Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelabgabe. Zulässigkeit der Änderung einer ärztlichen Verordnung durch telefonische Rücksprache und Vermerk des Apothekers bei Fehlen einer entsprechenden Bestimmung im Arzneilieferungsvertrag. Beachtung apothekenrechtlicher Berufspflichten
Orientierungssatz
1. Enthält ein Arzneilieferungsvertrag (ALV) keine ausdrückliche Bestimmung für die Fälle, in denen aufgrund einer telefonischen Rücksprache der abgebenden Apotheke mit dem verordnenden Vertragsarzt die Abgabemenge des verordneten Medikaments geändert und dies entsprechend auf der Verordnung vermerkt wird, so kann daraus nicht gefolgert werden, dass eine entsprechende Verfahrensweise damit durch den ALV ausgeschlossen wird (Aufgabe LSG Erfurt vom 15.03.2011 - L 6 KR 516/10 NZB).
2. Dem steht auch nicht § 29 Abs 10 BMV-Ä entgegen. Dieser bestimmt zwar, dass Änderungen und Ergänzungen der Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln einer erneuten Arztunterschrift mit Datumsangabe bedürfen, doch gilt diese vertragliche Bestimmung allein zwischen den vertragsschließenden Parteien, hier also zwischen den Kassenärzten und den gesetzlichen Krankenkassen, wobei der Regelung dergestalt noch ein Regelungsbereich verbleibt, als zB Änderungen der Verordnung jedenfalls dann der erneuten Arztunterschrift mit Datumsangabe bedürfen, wenn sie durch die nichtärztlichen Mitarbeiter des jeweiligen verordnenden Vertragsarztes oder durch den versicherten Patienten selbst vorgenommen werden. Im Verhältnis zwischen abgebender Apotheke und Krankenkasse gelten dagegen die apothekenrechtlichen und -vertraglichen Bestimmungen, im konkreten Fall also der ALV.
3. Daneben müssen Apotheken auch ihr spezifisches Berufsrecht, wie zB die Apothekenbetriebsordnung (juris: ApoBetrO 1987), beachten. Es kann nicht Ziel eines ALV sein, die Apotheken von ihren spezifischen beruflichen Pflichten zu dispensieren (vgl BSG vom 28.9.2010 - B 1 KR 3/10 R = BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6).
4. Auch in Anlehnung an die Bestimmung des § 2 Abs 1 Nr 10 AMVV, wonach die Verschreibung die eigenhändige Unterschrift des Arztes enthalten muss, gilt ebenso wie im hier einschlägigen ALV, dass diesbezüglich eine Vorschrift fehlt, die die Änderung einer ordnungsgemäß ausgestellten Verordnung regelt. Aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung kann aber auch hier nicht auf den Ausschluss einer ärztlich angeordneten oder genehmigten Änderung der Verordnung durch die abgebende Apotheke geschlossen werden.
5. Die inhaltliche Veränderung einer Verordnung ist nicht dasselbe wie die Ausstellung einer neuen Verordnung. Zum einen ist die Änderung einer Verordnung bereits dem Wortsinn nach keine Neuausstellung der ursprünglichen Verordnung, es sei denn gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen ordnen insoweit eine Gleichstellung an. Zum anderen übernimmt die Apotheke durch den entsprechenden Vermerk die Gewähr dafür, dass die Änderung durch den verordnenden Arzt angeordnet oder genehmigt wurde. Dies macht eine erneute Unterschrift des verordnenden Arztes entbehrlich.
Normenkette
SGB V § 129 Abs. 1, 3, 2; BGB § 387 analog, § 288; AMVV § 2 Abs. 1 Nr. 10; BMV-Ä § 29 Abs. 10; ApoBetrO 1987 § 17 Abs. 5 Sätze 3-4
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 14. Februar 2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 797,28 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15. Februar 2009 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zu Recht in zwei Fällen bereits gezahlte Vergütungen für die an ihren Versicherten abgegebenen Arzneimittel in Höhe von insgesamt 797,28 € beanstandet und gegen unstreitige Vergütungsforderungen der Klägerin aus späteren Arzneimittelabgaben aufgerechnet hat (Retaxierung).
Die Klägerin ist Inhaberin der ...-Apotheke in A. und Mitglied des Th. A. e.V. Am 3. Mai 2007 gab sie an eine Versicherte der Beklagten die Arzneimittel ZYPREXA VELOTAB/15 mg/70 Tabletten und ZYPREXA VELOTAB/20 mg/70 Tabletten ab. Vorgelegt hatte die Versicherte eine ärztliche Verordnung vom 26. April 2007, auf der jeweils 56 Tabletten der beiden Arzneimittel verordnet wurden. Auf telefonische Nachfrage der Klägerin erklärte die verordnende Vertragsärztin, dass Packungen mit jeweils 70 Tabletten abgegeben werden sollten. Die Klägerin vermerkte auf dem Rezept in den Verordnungszeilen jeweils "lt. ärztl. Anweis.70 Tbl.". In der Folgezeit gab die Klägerin am 26. Mai 2007 das Arzneimittel Pulmicort® Turbohaler® 200µg 200 IHP an eine weitere Versicherte der Beklagten ab, wobei die Zahl 200 die Zahl der Einzeldosen angibt. Auf der von der Versicherten vorgelegten Verordnung des Vertragsarztes vom 25. Mai 2007 war eine Packung mit 100 IHP/Einzeldosen angegeben. Da nur eine Packung mit 200 IHP/Einzeldosen verfügbar war und die Versicherte nach Angaben der Klägerin unter akuter Atemnot litt, wurde die veror...