Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 28
Die vom Landesausschuss angeordneten Zulassungsbeschränkungen bleiben solange in Kraft, bis sie von ihm aufgehoben werden. Dies ergibt sich aus Abs. 3 sowie aus § 16b Abs. 3 Satz 2 Ärzte-ZV, die vorschreiben, dass der Landesausschuss dann, wenn die Voraussetzungen für eine Überversorgung entfallen sind, die Zulassungsbeschränkungen mit verbindlicher Wirkung für die Zulassungsausschüsse (unverzüglich) aufzuheben hat. Ein Ermessen steht dem Landesausschuss nicht zu. Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 Bedarfsplanungs-Richtlinie ist der Aufhebungsbeschluss mit der Auflage zu versehen, dass Zulassungen nur in einem solchen Umfang erfolgen dürfen, bis für eine Arztgruppe Überversorgung eingetreten ist. Wird der Überversorgungsgrad bereits mit einer hälftigen Zulassung überschritten (partielle Entsperrung), kommt nur eine Zulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag oder eine hälftige Genehmigung in Betracht (Satz 2); vgl. BSG, Urteil v. 13.5.2020, B 6 KA 11/19 R). Nach Inkrafttreten des TSVG ist auch eine Dreiviertelzulassung denkbar (Pawlita, in: jurisPK-SGB V, § 103 Rz. 52). Die verpflichtende, unverzügliche Aufhebung einer Zulassungsbeschränkung bei Überversorgung bestätigt somit den Grundsatz, dass auch in der vertragsärztlichen Versorgung die Niederlassungsfreiheit der Ärzte und Psychotherapeuten (vgl. Art. 12 GG) als vorrangig zu werten ist.
Rz. 29
Die Formulierung "Zulassungsbeschränkungen sind aufzuheben" in Abs. 3 erfordert jedoch nicht in jedem Fall die völlige Freigabe von Zulassungen. Bereits der Wortlaut der Vorschrift umfasst neben einer vollständigen Beseitigung der Zulassungssperre auch eine nur teilweise Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen. Werden Sinn und Zweck der Zulassungsbeschränkungen bei Überversorgung berücksichtigt, ergibt sich zwangsläufig, dass nur die Verfahrensweise einer partiellen Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen geeignet ist, die Ziele der Bedarfsplanung zu erreichen. Eine teilweise Aufhebung einer Zulassungsbeschränkung kann z. B. dazu führen, dass in einem Planungsbereich, der für Augenärzte gesperrt ist, nur eine Augenarztzulassung in einem bestimmten Teilgebiet eines Planungsbereichs möglich wird, während die Zulassungen für weitere Augenärzte ausgeschlossen bleiben, weil dies wieder zur Überversorgung in der Arztgruppe der Augenärzte mit den entsprechenden Konsequenzen führen würde.
Rz. 30
Wird eine Zulassungsbeschränkung aufgehoben, weil keine Überversorgung mehr besteht, weist der Landesausschuss im teilweisen Aufhebungsbeschluss, der wie alle Anordnungen und Aufhebungen von Zulassungsbeschränkungen bei Überversorgung nach § 16b Abs. 4 Ärzte-ZV in den für amtliche Bekanntmachungen der KV vorgesehenen Blättern zu veröffentlichen ist, z. B. darauf hin, dass Zulassungen nur in dem zahlenmäßigen Umfang ausgesprochen werden dürfen, bis für die betreffende Arztgruppe die Überversorgungsgrenze (Versorgungsgrad über 110 %) wieder erreicht ist. Soweit mehrere Zulassungsanträge vorliegen, werden sie nach der Reihenfolge ihres Eingangs beim Zulassungsausschuss entschieden. Danach bliebe, wenn durch die Neuzulassung(en) eine Überversorgung eingetreten sein sollte, der Planungsbereich für weitere Zulassungen in der jeweiligen Arztgruppe gesperrt.
Der Zulassungsausschuss kann im Übrigen in einem Planungsbereich ohne Zulassungsbeschränkungen, aber mit einem allgemeinen bedarfsgerechten Versorgungsgrad ab 100 %, die Zulassung eines oder mehrerer Bewerber befristen (§ 19 Abs. 4 Ärzte-ZV). Dies kann mit dazu beitragen, im Bedarfsfall einer in absehbarer Zeit realistisch entstehenden Überversorgung frühzeitig zu begegnen, weil aufgrund der Befristung die Besetzung oder Nichtbesetzung von Vertragsarztsitzen eher bedarfsgerecht gesteuert werden kann.