Dr. Thomas Becker-Evermann
0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
§ 107 wurde mit Wirkung zum 1.6.1994 durch Art. 1 PflegeVG v. 25.5.1994 (BGBl. I S. 1014) in das Gesetz aufgenommen. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 wurde durch Art. 1 des Gesetzes zur Qualitätssicherung und zur Stärkung des Verbraucherschutzes in der Pflege (Pflege-Qualitätssicherungsgesetz – PQsG) v. 9.9.2001 (BGBl. I S. 2320) mit Wirkung zum 1.1.2002 geändert; eine weitere Änderung erfolgte mit Rücksicht auf die Neustrukturierung der Qualitätssicherung durch das Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) v. 28.5.2008 (BGBl. I S. 874) mit Wirkung zum 1.7.2008.
1 Allgemeines
Rz. 1a
Normzweck der in § 107 getroffenen Löschungsregelungen ist, das von dem Umgang mit Pflegedaten im besonderen Maße ausgehende Gefährdungspotential durch eine Begrenzung der zulässigen Aufbewahrungsdauer zu minimieren. Die Vorschrift entspricht ihrem Sinngehalt nach § 304 SGB V.
Unmittelbarer Adressat der in § 107 normierten Löschungsverpflichtung sind nur die Pflegekassen und deren Verbände. Für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung und andere Stellen (z. B. Sachverständige gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1), denen der Umgang mit Pflegedaten nach dem Pflegeversicherungsgesetz gestattet ist, sieht das Gesetz besondere Löschungsregelungen vor (vgl. z. B. § 97 Abs. 3, § 97a Abs. 2, § 97b), wobei diese Vorschriften auf § 107 verweisen (vgl. u. a. § 97 Abs. 3 Satz 2). § 107 kann daher wegen der spezialgesetzlichen Löschungsregelungen und der dort geregelten Verweise nicht unmittelbar anwendbar sein (a. A. Prange, in: jurisPK-SGB XI, 2. Aufl., § 107 Rz. 29 f.).
2 Rechtspraxis
2.1 Begriff
Rz. 2
Löschen bedeutet das Unkenntlichmachen gespeicherter Sozialdaten (Bieresborn, in: Udsching, SGB XI, 5. Aufl., § 107 Rz. 3; vgl. zur neuen Rechtslage Prange, in: jurisPK-SGB XI, § 107 Rz. 34.1). Erfasst werden hiervon alle Maßnahmen, die eine Rückgewinnung der ihrer Vernichtung zugeführten Informationen ausschließen, z. B. das Entfernen von Datenträgern aus der Verwaltungsakte und das anschließende Vernichten (vgl. Bay LSG, Urteil v. 31.3.2011, L 15 SB 80/06). Unerheblich ist hierbei das für die Unkenntlichmachung angewandte Verfahren. Entscheidend ist vielmehr das Ergebnis. Löschen ist daher nicht nur jede physische Vernichtung von Daten bzw. Datenträgern, sondern auch jede andere Form der Unkenntlichmachung, die eine Kenntnisnahme der betroffenen Daten für die Zukunft ausschließt (z. B. Schwärzen, Überstreichen per Tipp-Ex etc.). § 107 Abs. 1 Satz 3 lässt die Annahme zu, dass der Löschungspflicht auch durch Anonymisierung des verfügbaren Datenmaterials hinreichend Rechnung getragen wird.
2.2 Löschen von Daten
Rz. 3
Die Voraussetzungen der Löschungsverpflichtung von personenbezogenen Daten sind nunmehr in der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO – VO (EU) 2016/679) geregelt. Zwar verweist § 107 Abs. 1 Satz 1 weiterhin unverändert auf § 84 SGB X. Allerdings ist § 84 SGB X zum 25.5.2018 an die geänderten europäischen Datenschutzvorschriften angepasst worden. Im Wesentlichen verweist § 84 SGB X selbst nur noch auf die entsprechenden Regelungen der DSGVO und nimmt bereichsspezifische Anpassungen vor (vgl. Paulus, in: jurisPK-SGB X, § 84 Rz. 8). Für die Prüfung müssen die Vorschriften der DSGVO, des § 84 SGB X sowie des § 107 daher zusammen gelesen werden, was das Verständnis erschweren dürfte.
Während die DSGVO in Art. 17 die eigentliche Löschung und in Art. 18 die Einschränkung der Verarbeitung regelt, normiert u. a. § 84 Abs. 1 SGB X den Ausschluss der Löschung zugunsten der Einschränkung der Verarbeitung im Falle eines unverhältnismäßigen Aufwandes bei nicht automatisierten Daten (z. B. Papierakten oder Mikrofiche) sowie einem geringen Interesse des Betroffenen an der Löschung. Er entspricht damit § 84 Abs. 3 Nr. 3 SGB X a. F. § 84 Abs. 2 SGB X bewirkt daneben einen Ausschluss der Einschränkung nach Art. 18 DSGVO bei bestrittenen Daten, soweit diese zur Erfüllung sozialer Aufgaben benötigt werden. Die Regelung fand sich zuvor in § 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X a. F. § 84 Abs. 5 SGB X schließt zudem das Widerspruchsrecht aus, wenn dem zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen. Gegenüber der alten Rechtslage ist zu beachten, dass die Einschränkung der Verarbeitung nach Art. 18 DSGVO die zuvor in § 84 Abs. 3 SGB X geregelte Sperrung ersetzt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu § 84 SGB X verwiesen.
In diesem Zusammenhang normiert § 107 Löschungsfristen, d. h. ein Löschungsgebot nach Ablauf der dort normierten Fristen.
2.3 Löschungsfristen
Rz. 4
Abs. 1 Satz 1 legt aus Gründen der besonderen Sensibilität der Pflegedaten für deren zulässige Aufbewahrung Fristen fest. Hierbei beträgt die Löschungsfrist für Leistungsdaten nach § 102 längstens 10 Jahre (Nr. 1). Für Daten aus der Abrechnung pflegerischer Leistungen (§ 105), aus Wirtschaftlichkeitsprüfungen (§ 79) sowie aus Prüfungen zur Qualitätssicherung (§§ 112, 113, 114, 114a, 115 und 117) oder aus dem Abschluss sowie der Durchführung von Verträgen (§§ 72 bis 74, 85, 86 oder 89) beträgt die Löschungsfrist längstens 2 Jahre (...