entbindung ergibt, beibringen. Da sie nicht Arbeitnehmerin ist, wurde auch keine Arbeitgeberbescheinigung nach § 3 Abs. 1 Satz 3 MuSchG ausgestellt.

Der Säugling weist nicht die Merkmale einer "Frühgeburt" bzw. eines Kindes mit Behinderung (Rz. 148 f. und 150 ff.) auf.

Lösung:

Da die Krankenkasse über kein Zeugnis bzw. keine Bescheinigung über einen voraussichtlichen Entbindungstag verfügt, kann § 24i Abs. 3 Satz 3 nicht angewandt werden. Der Zeitraum, für den Mutterschaftsgeld zu zahlen ist, wird allein vom tatsächlichen Entbindungstag (21.6.) aus berechnet. Der Anspruch auf Mutterschaftsgeld besteht deshalb

  • für die Zeit vom 10.5. bis 20.6. (42 Tage vor dem 21.6.),
  • für den Entbindungstag (21.6.) und
  • für 56 Tage nach der Entbindung – also bis 16.8.

Fortsetzung des Beispiels:

Die Frau kann nachweisen, dass sie bis einschließlich 11.5. gearbeitet und Arbeitseinkommen erzielt hat. Sie erklärt, dass sie aufgrund der Angaben im Mutterpass erst am 23.6. mit der Entbindung gerechnet hat, sodass sie davon ausgegangen ist, dass für sie die Phase der besonderen Schutzbedürftigkeit erst am 12.5. begann.

Lösung:

Der Zeitraum für den Anspruch auf Mutterschaftsgeld verschiebt sich wegen Art. 8 Abs. 1 der EG-Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG um 2 Tage. Mutterschaftsgeld kann jetzt beansprucht werden

  • für die Zeit vom 12.5. bis 20.6. (40 Tage vor dem 21.6.),
  • für den Entbindungstag (21.6.),
  • für 56 Tage nach der Entbindung (bis 16.8.) und
  • für weitere 2 Tage – also bis 18.8.

Die Anwendung der EG-Richtlinie ist insbesondere auch für die Frauen von Bedeutung, die bereits vor dem Beginn der eigentlichen Schutzfrist – also z. B. im 7. Schwangerschaftsmonat – entbinden und noch kein Zeugnis über den voraussichtlichen Entbindungstag (§ 24i Abs. 3 Satz 4 SGB V bzw. § 3 Abs. 1 Satz 3 MuSchG) beibringen können.

 
Praxis-Beispiel

Eine Frau entbindet bereits zu Beginn des 7. Schwangerschaftsmonats – und zwar am 11.11. Am 10.11. hatte sie noch gearbeitet und Arbeitsentgelt erhalten.

Die Merkmale einer Frühgeburt liegen vor.

Bisher wurde weder vom Arzt noch von einer Hebamme bzw. einem Entbindungspfleger eine Bescheinigung über den voraussichtlichen Entbindungstag ausgestellt.

Folge

Der erste Tag, für den ein Anspruch auf Zahlung des Mutterschaftsgeldes besteht, ist rein theoretisch der 30.9. (= 42 Tage vor dem 11.11.). Da die Frau jedoch noch bis 10.11. gearbeitet hat und somit den Bezug von 42 Tagen "Schutzfrist oder Mutterschaftsgeld vor der Entbindung" nicht ausschöpfen kann – hier sogar keinen der 42 Tage –, wird die nicht ausgeschöpfte Zeit von 42 Tagen an die Schutzfrist, die nach der Entbindung läuft (84 Tage wegen der Frühgeburt), angehangen. Mutterschaftsgeld ist somit zu zahlen

  • für den Entbindungstag (11.11.),
  • für 84 Tage nach dem Entbindungstag (12.11 bis 4.12.) sowie
  • für weitere 42 Tage (5.12. bis 15.1. des Folgejahres).
 

Rz. 155

Ein Grund für die Verschiebung des Mutterschaftsgeldzeitraums liegt dagegen nicht vor, wenn eine Arbeitnehmerin in bewusster Kenntnis des Beginns der Schutzfrist über den Beginn der Schutzfrist hinaus gearbeitet hat und gegenüber ihrem Arbeitgeber eine Erklärung zur freiwilligen Arbeitsleistung i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 1 HS 2 MuSchG abgegeben hat. Diese Fallgestaltung würde nämlich dem Sinn der oben erwähnten EG-Mutterschutzrichtlinie widersprechen. Somit ruht der Anspruch auf Mutterschaftsgeld gemäß § 24i Abs. 4 in den Fällen, in denen die werdende Mutter freiwillig aufgrund ihrer ausdrücklichen Erklärung nach § 3 Abs. 1 MuSchG arbeitet und Arbeitsentgelt erhält (Niederschrift des GKV-Spitzenverbandes über die Fachkonferenz Leistungs- und Beziehungsrecht am 27./28.6.2011 in Berlin; vgl. auch GR v. 06.12.2017-II i.d.F. v. 23.03.2022, Abschn. 9.4.3.1).

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