Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Anwendbarkeit von § 144 SGG auf Untätigkeitsklagen. keine Abtrennbarkeit des Streitgegenstands bei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. Kostenübernahme für den Kauf von Teststreifen zur Blutzuckerkontrolle

 

Orientierungssatz

1. § 144 SGG ist auch auf Untätigkeitsklagen anwendbar, denn die Klage betrifft inhaltlich einen auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung gerichteten Verwaltungsakt (vgl LSG Stuttgart vom 29.4.2010 - L 12 AL 5449/09 = Breith 2010, 877; entgegen LSG Berlin-Potsdam vom 8.11.2007 - L 15 B 174/07 SO NZB und vom 6.12.2010 - L 18 AS 1272/10, LSG Stuttgart vom 18.11.2010 - L 7 SO 2708/10 = NZS 2011, 400). Der Erlass eines Verwaltungsaktes ist nicht als "Dienstleistung" iS des § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG anzusehen.

2. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung allein kann nicht zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein (vgl BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 10).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Nordhausen vom 13. September 2010 wird als unzulässig verworfen.

Kosten für das Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Kostenübernahme für den Kauf von Teststreifen zur Blutzuckerselbstkontrolle.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 30. Juni 2009 bewilligte die ARGE SGB II im Landkreis Nordhausen (als Rechtsvorgängerin des Beklagten, im Folgenden einheitlich Beklagter) dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum 1. Juli bis 31. Dezember 2009 in Höhe von 1.230,03 € monatlich. Nachdem der mit dem Erfordernis einer speziellen Diät begründete Antrag auf kostenaufwändige Ernährung mit Bescheid vom 31. Juli 2009 abgelehnt worden war, beantragte der Kläger mit am 24. November 2009 bei dem Beklagten eingegangenem Schreiben "Mehrbedarf nach SGB II für Zuckerkranke", da er vor jeder Mahlzeit den Zuckerspiegel messen müsse. Diese Leistungen seien vom Regelsatz nicht abgedeckt. Er bezifferte die Kosten "abgesehen von der Ernährung" mit 105,- € monatlich für 90 Teststreifen.

Mit Bewilligungsbescheid vom 17. Dezember 2009, geändert durch Bescheide vom 16. März 2010, 23. April 2010 und 27. Mai 2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum 1. Januar bis 31. März 2010 Leistungen in Höhe von 1217,78 € monatlich und für den Zeitraum 1. April bis 30. Juni 2010 in Höhe von 1126,75 € monatlich.

Auf die Untätigkeitsklage des Klägers vom 23. März 2010 wegen der Nichtbescheidung des Antrags vom 24. November 2009 lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 4. Mai 2010 ab, weil die Kosten von der Regelleistung abgedeckt seien und keinen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 23 Absatz 1 SGB II darstellten. Der Bescheid war mit der Rechtsbehelfsbelehrung zum Widerspruch versehen. Ein förmlicher Widerspruch dazu ist nicht aktenkundig.

Auf Aufforderung des Gerichts zur Angabe der Tatsachen, durch die er sich beschwert fühle, äußerte sich der Kläger in der Sache (Schriftsatz vom 19. Juli 2010).

Nachdem es die Beteiligten auf diese Absicht hingewiesen hatte, wies das Sozialgericht Nordhausen die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. September 2010 als unzulässig ab, weil sie vor Ablauf der einzuhaltenden sechsmonatigen Sperrfrist erhoben worden sei. Dieser Mangel sei auch nicht geheilt, weil innerhalb dieser Frist über den Antrag entschieden worden sei. Die dem Gerichtsbescheid beigefügte Rechtsmittelbelehrung bezeichnete die Nichtzulassungsbeschwerde.

Mit fristgemäß eingegangenem Schriftsatz vom 28. September 2010 hat der Kläger "Berufung" eingelegt. Es sei nicht geklärt, wer die nun mit gut 70,- € im Monat bezifferten Kosten für die vom Arzt und der Krankenkasse befürworteten Blutzuckermessungen trage; er könne es nicht.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 9. Dezember 2010 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass die Berufungssumme von mehr als 750,- € nicht erreicht werde und die Berufung daher unzulässig sein dürfte. Hierauf hat der Kläger mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2010 mitgeteilt, dass seit der Antragstellung mehr als 12 Monate verstrichen seien und der Berufungsstreitwert erreicht werde.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nordhausen vom 13. September 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Mai 2010 zu verurteilen, ihm ab 24. November 2009 einen monatlichen Mehrbedarf in Höhe von 70,00 € für Teststreifen zur Blutzuckerkontrolle zu bezahlen.

Der Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Er ist der Ansicht, dass der Berufungsstreitwert nicht erreicht ist.

Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat kon...

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