Sozialgericht bestätigt Sozialämter bei Leistungskürzungen

Kriminelle Pflegedienste zahlen Patienten Belohnungen für ihr Mitwirken beim Abrechnungsbetrug. Sozialämter dürfen Sozialhilfeleistungen um diese "Kick-Back-Zahlungen" rückwirkend kürzen. Das hat das Sozialgericht Berlin beschlossen.

Seit einigen Jahren laufen in Deutschland umfangreiche strafrechtliche Ermittlungen gegen betrügerische Pflegedienste. Deren Geschäftsmodell besteht darin, zu Lasten der Sozialleistungsträger Pflegeleistungen abzurechnen, die tatsächlich gar nicht erbracht wurden. Als Komplizen der Pflegedienste wirken neben Ärzten vor allem auch Patienten mit, indem sie den Erhalt gar nicht erbrachter Pflegeleistungen quittieren und so deren Abrechnung ermöglichen. Zur Belohnung erhalten sie monatlich einen Anteil am Betrugserlös, der im Milieu als „Kick-Back-Zahlung“ bezeichnet wird.


Im Fokus der Staatsanwaltschaft Berlin stand zuletzt ein Pflegedienst aus Berlin. Sichergestellte Kassenbücher und Dienstpläne begründen den Verdacht, dass hier rund 300 Patienten in den Abrechnungsbetrug verwickelt waren.

„Kick-Back-Zahlungen“ verringern die Hilfebedürftigkeit

Die 1949 geborene Antragstellerin bezieht vom Antragsgegner, dem Sozialamt Steglitz-Zehlendorf, seit Jahren Grundsicherung im Alter. Zugleich war sie Patientin eines Pflegedienstes. Mit Bescheid vom 11. August 2016 nahm der Antragsgegner sämtliche Bescheide zurück, mit denen der Antragstellerin Sozialleistungen für den Zeitraum November 2014 bis Februar 2015 bewilligt worden waren. Die Antragstellerin habe in diesem Zeitraum für ihre Mitwirkung am Abrechnungsbetrug des Pflegedienstes ein Einkommen aus sogenannten „Kick-Back-Zahlungen“ zwischen 245 und 336 Euro monatlich erzielt. Dadurch sei ihre Hilfebedürftigkeit entsprechend verringert worden. 1.125 Euro zu viel gezahlte Sozialhilfe seien zurückzuzahlen. Zur Begleichung der Erstattungsforderung würden die laufende Grundsicherung ab sofort um monatlich 73 Euro gekürzt.

Volles Vertrauen in den Pflegedienst

Die Antragstellerin hat hiergegen beim Antragsgegner Widerspruch eingelegt. Zusätzlich hat sie beim Sozialgericht Berlin ein Eilverfahren anhängig gemacht mit dem Ziel, die sofortige Vollziehung der Rückforderung zu stoppen. Sie bestreitet, überhaupt „Kick-Back-Zahlungen“ erhalten zu haben und trägt vor, an der Redlichkeit des Pflegedienstes nie gezweifelt zu haben. Sie selbst habe über erhaltene Pflegedienstleistungen kein Buch geführt. Soweit Unterschriften erforderlich geworden seien, habe sie diese im vollen Vertrauen in den Pflegedienst geleistet.

Kürzung der laufenden Grundsicherung rechtmäßig

Durch Beschluss vom 26. Oktober 2016 hat der Vorsitzende der 145. Kammer des Sozialgerichts Berlin den Antrag abgewiesen. Nach summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes sei der Bescheid des Antragsgegners offensichtlich rechtmäßig.


Die Anrechnung der „Kick-Back-Zahlungen“ als Einkommen und die darauf gestützte Rückforderung von Sozialleistungen seien nicht zu beanstanden. Laut den von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Kassenbüchern habe die Antragstellerin über die Jahre von dem Pflegedienst insgesamt sogar Zahlungen in Höhe von 12.064 Euro erhalten. An der Richtigkeit der Kassenbücher habe das Gericht keine Zweifel. Offensichtlich habe der Pflegedienst derartige Unterlagen führen müssen, um angesichts von rund 300 am Betrugssystem beteiligten Patienten den Überblick über seine „Wirtschaftlichkeit“ zu behalten. Die Kassenbücher würden durch die ebenfalls beschlagnahmten Dienstpläne bestätigt.

Sofortige Reaktion des Sozialhilfeträgers erforderlich

Die Einwände der Antragstellerin seien in keiner Weise nachvollziehbar. Die Antragstellerin habe nämlich Nachweise über tägliche Pflege unterschrieben, obwohl sie laut Abschlussbericht des Landeskriminalamtes überhaupt nicht gepflegt worden sei. Die Unzuverlässigkeit des Pflegedienstes sei dem Gericht im Übrigen aufgrund einer Vielzahl weiterer Verfahren bereits bekannt.


Es bestehe auch ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Rückforderung. Angesichts des Alters der Antragstellerin und der Dauer eines Hauptsacheverfahrens würde ein weiteres Abwarten die Vollstreckung des geltend gemachten Ersatzanspruchs ernsthaft gefährden. Aufgrund des Ausmaßes des Leistungsbetrugs mit einem Schaden in Höhe von mehreren Millionen Euro sei auch aus generalpräventiven Gründen eine sofortige Reaktion des Sozialhilfeträgers erforderlich. Das Verhalten der beteiligten Leistungsempfänger müsse zur Vermeidung von Wiederholungsfällen unmittelbare Konsequenzen haben. Das Vorgehen diene dem Schutze des Sozialversicherungssystems und der Gesamtheit der Steuerzahler.

Mit Zunahme der Fälle ist zu rechnen

Der Beschluss gibt die überwiegende Rechtsauffassung am Sozialgericht wieder. Eine abweichende Auffassung hat die 146. Kammer vertreten (Beschluss vom 21. Oktober 2016 – S 146 SO 1487/16 ER). Die 146. Kammer hält den vom Sozialamt gewählten Weg, Einkommen aus Straftaten auf erhaltene Sozialhilfe anzurechnen, aus dogmatischen Gründen für falsch. Es sei inkonsequent, Gewinne aus kriminellen Handlungen auf die Sozialhilfe anzurechnen, denn Hilfeempfänger dürften grundsätzlich nicht auf Einnahmequellen verwiesen werden, die von der Rechtsordnung missbilligt werden.


Zur Zeit sind am Sozialgericht Berlin rund 20 vergleichbare Fälle anhängig. Mit einer weiteren Zunahme von Fällen zu dieser Problematik wird gerechnet. Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Er kann von der Antragstellerin mit der Beschwerde zum Landessozialgericht in Potsdam angefochten werden.

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