Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 2
Die Vorschrift enthält die gesetzlichen Vorgaben für die Bedarfsplanungs-Richtlinien, welche der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 sowohl für die vertragsärztliche (einschließlich der psychotherapeutischen) Versorgung als auch für die vertragszahnärztliche Versorgung beschließen soll. Es handelt sich für den Gemeinsamen Bundesausschuss um eine "Mussvorschrift", was am Wort "beschließt" in Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift deutlich wird. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist mit dem Erlass der Bedarfsplanungs-Richtlinien für die Ärzte und die Zahnärzte dem gesetzlichen Auftrag nachgekommen.
Rz. 2a
Die Komplexität der Vorschrift folgt aus engmaschigen Gesetzesvorgaben, die verfassungsrechtlich erforderlich sind, um eine Legitimationsbasis für den Richtlinienerlass durch den Gemeinsamen Bundesausschuss abzugeben (vgl. Männie, in: BeckOK Sozialrecht, SGB V, § 101 Rz. 8). Ferner ist die Vorschrift ein Instrument zur Feinsteuerung der Planung ärztlicher Zulassung (Wahrendorf, KrV 2014 S. 241). In der Sache soll sie die finanzielle Stabilität und Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung sichern. Im Überblick ist festzuhalten, dass § 101 Abs. 1 Vorgaben für die vom Gemeinsamen Bundesausschuss zu erlassenden Richtlinien beinhaltet:
- die Forderung nach einheitlichen Verhältniszahlen (Nr. 1),
- Maßstäbe für eine ausgewogene hausärztliche und fachärztliche Versorgungsstruktur (Nr. 2),
- Regelungen, in denen bei der Berechnung des Versorgungsgrades die von Ärzten erbrachten spezialfachärztlichen Leistungen nach § 116b berücksichtigt werden (Nr. 2a),
- Regelungen zur Berücksichtigung bei der Berechnung des Versorgungsgrades von ermächtigten Ärzten (Nr. 2b),
- Vorgaben für die ausnahmsweise Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze (Nr. 3),
- allgemeine Voraussetzungen, in denen der Landesausschuss nach § 100 Abs. 3 einen zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarf in nicht unterversorgten Planungsbereichen feststellen kann (Nr. 3a),
- Ausnahmeregelungen für die Zulassung eines Arztes in einem Planungsbereich, der gesperrt ist und Voraussetzungen für die Partnerschaft in einer Berufsausübungsgemeinschaft (Nr. 4),
- Regelungen zur Anstellung eines Arztes bei einem Vertragsarzt (Nr. 5) sowie
- Ausnahmeregelungen zur Leistungsbegrenzung nach den Nr. 4 und 5 (Nr. 6).
Die Abs. 2 bis 5 enthalten Spezifizierungen des Abs. 1 Nr. 1 bis 6. Abs. 6 nimmt bestimmte Regelungen für Zahnärzte aus.
Rz. 2b
Die Bedarfsplanungs-Richtlinien stellen den grundsätzlich bindenden, bundeseinheitlichen Rahmen für die auf Landesebene von jeder Kassenärztlichen Vereinigung (KV) bzw. Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen (Landesvertretung des vdek) aufzustellenden Bedarfspläne dar (vgl. § 99). Wenn aber gemäß § 99 Abs. 1 Satz 3 und § 12 Abs. 3 Satz 2 Ärzte-ZV von einer KV oder dem Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den vorgeschriebenen Verfahren abweichende regionale Regelungen zu dieser Richtlinie vorgesehen werden, sind die abweichenden Regelungen bei der Anwendung dieser Richtlinie im jeweiligen KV-Bereich verbindlich. Entsprechendes gilt für die regionalen Bedarfspläne in der vertragszahnärztlichen Versorgung (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 2 Zahnärzte-ZV).
Allerdings sind die aktuellen Sicherstellungsprobleme in der vertragsärztlichen Versorgung wesentlich vielschichtiger und gravierender als in der vertragszahnärztlichen Versorgung, sodass die in den Richtlinien zu regelnden gesetzlichen Vorgaben sich in erster Linie auf die vertragsärztliche Versorgung beziehen. Es kommt hinzu, dass sich die vertragsärztliche Versorgung anders als die vertragszahnärztliche auf viele spezialisierte Arztgruppen aufteilt, die innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung jeweils unterschiedliche medizinische Versorgungsaufträge innehaben und schon deshalb bei der Bedarfsplanung differenziert behandelt werden müssen. Dagegen wird bei der Bedarfsplanung für die vertragszahnärztliche Versorgung nur zwischen Zahnärzten und Kieferorthopäden differenziert. Die vertragsärztliche Versorgung bezieht sich im Übrigen sowohl auf die ärztliche Versorgung durch Vertragsärztinnen und Vertragsärzte (einschließlich ärztliche Vertragspsychotherapeutinnen bzw. Vertragspsychotherapeuten) als auch auf die psychotherapeutische Versorgung durch nichtärztliche psychologische Vertragspsychotherapeutinnen und Vertragspsychotherapeuten sowie auf die ärztliche bzw. psychotherapeutische Versorgung durch Medizinische Versorgungszentren (MVZ), welche alle nach § 72 Abs. 1 Satz 2 den Vertragsärztinnen bzw. Vertragsärzten insoweit gleichgestellt sind, als im Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist.
Rz. 2c
In Deutschland wird trotz steigender Arztzahlen und einer im internationalen Vergleich hohen Arztdichte von einem Ärztemangel in der vertragsärztlichen Versorgung gesprochen. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich dadurch erklären, dass sich die niedergelassenen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, Vertra...