Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. unangemessene Verfahrensdauer. instanzenübergreifende Gesamtschau. richterliche Unabhängigkeit. Zeiträume scheinbarer Nichtbearbeitung. Terminverschiebung wegen Befangenheitsantrag. keine Verpflichtung zur vorrangigen Neuterminierung. Verzögerung durch Prozessverhalten des Klägers. unbegründete Befangenheitsanträge. umfangreiche Schriftsätze. Bezugnahmen auf andere Verfahren. Altfall. Übergangsregelung. unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge. Heilung der Wartefrist durch Zeitablauf. sozialgerichtliches Verfahren. Untätigkeitsklage. Bearbeitungslücken
Leitsatz (amtlich)
Für die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer sowie für die Beurteilung einer wirksamen Verzögerungsrüge kommt es auf die Dauer und die Umstände des gesamten Ausgangsverfahrens "instanzübergreifend" bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Entschädigungsgerichts an. Ein Vorverfahren ist nicht gesondert zu beurteilen, kann aber für die Gesamtverfahrensdauer unter Umständen von Bedeutung sein. Das zuständige Entschädigungsgericht beurteilt die Unangemessenheit einer Verfahrensdauer unabhängig davon, wie viele Instanzen das Verfahren durchlaufen hat. Ansatzpunkt ist zwar zunächst die Verfahrensdauer in der jeweiligen Instanz, es erfolgt jedoch keine isolierte Betrachtung der Instanz.
Bei der Bewertung von sich aus den Akten ergebenden Zeiträumen scheinbarer Nichtbearbeitung bedeuten solche "Lücken" nicht, dass diese per se zu einer unangemessenen Verfahrensdauer beigetragen haben. Zum einen besteht kein Anspruch eines Rechtsuchenden auf eine ausschließliche oder beinahe lückenlose Bearbeitung der Sache durch den zuständigen Richter, der Staat ist auch nicht verpflichtet, für eine solchen Bearbeitung erforderliche Gerichtskapazitäten vorzuhalten. Zum anderen bedeuten solche, sich aus den Akten ergebende Lücken scheinbarer Nichtbearbeitung nicht, dass die Sache vom zuständigen Richter in diesem Zeitraum nicht bearbeitet wurde. Beispielsweise werden dem Rechtsstreit dienende Recherchen, die Kenntnisnahme aktueller Rechtsprechung zum Fall oder beim Landessozialgericht übliche Besprechungen in der Sache (auch zur Abstimmung) mit Senatskollegen oder Richtern anderer Senate nicht in den Akten vermerkt, gleichwohl wird das Verfahren bearbeitet. Auch diesbezüglich ist eine genaue Bewertung und Gesamtschau im Einzelfall erforderlich.
Orientierungssatz
1. Es besteht keine Verpflichtung des zuständigen Kammervorsitzenden, Rechtsstreitigkeiten vorrangig neu zu terminieren, weil der zuvor geplante Termin zur mündlichen Verhandlung wegen eines Befangenheitsantrags des Klägers nicht stattfinden konnte.
2. Eine Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens wird, auch wenn zunächst die Wartefrist des § 198 Abs 5 S 1 GVG nicht eingehalten wurde, wie in den Fällen der Untätigkeitsklage nach § 88 SGG, durch Zeitablauf zulässig.
3. Dem Kläger kann unter den Umständen des Einzelfalls zur Erhebung der Verzögerungsrüge eine besondere Prüfungs- und Überlegungsfrist einzuräumen sein, mit dem Ergebnis, dass auch eine etwa zweieinhalb Monate nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhobene Rüge noch als unverzüglich iS des Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG zu werten ist.
4. Ist das sozialgerichtliche Verfahren bei Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG bereits in einer Instanz abgeschlossen gewesen und wurde in der weiteren Instanz die Verzögerungsrüge nach Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG nicht unverzüglich erhoben, so beurteilt das Entschädigungsgericht in einer Gesamtschau die abgeschlossene Instanz sowie die Verfahrensdauer nach der nicht unverzüglichen Verzögerungsrüge.
5. Ein Entschädigungsanspruch kann zu verneinen sein, wenn der Kläger für die lange Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens (hier durch unbegründete Befangenheitsanträge, umfangreiche und ungeordnete Schriftsätze sowie zahlreiche Bezugnahmen auf andere Verfahren, die in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren stehen) eine erhebliche, wenn nicht sogar die alleinige Verantwortung trägt.
Normenkette
GVG § 198; SGG § 202; ÜGRG Art. 23; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1; EMRK Art. 6 Abs. 1
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Entschädigung wegen einer unangemessen Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens aus dem Vertragsarztrecht hat, das erstinstanzlich bei dem Sozialgericht Gotha unter dem Aktenzeichen S 7 KA 1258/08 und in der Berufungsinstanz unter dem Aktenzeichen L 11 KA 1381/11 - Thüringer Landessozialgericht - geführt wurde.
Die Klägerin ist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie führt seit Jahren verschiedene Rechtsstreitigkeiten gegen die K..
Am 11. März 2008 hat sie beim Sozialgericht in Gotha Untätigkeitsklage erhoben mit dem Antrag “die K. aufzufordern, meine fortlaufenden Anträge bezüglich der Erweiterung des Praxis- und/oder Zusatzbudgets gemäß der...