Entscheidungsstichwort (Thema)
Therapieliege. Hilfsmittel. Pflegehilfsmittel. Zuständigkeit. Wirtschaftlichkeitsgebot. Bindungswirkung
Leitsatz (redaktionell)
Dient ein Gegenstand sowohl den Zwecken der Hilfsmittelversorgung im Bereich der Krankenversicherung als auch der Erleichterung der Pflege, ergibt sich der zuständige Leistungsträger aus dem überwiegenden Zweck. Dies gilt nicht nur bei einer vollstationären Unterbringung des Versicherten in einem Pflegeheim, sondern auch bei einer Versorgung im häuslichen Bereich.
Normenkette
SGB V § 33 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 1, § 13 Abs. 3; SGB XI § 40 Abs. 1, § 29 Abs. 1; SGG §§ 181, 75 Abs. 5, § 96 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Nordhausen (Urteil vom 15.10.2001; Aktenzeichen S 6 KR 500/99) |
Tenor
Die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 15. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch um die Erstattung der restlichen Kosten von 2.610,00 DM (= 1.334,47 EUR) für eine zum Preis von 3.248,00 DM (1.660,68 EUR) selbstbeschaffte sog. Mini-Mum Therapieliege.
Die 1989 geborene Klägerin leidet auf Grund einer Trisomie 14 an einer schweren cerebralen Bewegungsstörung im Sinne einer plastischen Tetraplegie mit asymmetrischem Muster und hoher Hüftgelenksimbalanceluxation links mit schwerer sekundärer Pfannendysplasie sowie Lateralisation im Übergang zur Subluxation rechts bei hochgradiger Adduktorenspastik und Hüftbeuge- und Adduktorenkontrakturen beiderseits sowie neurogener rechts-/linkskonvexe Skoliose der Wirbelsäule mit erheblicher Progredienztendenz und einem cerebralen Anfallsleiden und Zustand nach postpartalem Atemnotsyndrom. Des Weiteren liegt eine Colitis ulcerosa vor, die in sechswöchigen Intervallen zu für ca. zwei Wochen anhaltenden Durchfallerscheinungen führen. Die Klägerin lebt bei ihrer Tante und wird von ihr im häuslichen Bereich pflegerisch in vollem Umfang versorgt. Sie erhält Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung.
Im Juni 1998 beantragte sie bei der Beklagten die Bewilligung einer vom behandelnden Kinderarzt Dr. E. am 6. Mai 1998 verordneten Therapieliege Modell Mini-Mum T 1600 zu einem Preis von 3.879,04 DM (= 1.983,32 EUR) laut Kostenvoranschlag der B.GmbH vom 11. Juni 1998.
In der Stellungnahme nach Aktenlage des Arztes K. (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Thüringen ≪MDK≫) vom 13. Juli 1998 wird eine feststehende Vojta-Therapieliege befürwortet. Dr. K. vom MDK wies in seiner Stellungnahme vom 8. September 1998 darauf hin, dass die beantragte Liege nicht im Hilfsmittelkatalog verzeichnet und es der Beklagten überlassen sei, sich an der Kostenübernahme zu beteiligen.
Mit Bescheid vom 18. Januar 1999 erklärte sich die Beklagte bereit, einen Kostenzuschuss von 550,00 DM zzgl. Umsatzsteuer für die Anschaffung der beantragten Liege zu zahlen. Im Übrigen lehnte sie die Kostenübernahme mit der Begründung ab, diese sei laut „Leistungskatalog” der gesetzlichen Krankenkasse kein Hilfsmittel.
Am 25. Januar 1999 erwarb die Klägerin die Mini-Mum Therapieliege zu einem Preis von 3.248,00 DM (1.660,68 EUR) incl. 16 v.H. Umsatzsteuer.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 1999 zurück. Über den Betrag für eine Vojta-Therapieliege in Höhe von 638,00 DM (326,20 EUR) hinaus bestehe kein Anspruch auf Kostenerstattung für die selbst angeschaffte Therapieliege.
Während des Klageverfahrens hat die Klägerin nach Hinweis des Kammervorsitzenden bei der zuständigen Pflegekasse die Bewilligung eines Zuschusses zur angeschafften Therapieliege beantragt, den diese mit Bescheid vom 16. August 2000 ablehnte. Die Anschaffung der Mini-Mum Liege sei keine Maßnahme zur Verbesserung des Wohnumfeldes nach § 40 Abs. 4 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI). Eine Versorgung mit Pflegehilfsmitteln nach § 40 Abs. 1 SGB XI komme auch nicht in Betracht, weil es sich bei der Liege nicht um ein Pflegehilfsmittel handele. Ihre Leistungspflicht scheide grundsätzlich aus, weil die Liege dem Grunde nach vom MDK im Rahmen des § 33 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) empfohlen werde. Gegen den Bescheid hat die Klägerin kein Rechtsmittel eingelegt.
Mit Beschluss vom 2. März 2001 hat das Sozialgericht die Pflegekasse gemäß § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum Rechtsstreit beigeladen.
Das Sozialgericht hat ein Sachverständigengutachten der Dr. M. vom 4. Mai 2001 eingeholt. Danach kann diese aufgrund ihrer schwersten geistigen Behinderung nicht sprechen. Es sei kein merkbares Sprachverständnis, kein gezieltes Handlungsvermögen und kein gezielter Extremitäteneinsatz vorhanden. Die schwerste Körperbehinderung ergebe sich aus Folgendem: Lähmung aller vier Extremitäten, kein gezieltes Greifvermögen, kein Geh- und Stehvermögen, kein selbstständiges Halten in Sitzposition / kein freies Sitzen, Blasen- und Mastdarmentleerung, schlaffe Lähmung der Unterschenkel und Füße mit einwärts...