Hartz IV: Jobcenter muss Räumungsklage bezahlen

Das Jobcenter trägt die Kosten einer Räumungsklage, wenn es einem Leistungsberechtigten zu Unrecht die Leistungen versagt, dadurch Mietrückstände entstehen und der Vermieter in der Folge Räumungsklage erhebt. Das hat das LSG Baden-Württemberg entschieden.

Der 1953 geborene Kläger bezog seit 2005 SGB-II-Leistungen. Er leidet an einer ausgeprägten chronifizierten seelischen Störung. Bereits seit 2009 war zwischen ihm und dem Jobcenter die Frage seiner Erwerbsfähigkeit im Streit. Ende 2011 forderte ihn das Jobcenter auf, Rente wegen Erwerbsminderung zu beantragen. Außerdem bat das Jobcenter die Deutsche Rentenversicherung (DRV) um Prüfung der Erwerbsfähigkeit und stellte dort selbst für den Kläger einen Rentenantrag. Die DRV leitete im August 2012 das Rentenverfahren ein.

Fehlende Antragsformulare führen zu Räumungsklage

Ab 1.2.2013 strich das Jobcenter dem Kläger sämtliche Leistungen, da er im Rentenverfahren die Antragsformulare nicht ausgefüllt und daher nicht ausreichend mitgewirkt habe. In der Folge konnte der Kläger seine Miete nicht mehr bezahlen. Sein Vermieter erhob Räumungsklage wegen Mietrückständen.

Jobcenter weigert sich Gerichtskosten der Räumungsklage zu zahlen

Nachdem die DRV im Juni 2013 dem Jobcenter mitgeteilt hatte, dass ausgefüllte Antragsformulare vorlägen, bewilligte das Jobcenter wieder SGB-II-Leistungen. Die Mietrückstände wurden ausgeglichen und die Räumungsklage zurückgezogen. Jedoch setzte das Amtsgericht Gerichtskosten in Höhe von 857,68 EUR fest, die dem Kläger in Rechnung gestellt wurden. Das Jobcenter weigerte sich, diese Kosten zu übernehmen. Widerspruch und Klage in erster Instanz blieben erfolglos. Das Sozialgericht Konstanz hat sich der Argumentation des Jobcenters angeschlossen, wonach Kosten einer Räumungsklage nicht als Bedarfe der Unterkunft berücksichtigungsfähig seien.

LSG: Gerichtskosten können als Unterkunftskosten berücksichtigt werden

Die Richterinnen und Richter des Landessozialgerichts haben das anders bewertet und dem Kläger Recht gegeben. Das Jobcenter hätte die Leistungen nicht ab 1.2.2013 streichen dürfen. Dadurch sind ohne Verschulden des Klägers die Mietrückstände entstanden und ist es zur Räumungsklage gekommen. Deren Kosten sind aufgrund einer unrichtigen Sachbehandlung des Jobcenters im Zusammenhang mit dem Bedarf an Wohnraum angefallen und können daher als Unterkunftskosten berücksichtigt werden.

Klärung der Erwerbsfähigkeit auch ohne Antragsformulare möglich

Im Einzelnen hat der Senat ausgeführt, dass nicht ersichtlich ist, dass die Abgabe von Antragsformularen der DRV zur Klärung des Sachverhalts überhaupt erforderlich gewesen ist. Jedenfalls ist die Sachverhaltsaufklärung hierdurch nicht wesentlich erschwert worden. Eine Verknüpfung der Antragsformulare mit dem Verfahren zur Klärung der Erwerbsfähigkeit besteht nicht. Für die gutachterliche Stellungnahme benötigt es keine Antragsformulare.

Jobcenter hat Ermessen unzureichend ausgeübt

Außerdem hat das Jobcenter bei der Versagung der Leistungen das ihm zustehende Ermessen unzureichend ausgeübt, da sich zu maßgeblichen Gesichtspunkten und Fragen keine Ausführungen in den Versagungsbescheiden finden:

  • Konnte trotz der psychischen Erkrankung des Klägers das geforderte Verhalten abverlangt werden?
  • Weshalb hat das Jobcenter eine Versagung sämtlicher Leistungen und in vollem Umfang für notwendig erachtet?
  • Hat das Jobcenter erkannt, welche Auswirkungen eine vollständige Versagung für den Kläger haben wird (auch mit Blick auf eine drohende Wohnungslosigkeit)?

Da der Kläger in jedem Fall einen Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums hatte, entweder beim Jobcenter oder im Falle der Erwerbsminderung beim Sozialamt, hätte auch nachvollziehbar begründet werden müssen, warum die Behörde dieses Existenzminimum aufgrund nicht erfüllter Mitwirkungspflichten nicht mehr gewährleisten will. Dies gilt umso mehr, als hier nicht nur der tägliche Bedarf, sondern der Lebensmittelpunkt einer seit Jahren bewohnten kleinen Wohnung betroffen ist.


Hinweis: LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 27.6.2017, L 9 AS 1742/14

LSG Baden-Württemberg

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