Rz. 63
Die durch Art. 1 Nr. 1 i. V. m. Art. 2 des 10. SGB V-ÄndG ab 29.3.2002 angefügte Regelung des Abs. 1 Nr. 6 gewährte bis dahin freiwillig versicherten Rentnern die Option (daher wird der Ausdruck Optionsrentner verwandt), statt der ab 1.4.2002 eintretenden Krankenversicherungspflicht als Rentner die freiwillige Versicherung durch Erklärung des Beitritts mit Rückwirkung fortzusetzen. Die Regelung des Abs. 1 Nr. 6 wurde durch § 188 Abs. 2 Satz 2, § 190 Abs. 11a und § 5 Abs. 8 ergänzt. In der Sache handelt es sich um eine Art Befreiung von der Krankenversicherungspflicht zur Wahl des Versicherungsstatus als freiwilliges Mitglied, die sonst nicht zulässig ist. Eine Ergänzung oder ein Vorbehalt zu § 191 Nr. 2, der den Vorrang einer Pflichtversicherung regelt, wurde nicht vorgenommen.
Rz. 64
Hintergrund der gesetzlichen Regelung war die Entscheidung des BVerfG, Beschluss v. 15.3.2000, 1 BvL 16/96 u. a. Dieses hatte entschieden, dass die Neuregelung des Art. 1 Nr. 1 GSG v. 21.12.1992, wonach als Vorversicherungszeit für die KVdR in § 5 Abs. 1 Nr. 11 nur noch Pflichtversicherungszeiten zu berücksichtigen waren, mit dem Gleichheitsgebot des GG nicht vereinbar sei, weil sie zu einer unterschiedlichen Beitragsbemessung von Rentnern führte. Dem Gesetzgeber war eine Frist bis 31.3.2002 zur Beseitigung der Ungleichbehandlung gesetzt worden, während derer § 5 Abs. 1 Nr. 11 in der seit 1993 geltenden Fassung noch weiter angewendet werden konnte. Für den Fall der gesetzgeberischen Untätigkeit war angeordnet, dass ab dem 1.4.2002 der § 5 Abs. 1 Nr. 11 wieder i. d. F. des GRG v. 20.12.1988 für den Zugang zur Krankenversicherung der Rentner anzuwenden war. Da eine die beitragsrechtliche Ungleichbehandlung beseitigende Neuregelung i. S. d. Entscheidung des BVerfG nicht getroffen wurde, unterlagen Rentner, die die Vorversicherungszeit nach dem vor dem 1.1.1993 geltenden Recht, also unter Berücksichtigung auch von Zeiten der freiwilligen Mitgliedschaft für die Vorversicherungszeit, erfüllt hatten und am 31.3.2002 Rente bezogen, ab dem 1.4.2002 wieder der Krankenversicherungspflicht als Rentner (KVdR).
Rz. 65
Für einen Teil dieser Rentner hätten sich durch die Beurteilung der KVdR nach dem vor dem 1.1.1993 geltenden Recht Nachteile ergeben. Insbesondere für Nur-Rentenbezieher oder bisher wegen geringer Rente Familienversicherte hätte die Pflichtversicherung nach damaligem Recht zu beitragsrechtlichen Nachteilen wegen Anwendung des allgemeinen Beitragssatzes auf die Rente (§ 247) statt des ermäßigten Beitragssatzes als freiwillig Versicherte (§ 243 wegen des fehlenden Krankengeldanspruchs) geführt oder hätte die dann beitragspflichtige Pflichtversicherung die Familienversicherung ausgeschlossen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2). Für Rentner, die die Vorversicherungszeit nach dem Recht vor dem 1.1.1993 erfüllen, galt zudem nach § 240 Abs. 4 Satz 5 die Regelung über Mindesteinnahmen für die freiwillige Versicherung (§ 240 Abs. 4 Satz 1) nicht. Ebenso wäre für die Pflichtversicherung die Möglichkeit der Kostenerstattung ausgeschlossen gewesen (§ 13 Abs. 2 damaliger Fassung). Aus diesen Gründen und Gründen des Vertrauensschutzes (in eine mit der Verfassung nicht zu vereinbarende Regelung) hatte der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, durch den Beitritt zur freiwilligen Versicherung die Pflichtmitgliedschaft zu vermeiden (BT-Drs. 14/8099 S. 3, 4). Hintergrund dürfte aber auch gewesen sein, dass sich damals die Beiträge der Rentenversicherungsträger gegenüber den Beitragszuschüssen (§§ 106, 106a SGB VI) erhöht hätten.
Rz. 66
Voraussetzungen für das Beitrittsrecht waren:
- Rentenanspruch am 31.3.2002,
- Eintritt von Krankenversicherungspflicht nach dem 31.3.2002,
- keine KVdR wegen Nichterfüllung der Vorversicherungszeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 i. d. F. des GSG ab 1.1.1993,
- freiwillige Versicherung bis zum 31.3.2002 wegen Nichterfüllung dieser Vorversicherungszeit,
- kein Ausschlusstatbestand für die KVdR (z. B. vorrangige Krankenversicherungspflicht, "absolute" Versicherungsfreiheit nach § 6 oder hauptberuflich selbständiger Tätigkeit).
Rz. 67
Das Beitrittsrecht war innerhalb von 6 Monaten nach Eintritt der KVdR auszuüben, also spätestens bis 30.9.2002. Da zunächst, als Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ab 1.4.2002 Krankenversicherungspflicht als Rentner eintrat, die dann rückwirkend beseitigt wurde, ergaben sich daraus alle Probleme der rückwirkenden Umstellung von Versicherungsverhältnissen, Abänderungen von Verwaltungsakten und Beitragsrückabwicklungen. Aufgrund dieser Frist wurde Abs. 1 Nr. 6 aus Gründen der Rechtsbereinigung mit Wirkung zum 11.5.2019 durch Art. 1 Nr. 5 des TSVG vom 6.5.2019 aufgehoben, da die Befreiungsmöglichkeit nur bis 30.9.2002 gegeben war.
Rz. 68
Rentenbezieher, die von diesem Optionsrecht Gebrauch gemacht hatten, blieben und bleiben daher freiwillig Versicherte, weil die Ausübung dieser Option auf den Status als freiwillig Versicherter auf Dauer erfolgt. Die Ausübung des Optionsrechts ist bindend und grundsätzl...