Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Untätigkeitsklage. Verfahrensgebühr. Anwendbarkeit des verminderten Gebührenrahmens der Nr 3103 RVG-VV bei vorangegangener Tätigkeit im Vorverfahren. Bedeutung der Angelegenheit bei unterlassener Rundung sowie Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. fiktive Terminsgebühr nach Nr 3106 RVG-VV
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Untätigkeitsklage fällt eine Verfahrensgebühr nach Nr 3103 RVG-VV an, wenn der Rechtsanwalt bereits im Widerspruchsverfahren tätig ist (ebenso LSG Darmstadt vom 12.5.2010 - L 2 SF 342/09 E = AGS 2010, 604; aA: LSG Essen vom 5.5.2008 - L 19 B 24/08 AS = AGS 2008, 550).
2. Zur Bedeutung einer Untätigkeitsklage gegen eine unterlassene Rundung und einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.
3. Die begehrte Bescheiderteilung im Verlauf einer Untätigkeitsklage ist kein Anerkenntnis im Sinne des § 101 Abs 2 SGG und löst keine fiktive Terminsgebühr nach Nr 3106 RVG-VV aus.
Tenor
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 2. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Altenburg streitig (Az.: S 36 AS 3995/08).
Die von dem Beschwerdeführer vertretenen Kläger, eine Bedarfsgemeinschaft von drei Personen, bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 17. Dezember 2007 setzte die beklagte Stadtverwaltung J. die Leistungen für Oktober 2007 auf 826,74 Euro und ab November 2007 auf 854,84 Euro fest. Der Beschwerdeführer legte am 14. Januar 2008 für die Kläger Widerspruch ein und trug mit Schriftsatz vom 28. März 2008 vor, die Beträge hätten nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Mai 2007 (Az.: B 11 AS 29/06 R) für die Bedarfsgemeinschaft auf 827,00 Euro (Oktober 2007) bzw. 856,00 Euro (November 2007) aufgerundet werden müssen. Am 30. Oktober 2008 erhob der Beschwerdeführer Untätigkeitsklage, weil der Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. Dezember 2007 noch nicht entschieden war und beantragte die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH). Am 5. Februar 2009 übersandte die Beklagte ihren Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2009, in dem sie u.a. den Widerspruch vom 28. März 2008 zurückwies. Unter dem 9. Februar 2009 fragte das Sozialgericht bei dem Beschwerdeführer an, ob er das Anerkenntnis der Beklagten annehme. Dieser bat "vor Abgabe prozessleitender Erklärungen" um Entscheidung über die PKH. Unter dem 21. April 2009 erklärte die Beklagte, sie übernehme die notwendigen außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach. Mit Schriftsatz vom 2. Juni 2009 bestand der Beschwerdeführer auf einer Entscheidung über die PKH, weil die Beklagte sich regelmäßig weigere, die Kosten zu erstatten und auf die gerichtliche Kostenfestsetzung verweise. Das Sozialgericht bewilligte den Klägern mit Beschluss vom 9. Juni 2009 PKH und ordnete den Beschwerdeführer bei. Dieser erklärte, die Kläger nähmen "das Anerkenntnis der Beklagten" an; damit habe sich der Rechtsstreit erledigt.
Am 18. Juni 2009 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung folgender Gebühren:
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Verfahrensgebühr Nr. 3102, 1008 VV RVG |
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200,00 Euro |
Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG |
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50,00 Euro |
Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG |
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20,00 Euro |
USt |
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51,30 Euro |
Gesamtsumme |
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321,30 Euro |
Mit Beschluss vom 16. Juni 2009 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die aus der Staatskasse zu erstattende Gebühr auf 91,39 Euro fest. Zur Begründung führte sie aus, die Untätigkeitsklage habe nur beabsichtigt, die Beklagte zum Tätigwerden zu veranlassen; dies genüge niedrigsten Ansprüchen anwaltlicher Tätigkeit. Angesichts der Rundungsregelungen sei das Interesse der Kläger von untergeordneter Bedeutung gewesen. Daher werde eine Mindestgebühr nach Nr. 3102 VV RVG von 40,00 Euro festgesetzt, die sich für zwei weitere Auftraggeber auf 64,00 Euro erhöhe. Eine Terminsgebühr komme nicht in Betracht, weil das Verfahren nicht durch Abgabe eines Anerkenntnisses, sondern durch Erlass des Widerspruchsbescheids erledigt worden sei.
Mit der Erinnerung hat der Beschwerdeführer vorgetragen, die festgesetzten Gebühren seien unbillig. Der Ansatz der Mindestgebühr sei nicht zu rechtfertigen, denn er habe die Klage in einem zweiseitigen Schriftsatz begründet. Dadurch seien der Beklagten und dem Gericht sofortige Entscheidungen möglich gewesen.
Mit Beschluss vom 2. Juni 2010 hat das Sozialgericht Altenburg die Erinnerung zurückgewiesen. Es sei auf den Gebührenrahmen nach Nr. 3103 VV RVG und nicht nach Nr. 3102 VV RVG abzustellen. Er sei auch dann gerechtfertigt, wenn das Gesetz kein förmliches Vor- oder Widerspruchsverfahren vorschreibe. Berücksichtigt werde nach dem Wortlaut der faktische Kenntnisvorsprung, der dem Rechtsanwalt durch eine Befassung im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens zukomme. Unter Berücksichtigung der ...