Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen Erwerbsminderung. verschlossener Teilzeitarbeitsmarkt. Begutachtung. Schmerzen. Erfordernis der Validierung geäußerter subjektiver Beschwerden
Leitsatz (amtlich)
Bei der Begutachtung von Schmerzen müssen bei der Exploration geäußerte subjektive Beschwerden durch Schmerzen durch kritische Zusammenschau von Exploration, Untersuchungsbefunden, Verhaltensbeobachtung und Aktenlage validiert werden.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 8. April 2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes vom 1. Mai 2011 bis zum 30. April 2014 hat.
Die 1957 geborene Klägerin war zuletzt laut Arbeitgeberauskunft der Einrichtungssysteme GmbH vom 12. September 2008 seit dem 13. Juni 1994 als Maschinenarbeiterin mit einer Anlernzeit von drei Monaten beschäftigt. Seit dem 12. Juli 2007 war sie arbeitsunfähig erkrankt, seit dem 22. August 2007 bezog sie Krankengeld und seit dem 9. Januar 2009 Arbeitslosengeld.
Im August 2008 beantragte sie die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog diverse medizinische Unterlagen, u.a. den Rehabilitationsentlassungsbericht der M.K.B.T.vom 15. Januar 2008 (Diagnosen: intracranielles Meningeom suprasellär mit Operation vom 20. Juli 2007, Gesichtsfeldeinschränkung temporal oben links, Cephalgie, arterielle Hypertonie, Zustand nach Struma-Operation; Leistungsbild: zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Produktionsarbeiterin drei bis unter sechs Stunden, leichte Arbeiten im Wechselrhythmus mit Einschränkungen drei bis sechs Stunden täglich) bei. Des Weiteren holte sie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten der Dipl.-Med. B.vom 7. Dezember 2008 (Diagnosen: Kopfschmerz, Zustand nach Operation Hypophysenadenom 2007, Verdacht auf Benzodiazepinabusus, Hypothyreose, Hypertonie; Leistungsbild: Tätigkeit als Produktionsarbeiterin sechs Stunden und mehr, mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr) und ein augenärztliches Gutachten der Dr. Sch. vom 16. Februar 2009 (Diagnosen: Gesichtsfeldeinengung, geringe Hyperopie mit Astigmatismus ≪Weitsichtigkeit mit Stabsichtigkeit≫, Alterssichtigkeit; Leistungsbild: Tätigkeit als Produktionsarbeiterin sechs Stunden und mehr, leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus mit Einschränkungen sechs Stunden und mehr) ein. Mit Bescheid vom 6. März 2009 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2009 zurück. Sie führte zur Begründung im Wesentlichen aus, im Ergebnis der vorgenommenen medizinischen Sachaufklärung bestehe bei der Klägerin ein Leistungsvermögen für sechs Stunden und mehr für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit Einschränkungen. Somit liege weder teilweise noch volle Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 und Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) vor. Es bestehe auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, weil von dem Hauptberuf der Produktionsarbeiterin auszugehen sei. Damit sei sie in die Gruppe der Angelernten im unteren Bereich einzuordnen und grundsätzlich auf die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Am 14. März 2010 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin der Beklagten mit, er habe den Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2010 nicht erhalten, woraufhin eine Übersendung durch Einschreiben mit Rückschein erfolgte. Der Widerspruchsbescheid ging dem Prozessbevollmächtigten laut Rückschein am 7. April 2010 zu.
Auf die Klageerhebung am 13. April 2010 hat das Sozialgericht (SG) u.a. diverse Befundberichte mit entsprechenden medizinischen Anlagen beigezogen und ein undatiertes neurologisch-psychologisches Gutachten des Prof. Dr. R. (Eingang beim SG am 29. Dezember 2010) sowie ein psychologisches Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. K. vom 5. November 2010 eingeholt. Prof. Dr. R. hat bei den Diagnosen ausgeführt, bei der Klägerin lägen wahrscheinlich eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine somatoforme autonome Funktionsstörung des vestibulären Systems und eine leichte Episode einer rezidivierenden depressiven Störung vor. Sie weise eine verminderte Stresstoleranz, Konzentration, Leistungsgeschwindigkeit und Antrieb sowie eine vermehrte Ermüdbarkeit auf. Zudem empfinde sie einen Schwindel und multilokuläre Schmerzen. Sie könne eine Tätigkeit als Maschinenarbeiterin oder sonstige Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Industrie und Handel wegen verminderter Dauerbelastbarkeit halb- bis untervollschichtig ausführen. Leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Zwanghaltungen, ohne häufiges Bücken, Absturzgefahr, Heben von Lasten (maximal etwa 10 kg als Einzelleistung), ohne Schichtarbeit und Akkordarbeit (wegen ver...