Rz. 31
Dass der Pflegegrad eines pflegebedürftigen Kindes im Grundsatz ebenfalls anhand des in § 15 Abs. 1 bis Abs. 5 normierten Begutachtungssystems unter Berücksichtigung der Schwere der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten ermittelt wird, folgt explizit auch aus § 15 Abs. 6 Satz 2, der die vorgenannten Absätze für entsprechend anwendbar erklärt.
Rz. 32
Der wesentliche Unterschied zu der Bestimmung des Pflegegrades eines Erwachsenen ist aber, dass es – wie auch schon unter Rz. 28 ausgeführt – vorgelagert eines Vergleichs mit altersentsprechend entwickelten Kindern bedarf, um festzustellen, ob überhaupt eine das übliche Maß der Pflege und Versorgung eines Kindes übersteigende Pflegebedürftigkeit besteht (§ 15 Abs. 6 Satz 1). Hintergrund ist, dass regelmäßig auch altersentsprechend entwickelte Kinder hilfebedürftig sind (etwa vollständig unselbständige Säuglinge, vgl. insoweit Rz. 37 hinsichtlich der Sonderregelungen bei pflegebedürftigen Kindern im Alter bis zu 18 Monaten), dieser Umstand aber gerade keinen Leistungsanspruch gegen die soziale Pflegeversicherung begründen soll (BT-Drs. 18/5926 S. 114).
Es ist also beispielsweise zu hinterfragen, ab welchem Alter eine bestimmte Aktivität üblicherweise selbständig von einem Kind durchgeführt werden kann bzw., ab welchem Alter eine bestimmte Fähigkeit üblicherweise ausgebildet ist (näher hierzu sogleich). Aktivitäten, die entwicklungsbedingt bis zu einem bestimmten Alter auch gesunde Kinder nicht selbständig ausüben können, müssen bzw. dürfen dann nicht beurteilt werden (Begutachtungs-Richtlinien S. 108).
Konnte eine Abweichung von den üblichen Fähigkeiten eines altersentsprechend entwickelten Kindes festgestellt werden, ist in einem zweiten Schritt – abgesehen von Fällen gemäß Abs. 7 – nach Maßgabe der Abs. 1 bis 5 zu bestimmen, welchen Grad die insoweit bestehenden Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen. Wie dies auch nach der alten Rechtslage der Fall war, ist für die Bestimmung des Pflegegrades (weiterhin) folglich allein die Abweichung von der Selbständigkeit oder den Fähigkeiten von altersentsprechend entwickelten Kindern maßgeblich.
Rz. 33
Vor dem Hintergrund, dass kindliche Entwicklung nicht stets linear erfolgt und anzunehmen ist, dass die fachliche Beurteilung, welche Fähigkeiten oder Verhaltensweisen eines Kindes als (noch) altersentsprechend anzusehen sind, in vielen Fällen nicht einheitlich ist, hat der Richtliniengeber hinsichtlich der Module 1, 2, 4 und 6 Tabellen zur Abbildung des altersentsprechenden Selbständigkeitsgrades/der altersentsprechenden Ausprägung von Fähigkeiten bei Kindern erstellt (vgl. Begutachtungs-Richtlinien S. 110 ff.).
In den Modulen 3 "Verhaltensweisen und psychische Problemlagen" und 5 "Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen" gibt es hingegen keine Festlegung von Altersgrenzen, da hier krankheits- und therapiebedingte Beeinträchtigungen erfasst werden, die altersunabhängig bei jedem Kind zu bewerten sind (Begutachtungs-Richtlinien S. 108).
Die in den Tabellen aufgeführten (pauschalen) Altersgrenzen beruhen – darauf wird explizit hingewiesen – auf einer umfangreichen Literaturrecherche und Analyse, die durch Fachexpertisen ergänzt wurden. Ausweislich der Ausführungen in der Begutachtungs-Richtlinie war es Ziel der Analyse, zu den im Begutachtungsinstrument verwendeten Kriterien eine auf empirischen Untersuchungen basierende Aussage zu treffen, ab welchem Alter die entsprechende Aktivität üblicherweise selbständig von einem Kind durchgeführt wird bzw. die entsprechende Fähigkeit ausgebildet ist (vgl. Begutachtungs-Richtlinien S. 108).
Damit hat der Richtliniengeber auf die Rechtsprechung reagiert und die vom BSG statuierten Anforderungen an eine Pauschalierung des kindlichen Entwicklungsverlaufs umgesetzt (vgl. BSG, Urteil v. 13.5.2004, B 3 P 7/03 R).
Rz. 34
Kinder im hier maßgeblichen Sinne sind dabei grundsätzlich alle Personen bis zu ihrem 18. Geburtstag. Die vielfältigen Entwicklungsstufen eines Kindes machen es jedoch erforderlich, weitergehend zu differenzieren:
Rz. 35
Da das neue Begutachtungsinstrument grundsätzlich die Selbständigkeit im Vergleich zu altersentsprechend entwickelten Kindern als Maßstab hat und etwa Säuglinge von Natur aus in allen Bereichen des Alltagslebens unselbständig sind, könnten einerseits Angehörige dieser Personengruppe ohne Sonderregelungen regelhaft keine oder nur niedrige Pflegegrade erreichen, was ggf. jedoch nicht dem tatsächlichen (Hilfe-)Bedarf entspräche. Denn je jünger ein Kind ist, umso weniger ist es möglich, über die Merkmalsausprägung "selbständig" bzw. "unselbständig" den über das übliche Maß der Pflege und Versorgung eines Säuglings hinausgehenden Pflegebedarf abzubilden. Zudem müssten sie aufgrund der häufigen Entwicklungsveränderungen, wie sie sich bei altersentsprechend entwickelten Kindern in dieser Altersstufe vollziehen, in sehr kurzen Zeitabständen neu beg...