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In Deutschland sind Medikamente auch deshalb teurer als bei den europäischen Nachbarn, weil es im ersten Jahr der Markteinführung keine Preisbindung gibt, während in der Mehrzahl der EU-Staaten die Arzneimittelpreise durch eine gesetzliche Preisbindung entstehen. Der pharmazeutische Unternehmer bestimmt bei der Markteinführung in Deutschland den Preis des neuen Arzneimittels. Damit führen die Preise, die für ein neues Medikament im ersten Jahr auf dem deutschen Markt von den pharmazeutischen Unternehmern verlangt werden, zu einer erheblichen Steigerung der Gesamtausgaben der Krankenkassen. Selbst wenn das neue Mittel sich als nicht wirksamer als bisherige Arzneimittel herausstellt, bleiben die Krankenkassen auf den Kosten des ersten Marktjahres sitzen. Die hohen Ausgaben für Medikamente zahlen am Ende alle Versicherten in Form von Beitragssteigerungen. Und das obwohl sich nach Ablauf des Jahres in vielen Fällen herausstellt: Das neue Mittel wirkt nicht besser, denn echte Durchbrüche bei der Wirksamkeit wie z. B. im Fall des nachstehenden sehr wirksamen Hepatitis-C-Medikaments sind sehr selten. In diesem Zusammenhang sprechen Kritiker in Deutschland oft von "Mondpreisen" bei patentierten Arzneimitteln. So lagen z. B. die Kosten einer Tablette für ein neues Arzneimittel gegen Hepatitis C bei Einführung des Mittels bei 700,00 EUR und, weil dieses Mittel mit weiteren Arzneimitteln kombiniert werden muss, konnte eine Therapie von 24 Wochen bis zu 200.000,00 EUR kosten. Die Krankenkassen haben die Kosten zu erstatten, denn das Mittel wirkt besser als herkömmliche Medikamente. Mit dem AMNOG war ab 2012 erstmals das Preismonopol der Pharmaindustrie ernsthaft angegangen worden. Inzwischen liegt der Erstattungspreis für eine Tablette des Medikamentes bei "nur noch" 488,00 EUR.
Die Therapiekosten mancher Wirkstoffe erreichen bis zu 1,2 Mio. EUR; dass die Arzneimittelkosten weiter steigen, liegt beispielsweise auch an neuen Krebstherapien, die besser auf die Patienten zugeschnitten sind und deshalb die Gesamtausgaben für Arzneimittel in die Höhe treiben.
Allerdings muss einschränkend gesagt werden, dass die Arzneimittelausgaben im europäischen Vergleich auch davon abhängen, wie erstattungswillig die Krankenkassen sind, sodass in Deutschland mehr Medikamente erstattet werden als in anderen EU-Ländern. Auch die Größe des Staates muss berücksichtigt werden, weil je mehr Einwohner desto mehr Kosten entstehen. OECD-Vergleiche zeigen aber, dass sowohl die Pro-Kopf-Ausgaben der Arzneimittel in Deutschland als auch der Anteil der Medikamentenausgaben am BIP im EU-Vergleich sehr hoch sind. Bei umsatzstarken patentgeschützten Arzneimitteln hat Deutschland die höchsten Preise (Quelle: Innovationsreport 2017 der Techniker Krankenkasse).
Für ein neu entwickeltes Arzneimittel kann ein pharmazeutischer Unternehmer in Deutschland 20 Jahre lang Patentschutz beantragen und exklusiv vermarkten. Über den Preis, den er für dieses Arzneimittel auf dem Markt und auch von den gesetzlichen Krankenkassen erhält, deckt er seine Forschungs- und Entwicklungskosten. Ist der Patent- und Unterlagenschutz abgelaufen, kann dieser Wirkstoff auch von anderen pharmazeutischen Unternehmern preisgünstiger angeboten werden, da Forschungs- und Entwicklungskosten eingespart werden. Durch diesen Wettbewerb sinken die Preise. Der Patentschutz alleine ist noch kein Beweis, dass ein Arzneimittel besser wirkt. Er gibt dem pharmazeutischen Unternehmer auch keinen Anspruch darauf, dass sein Arzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden darf oder dass die Krankenkassen dafür hohe Preise bezahlen. Der Gemeinsame Bundesausschuss kann vielmehr festlegen, unter welchen Voraussetzungen Arzneimittel verordnet werden können, und der GKV-Spitzenverband kann die Höhe der Erstattung durch Festbeträge und Erstattungs-Höchstbeträge begrenzen.
Für neue Arzneimittel, die keiner Festbetragsgruppe zugeordnet sind, tritt seit 2012 der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) in Verhandlungen über den Erstattungsbetrag mit den pharmazeutischen Unternehmern ein. Der Erstattungsbetrag ist weder ein Herstellerabschlag vom selbstbestimmten Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers (vgl. § 130a), noch ein vereinbarter Rabatt vom Abgabepreis i. S. d. § 130a Abs. 9, sondern stellt nach dem Wortlaut den vereinbarten oder schiedsamtlich festgesetzten Preis des neuen Arzneimittels dar, den die gesetzlichen Krankenkassen, die privaten Krankenversicherungsunternehmen oder die Beihilfestellen bei ihrer Zahlung bzw. Erstattung zugrunde legen.
Die Vorschrift verfolgt das Ziel, dass die pharmazeutischen Unternehmer verpflichtet sind, ihre neu in den Verkehr gebrachten (zugelassenen) Arzneimittel einer frühen Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss zu unterziehen. Der Wirkstoff des Präparats muss den bereits vorhandenen Präparaten überlegen sein, er muss besser wirken, dann darf er auch mehr kosten. Kann hierbei kein Zusatznutzen im Ver...