0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist durch das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheitsreformgesetz – GRG) v. 20.12.1989 (BGBl. I S. 2477) zum 1.1.1989 eingeführt worden. Datenbestände der Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen dürfen im Rahmen von internen Forschungsvorhaben verwendet werden. Eine Vorgängervorschrift existiert nicht.
Rz. 1a
Durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuchs (2. SGBÄndG) v. 13.6.1994 (BGBl. I S. 1994) wurde Abs. 2 mit Wirkung zum 1.7.1994 redaktionell geändert. Der Begriff "personenbezogene Daten" wurde durch den Terminus "Sozialdaten" ersetzt.
Rz. 1b
Art. 3 Nr. 8 des Gesetzes zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten (Gesundheitsdatennutzungsgesetz – GDNG) v. 22.3.2024 (BGBl. I Nr. 102) hat mit Wirkung zum 26.3.2024 Abs. 2 neu gefasst. Daten werden entsprechend den Vorgaben der Verordnung (EU) 679/2016 nur anonymisiert, soweit und sobald dies nach dem Forschungszweck möglich ist.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Norm schafft eine Rechtsgrundlage für die Verwendung von nach §§ 284, 285 gespeicherten Sozialdaten im Rahmen von Forschungsvorhaben bei Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen (Kranig, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 287 Rz. 1 m. w. N.). Berechtigt sind auch die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (§ 77 Abs. 1 Satz 1). Ohne eine derartige Ermächtigung wären die in § 287 angesprochenen Vorhaben nicht möglich (Kranig, a. a. O., Rz. 4). Die Regelung stellt eine Ergänzung zu § 75 SGB X dar, der eine Übermittlung von Sozialdaten unter den dort näher genannten Voraussetzungen erlaubt.
Rz. 3
Auch in anderen Sozialleistungsbereichen finden sich Regelungen, die Forschungsvorhaben gestatten oder Übermittlungsbefugnisse begründen. Eine § 287 entsprechende Vorschrift enthält § 98 SGB XI. Übermittlungsbefugnisse im Recht der Unfallversicherung begründet § 206 SGB VII. Diese Regelung gestattet die Übermittlung von personenbezogenen Daten für bestimmte Forschungsvorhaben zur Bekämpfung von Berufskrankheiten. § 55 SGB II stellt Forschung über die Wirkungen der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit frei. § 394 Abs. 1 Nr. 3 SGB III gestattet die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der von der Bundesagentur für Arbeit erhobenen Sozialdaten für Zwecke der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. § 56 Satz 1 KVLG 1989 erklärt die §§ 275 bis 305a SGB V im Bereich der landwirtschaftlichen Krankenversicherung für entsprechend anwendbar (Koch, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 287 Rz. 4).
2 Rechtspraxis
2.1 Forschungsvorhaben (Abs. 1)
Rz. 4
Die Vorschrift betrifft nur die interne Forschung der Krankenkassen sowie der Kassenärztlichen Vereinigungen (Eigenforschung ohne Beteiligung Dritter). Die Beteiligung (Erlaubnis) der Aufsichtsbehörde soll sicherstellen, dass nur die für das Forschungsvorhaben erforderlichen Daten verwendet werden (vgl. BT-Drs. 11/2237 S. 239 zu § 312 Abs. 1). Die Aufsichtsbehörde kann im Erlaubnisverfahren weitere Auskünfte erlangen und eine Erlaubnis mit Nebenbestimmungen (z. B. Auflagen) versehen. Das Erlaubnisverfahren ist nicht geregelt. Nach dem Gesetzeszweck muss die Erlaubnis i. S. einer Einwilligung (§ 183 BGB) vor Beginn der Forschungsvorhaben und der Aufbewahrung erteilt sein. Eine nachträgliche Zustimmung (Genehmigung i. S. d.§ 184 BGB) reicht nicht aus (Koch, a. a. O., Rz. 13).
Rz. 5
Bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich, dass nur zeitlich befristete und begrenzte Forschungsvorhaben zulässig sind. Auf diese Weise soll unterbunden werden, dass der gesamte bei Krankenkassen und Kassenärztlichen/Kassenzahnärztlichen Vereinigungen vorhandene Datenbestand unbeschränkt und zeitlich unbefristet für interne Forschungsvorhaben verwendet wird. Da nur der vorhandene Datenbestand ausgewertet oder über die in § 304 genannten Fristen hinaus aufbewahrt werden darf, ist eine Datenerhebung eigens für Forschungszwecke nicht durch § 287 freigestellt (Roß, in: LPK-SGB V, § 287 Rz. 2; Koch, a. a. O., Rz. 9).
Rz. 6
Eine versichertenbezogene bzw. beziehbare Datenverwendung ist ausgeschlossen, da die Vorschrift ausdrücklich anordnet, dass die Daten lediglich leistungserbringer- oder fallbeziehbar ausgewertet oder (über die sich aus § 304 ergebenden Fristen hinaus) aufbewahrt werden dürfen. Angesichts des Umstandes, dass Forschungsvorhaben allgemeine Erkenntnisse liefern sollen, ist ein Bezug zum Leistungserbringer oder Versicherten ohnehin nicht erforderlich. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Vorschrift nicht die in § 304 angeordneten Löschungsfristen vollständig außer Kraft setzt. An deren Stelle treten die sich aus dem konkreten Projekt festzulegenden Befristungen (Kranig, a. a. O., Rz. 6; Roß, a. a. O., Rz. 1). Eine die Grenzen des jeweiligen Projekts überschreitende Aufbewahrung von Daten ist unzulässig.
Rz. 7
Soweit die Vorschrift den Krankenkassen die Möglichkeit einräumt, Forschungsvorhaben insbesondere zur Gewinnung epidemiologischer Erkenntnisse, von Erkenntnissen über Zusammenhänge zwischen Erkrankungen und Arbeitsbedingungen oder von Erkenntnissen über örtliche Krankheitsschwerpunkte dur...