Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 60
Mit dem Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze ist Abs. 6a eingeführt worden. Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung v. 11.7.2021 (BGBl. I S. 2754) wurde in Abs. 6a Satz 2 neu geregelt, dass die zur Einleitung einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung erforderlichen probatorischen Sitzungen nicht nur in den Räumen des Krankenhauses durchgeführt werden können, sondern auch in der vertragsärztlichen Praxis.
Rz. 61
Die gesetzlich gewollte Gleichstellung zwischen psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzten und nichtärztlichen Psychotherapeuten wird daran deutlich, dass die Einzelheiten über die psychotherapeutische Versorgung (psychotherapeutisch behandlungsbedürftige Krankheiten, zur Krankenbehandlung geeignete Verfahren, Antrags- und Gutachterverfahren, probatorische Sitzungen sowie Art und Durchführung der Behandlung) im Regelungsbereich ärztliche Behandlung zu regeln sind. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat daraufhin auf der Grundlage des Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 6a die Richtlinie über die Durchführung der Psychotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung (Psychotherapie-Richtlinie) erlassen, die in der geänderten Fassung v. 19.2.2009 (BAnz 2009 S. 1399) zum 18.4.2009 in Kraft getreten ist. Die Psychotherapie-Richtlinie ist zuletzt am 22.11.2019 geändert, im BAnz AT 23.1.2020 veröffentlicht und am 24.1.2020 in Kraft getreten. Sie gilt für alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Psychotherapeuten, für ärztliche ebenso wie für nichtärztliche Psychotherapeuten.
Rz. 62
In den einleitenden Bestimmungen wird bereits darauf hingewiesen, dass die Richtlinie der Sicherung einer den gesetzlichen Erfordernissen entsprechenden ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Psychotherapie der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung in der vertragsärztlichen Versorgung dient und zur sinnvollen Verwendung der Mittel zu beachten ist. Die Richtlinie bildet auch die Grundlage für Vereinbarungen, die zur Durchführung der Psychotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung zwischen den Vertragspartnern abzuschließen sind.
Rz. 63
In Abs. 6a Satz 1 wird dem Gemeinsamen Bundesausschuss eine weitreichende Regelungsbefugnis zum Krankheitsbegriff übertragen. Er kann die versicherungsbedürftigen Krankheiten festlegen. Ferner haben die Richtlinien nach Satz 3 Regelungen zu treffen über die inhaltlichen Anforderungen an den Konsiliarbericht und an die fachlichen Anforderungen des den Konsiliarbericht (§ 28 Abs. 3) abgebenden Vertragsarztes.
Rz. 64
In 8 Richtlinie-Abschnitten, die mit Allgemeines, psychotherapeutische Behandlungs- und Anwendungsformen, psychosomatische Grundversorgung, Anwendungsbereiche, Leistungsumfang, Konsiliar-, Antrags- und Gutachterverfahren, Qualifikation zur Durchführung der Psychotherapie und der psychosomatischen Grundversorgung und Psychotherapie-Vereinbarungen überschrieben sind, werden die Einzelheiten geregelt, wie in Abs. 6a gefordert.
Zu den psychotherapeutischen Behandlungs- und Anwendungsformen gehören:
- psychotherapeutische Sprechstunde,
- probatorische Sitzungen,
- psychotherapeutische Akutbehandlung,
- Rezidivprophylaxe,
- psychoanalytisch begründete Verfahren,
- tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie,
- analytische Psychotherapie,
- Verhaltenstherapie,
- systemische Therapie,
- Kombination von Psychotherapieverfahren,
- Anerkennung neuer Psychotherapieverfahren und -methoden,
- Anwendungsformen,
- Kombination von Anwendungsformen,
- Behandlungsfrequenz,
- psychosomatische Grundversorgung.
Rz. 65
Die systemische Therapie ist mit Wirkung zum 24.1.2020 als weiteres Richtlinienverfahren für die psychotherapeutische Behandlung von Erwachsenen aufgenommen worden. Es handelt sich um ein Psychotherapieverfahren, das den sozialen Beziehungen innerhalb einer Familie oder Gruppe eine besondere Relevanz für die Entstehung einer psychischen Erkrankung beimisst. Die Therapie fokussiert entsprechend nicht auf die einzelne Person, sondern auf Interaktionen zwischen Mitgliedern der Familie und der weiteren sozialen Umwelt. Unter anderem wird versucht, symptomfördernde Beziehungen zu verändern bzw. ihnen eine funktionalere Selbstorganisation der Patientin oder des Patienten entgegenzusetzen. Die systemische Therapie kann – wie die anderen psychotherapeutischen Verfahren auch – als Einzel- oder Gruppentherapie oder als Kombination zwischen Einzel- und Gruppentherapie angeboten werden. Als spezifische Anwendungsform der systemischen Therapie wird zudem das "Mehrpersonensetting" möglich sein. Hierbei werden relevante Bezugspersonen der Patientin oder des Patienten in die Behandlung einbezogen. Sofern erforderlich, kann die Anwendung der systemischen Therapie im Mehrpersonensetting mit der Anwendung in einer Einzel- oder Gruppentherapie kombiniert werden. Die systemische Therapie kann als ambulante Leistung von ärztlichen Psychothe...