rechtskräftig

 

Verfahrensgang

VG Meiningen (Entscheidung vom 06.11.2006; Aktenzeichen 8 K 119/03.Me)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 6. November 2006 abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Ermittlungen des Außendienstmitarbeiters der Beklagten über die Lebensführung der Klägerin in der Zeit von Mai bis September 2002 rechtswidrig waren.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen verdeckte Ermittlungen durch einen Außendienstmitarbeiter (“Sozialdedektiv”) der Beklagten.

Sie ist Mutter zweier 1998 und 2001 geborener Mädchen. Seit 1. Mai 2001 übernahm die Beklagte den “Kindertagesstättenbeitrag” für die ältere Tochter der Klägerin nach § 90 Abs. 3 SGB VIII. Parallel dazu bezog diese von der Beklagten Leistungen nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes. Da die Beklagte den Verdacht hegte, dass die Klägerin mit Herrn … F…, dem Vater der Kinder, in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zusammenlebe, beauftragte sie einen Außendienstmitarbeiter mit der Vornahme verdeckter Ermittlungen. Er kontrollierte in der Zeit von Mai bis September 2002, schwerpunktmäßig vom 1. August bis 24. September 2002, durch Observierungen und durch Befragungen von Mitbewohnern der Klägerin im selben Haus die Aufenthalte des Herrn F….

Bereits Anfang September 2002 unterrichtete die Beklagte die Klägerin bei einer persönlichen Vorsprache darüber, dass sie beabsichtige, die Gewährung von Leistungen nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes ganz oder teilweise einzustellen, weil sie vom Bestehen einer Lebensgemeinschaft der Klägerin mit einem Dritten ausgehe. Mit Schreiben vom 13. September 2002 forderte die Beklagte die Klägerin wegen der Übernahme des Kindertagesstättenentgelts (§ 90 Abs. 3 SGB VIII) auf, bis 30. September 2002 “sämtliche aktuellen Einkommensbelege des Herrn F… im Jugend- und Schulverwaltungsamt Eisenach einzureichen”. Zur Begründung führte sie aus, es sei festgestellt worden, dass Herr F… sich durchgehend bei der Klägerin aufhalte und deshalb von einer Lebensgemeinschaft auszugehen sei. Da die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachkam, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 1. Oktober 2002 die jugendhilferechtlichen Leistungen ein. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, den sie im Wesentlichen damit begründete, dass Herr F… sich gelegentlich bei ihr für einige Stunden nur deshalb aufhalte, um sich an der Kinderbetreuung und -erziehung zu beteiligen, sie aber keine Lebensgemeinschaft mit ihm führe, keine Zuwendungen von ihm erhalte und demgemäß keine Veranlassung habe, Nachweise über sein Einkommen vorzulegen. Mit Bescheid vom 29. November 2002 half die Beklagte dem Widerspruch ab und übernahm wieder das Kindertagesstättenentgelt nach § 90 Abs. 3 SGB VIII.

Die Klägerin hat am 14. Februar 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht Meiningen erhoben, mit der sie begehrt hat, die Rechtswidrigkeit der Ermittlungen des Außendienstarbeiters festzustellen.

Sie hat im Wesentlichen vorgetragen:

Ihre Feststellungsklage sei im Hinblick auf ein fortdauerndes Rehabilitierungsinteresse wegen der Grundrechtseingriffe zulässig. Der Außendienstmitarbeiter habe in rechtswidriger Weise in ihre durch Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG geschützte Privat- und Intimsphäre eingegriffen. Für die in den Ermittlungen des Sozialdedektivs liegenden Datenerhebungen fehle es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage. Die Voraussetzungen für eine nur im Ausnahmefall zulässige Fremderhebung von Daten, insbesondere nach den für die Sozialverwaltung maßgeblichen Vorschriften der §§ 67a SGB X und 62 SGB VIII, hätten nicht vorgelegen.

Der Außendienstmitarbeiter habe ihre Wohnung, Lebensgewohnheiten, Besuche von Dritten – auch über Nacht – über Monate hinweg beobachtet und dokumentiert. Im Zeitraum 1. August bis 24. September 2002 sei ihre Überwachung zu verschiedenen Tageszeiten “rund um die Uhr” erfolgt. Ausweislich der Vermerke des Außendienstmitarbeiters habe dieser die dokumentierten Tatsachen sogar teilweise direkt beobachtet oder dies versucht. Die Beobachtungen des Außendienstmitarbeiters ließen, auch wenn sie auf ihrem eigenen Verhalten in der Öffentlichkeit beruhten, Rückschlüsse auf ihr Intimleben zu. Es sei anzunehmen, dass die Befragungen ihrer Mitbewohner verdeckt erfolgt seien. Des Weiteren habe der Außendienstmitarbeiter auch bei anderen Behörden Informationen eingeholt. Nach Abschluss der Beobachtungen sei davon abgesehen worden, sie über den Umfang der Beobachtungen und die Ergebnisse im Einzelnen zu unterrichten; ferner sei ihr keine Akteneinsicht gewährt w...

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