Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Verweisung. örtliche Zuständigkeit. fehlerhafte Annahme zum Wohnort des Klägers. Bindung an Verweisungsbeschluss

 

Leitsatz (amtlich)

Eine auf eine fehlerhafte Annahme des Gerichts bezüglich des Wohnortes des Klägers hin erfolgte Verweisung ist für die Beteiligten und die Gerichte bindend.

 

Tenor

Das Sozialgericht Gotha wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

 

Gründe

I.

Der Kläger hat am 12. Juni 2018 beim Sozialgericht Nordhausen eine Untätigkeitsklage erhoben. Nach Anhörung der Beteiligten hat sich dieses mit Beschluss vom 28. Juni 2018 für unzuständig erklärt und den Rechtstreit an das Sozialgericht Gotha verwiesen. Dabei hat es fehlerhaft B. L. als Wohnort des Klägers angenommen. Das Sozialgericht Gotha hat den Rechtstreit mit Beschluss vom 28. November 2018 an das Sozialgericht Nordhausen zurückverwiesen. Der tatsächliche Wohnort (G.) des Klägers liege im Zuständigkeitsbereich des Sozialgerichts Nordhausen. Die Bindungswirkung des Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Nordhausens trete nicht ein, wenn der Verweisung eine rechtliche Grundlage fehle. Ein Verstoß gegen elementare, den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnde materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften - wie hier - sei geeignet, die Bindungswirkung zu durchbrechen.

Nachdem das Sozialgericht Nordhausen unter Hinweis auf die Bindungswirkung der Verweisung die Verfahrensakten an das Sozialgericht Gotha zurückgesandt hat, hat sich das Sozialgericht Gotha mit Beschluss vom 28. Januar 2019 erneut für örtlich unzuständig erklärt, den Rechtsstreit ausgesetzt und dem Thüringer Landessozialgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

Nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) wird das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsam nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Nach § 58 Abs. 2 SGG kann zur Feststellung der Zuständigkeit jedes mit dem Rechtsstreit befasste Gericht und jeder am Rechtsstreit Beteiligte das im Rechtszug höhere Gericht anrufen, das ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann.

Nachdem sowohl sich das Sozialgericht Nordhausen als auch das Sozialgericht Gotha für (örtlich) unzuständig erklärt haben, hat das Thüringer Landessozialgericht als das gemeinsam nächsthöhere Gericht auf das Ersuchen des Sozialgerichts Gotha die Zuständigkeit zu bestimmen.

Grundsätzlich gilt die Bindungswirkung der Verweisungsentscheidungen nach § 98 Satz 1 SGG i.V.m. § 17a Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG). Sofern sie von einem Gericht nicht beachtet wird, bestimmt das nächsthöhere Gericht wegen der Bindungswirkung das Gericht als zuständig, an das zuerst verwiesen wurde (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 58 Rn. 2f m.w.N.).

Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend (vgl. Bundesarbeitsgericht - BAG - , Beschluss vom 30. März 1994 - 5 AS 6/94, nach juris). Nur in extremen Ausnahmefällen entsteht keine Bindungswirkung. Erforderlich ist eine gesetzwidrige Verweisung, die offensichtlich unhaltbar ist oder auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze beruht (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 58 Rn. 2f mit Nachweisen zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung). Bejaht wird ein Ausnahmefall beispielsweise beim Fehlen einer rechtlichen Grundlage, also bei Willkür, oder bei Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze, insbesondere bei Verletzungen des rechtlichen Gehörs und bei krassen Rechtsverletzungen (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Aufl. 2017, SGG § 98 Rn. 9 m.w.N.). Keine Ausnahme von der Bindungswirkung hat das Bundessozialgericht dagegen angenommen, wenn das Gericht aufgrund ihm vorliegender Unterlagen im Ergebnis zu Unrecht von einem Wohnsitz in einem anderem Gerichtsbezirk ausgegangen ist (vgl. Beschlüsse vom 1. Juni 2005 - B 13 SF 4/05 S und 2. April 2009 - B 12 SF 1/09 S, beide nach juris).

Ein oben beschriebener extremer Ausnahmefall liegt bei der fehlerhaften unrichtigen Annahme des zuständigen Gerichts bezüglich des Wohnortes des Klägers nicht vor. Anhaltspunkte für Willkür oder Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze sind nicht ersichtlich. Das Sozialgericht ist davon ausgegangen, dass als Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Klägers B. L. und damit die Zuständigkeit des Sozialgerichts Gotha in Betracht kam. Zwar war in der Klageschrift als Wohnanschrift G. und damit ein Ort im Zuständigkeitsbezirk Nordhausen angegeben. Ausgeführt war dort auch, dass er sich zur Zeit des Widerspruchsverfahrens hauptberuflich in B. L. aufgehalten hatte, dort aber keine Landwirtschaftsflächen besaß. Dem beigefügten Anlagenkonvolut lassen sich verschiedene Anschriften des Klägers entnehmen, u.a. auch für einen Nebenerwerb in B. L.. Der Prozessbevollmächtigte wir...

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