Rz. 32
Der Versicherte hat im Krankheitsfall nur Anspruch auf "notwendige" und "wirtschaftliche" Leistungen (§§ 1 und 2 Abs. 1 i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 2). Ferner scheiden aus dem Bereich etwaiger Ansprüche solche Leistungen aus, die "unzweckmäßig", d. h. ungeeignet sind, die in § 27 Abs. 1 genannten Zwecke zu fördern. Ebenfalls gehören nicht hierzu die Leistungen, die aus der Sicht des Versicherten oder der seines behandelnden Arztes zwar wünschenswert erscheinen, zur "ausreichenden" Krankenbehandlung jedoch nicht erforderlich sind (§ 12 Abs. 1 Satz 1) oder deren "Qualität und Wirksamkeit" dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3, § 70 Abs. 1). Es besteht kein Anspruch auf eine optimale Versorgung, sondern nur auf eine bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizinischen Wissenschaft (Knispel, in: BeckOK Sozialrecht, SGB V, § 27 Rz. 31).
Rz. 33
Das Recht zur Konkretisierung und Erfüllung des subjektiv öffentlichen Rechts auf Krankenbehandlung ist allein der "vertragsärztlichen Versorgung" übertragen (§§ 72, 73, 95, 92). Dabei ist im ersten Schritt der Gemeinsame Bundesausschuss gesetzlich dazu bestellt, durch Richtlinien zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen des Möglichen abstrakt-generelle Maßstäbe aufzustellen, vorzuschreiben und u. a. jederzeit zu korrigieren, nach denen das im Einzelfall medizinisch Notwendige sowie dessen Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Erforderlichkeit zu beurteilen ist. Innerhalb dieser Vorgaben ist dem vom Versicherten frei gewählten Vertragsarzt die Kompetenz zugewiesen, das Recht des Versicherten gegenüber der Krankenkasse in medizinischer Hinsicht verbindlich zu konkretisieren (vgl. grundlegend BSG, Urteil v. 16.12.1993, 4 RK 5/92, betrifft Kostenerstattung für Heilmittel; fortgeführt für die Krankenhausbehandlung, vgl. BSG, Urteil v. 23.10.1996, 4 RK 2/96). Die übrigen Senate des BSG sind diesem Konzept weitgehend, zum Teil auch mit Einschränkungen, gefolgt (vgl. BSGE 78, 154, 155 zur Krankenhausbehandlung, eingeschränkt aber in BSGE 81, 158, 165; vgl. insbesondere BSGE 81, 73, 78 zur Behandlung mit vertragsärztlich nicht zugelassenen Methoden; eindeutig BSG, Urteil v. 3.9.2003, B 1 KR 34/01 R).
Ärztliche "Behandlungsmethoden" i. S. d. gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind (nur) medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (vgl. BSG, Urteil v. 23.07.1998, B 1 KR19/96 – Jomol; BSG, Urteil v. 3.4.2001, B 1 KR 22/00 R, B 1 KR 17/00 R, B 1 KR 40/00 R m. w. N.; BSG, SozR 3-5533 Nr. 2449 Nr. 2, 9; BSG, SozR 4-2500 § 27 Nr. 8 Rz. 17; BSG, Urteil v. 17.2.2010, B 1 KR 10/09 R).
Die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung) i. d. F. vom 17.1.2006, zuletzt geändert am 20.10.2022, in Kraft getreten am 14.1.2023, benennt in Anlage I die anerkannten ärztlichen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung und die notwendige Qualifikation der Ärzte, die operativen Anforderungen sowie die Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung und die erforderliche Aufzeichnung über die ärztliche Behandlung. In Anlage II sind ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die nach Überprüfung gemäß § 135 Abs. 1 aus der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen worden sind, sowie in Anlage III Methoden, deren Bewertungsverfahren ausgesetzt ist, genannt (https://www.g-ba.de/downloads/62-492-3029/MVV-RL-2022-10-20-iK-2023-01-14.pdf).
Rz. 34
Obwohl § 27 nicht direkt die Frage beantwortet, ob die Kosten für unkonventionelle, in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethoden (Außenseitermethoden) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, ist im Normkontext das Ergebnis eindeutig: Außenseitermethoden sind (nahezu) völlig von der vertragsärztlichen Versorgung und einem Leistungsanspruch des Versicherten ausgeschlossen. Schon im Urteil v. 5.7.1995 hatte das BSG in Abkehr von früherer Rechtsprechung entschieden, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Behandlungsmaßnahme nur beansprucht werden kann, wenn ihre Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist (BSG, Urteil v. 5.7.1995, B 1 RK 6/95 – Drogensubstitution; folgend BSG, Urteil v. 16.9.1997, B 1 RK 28/95 – immunbiologische Therapie). Es hat aus diesem Grundsatz weiter gefolgert, dass ein nur möglicher Behandlungserfolg grundsätzlich nicht geeignet ist, die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht zu begründen (BSG, Urteil v. 6.10.1999, B 1 KR 13/97 R – Amalgamaustausch). Im Urteil v. 28.3.2000 (B 1 KR 11/98 R – aktiv-spezifische Immuntherapie) hat das BSG dargelegt, dass Behandlungsmethod...