Vorzeitige Verrentung von Hartz IV-Beziehern rechtmäßig
Der im März 1950 geborene Kläger bezog mit seiner Ehefrau als Bedarfsgemeinschaft Hartz IV vom beklagten Jobcenter. Er konnte in den letzten Jahren nicht mehr in Arbeit vermittelt werden.
Rentensituation des Hartz IV-Beziehers
Die rentenrechtliche Situation des Hartz IV-Beziehers stellt sich wie folgt dar: Mit Vollendung seines 63. Lebensjahres kann er eine vorzeitige Altersrente in Anspruch nehmen, die nach der gesetzlichen Regelung für jeden Kalendermonat einer vorzeitigen Inanspruchnahme um 0,3 % zu kürzen ist. Erst zum 1.8.2015 erfüllt er die Voraussetzungen für den Bezug einer abschlagsfreien Regelaltersrente. Diese beträgt nach einer Auskunft des Rentenversicherungsträgers vom 31.5.2011 monatlich 924,66 Euro.
Das Jobcenter forderte den Hartz IV-Bezieher unter Hinweis auf dessen durch § 12a SGB II konkretisierte Selbsthilfeverpflichtung im September 2012 auf, einen Antrag auf vorzeitige Altersrente beginnend ab Vollendung seines 63. Lebensjahres beim Rentenversicherungsträger zu stellen. Klage und Berufung des Hartz IV-Beziehers blieben erfolglos. Die Vorinstanzen hielten seine Aufforderung zur Antragstellung, die als Verwaltungsakt erfolgt sei, durch das Jobcenter für rechtmäßig.
Jobcenter beantragte vorzeitige Altersrente
Während des gegen die Aufforderung zur Rentenantragstellung laufenden Klageverfahrens hat das Jobcenter am 8.7.2013 unter Berufung auf § 5 Absatz 3 Satz 1 SGB II für den Hartz IV-Bezieher bei der Deutschen Rentenversicherung einen Antrag auf vorzeitige Altersrente gestellt. Gegen den wegen mangelnder Mitwirkung des Klägers erteilten ablehnenden Bescheid des Rentenversicherungsträgers hat das Jobcenter während des Revisionsverfahrens Widerspruch eingelegt.
Hartz IV-Bezieher muss vorrangige Leistungen beziehen
Das Bundessozialgericht (BSG) hat auf die Revision des Klägers am 19.8.2015 entschieden, dass die angefochtene Aufforderung zur Rentenantragstellung rechtmäßig ist. Die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür (§ 5 Absatz 3 Satz 1 in Verbindung mit § 12a SGB II) sind erfüllt. Danach kann das Jobcenter, kommt der Leistungsberechtigte seiner Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen eines anderen Trägers nicht nach, ihn zur Beantragung dieser Leistungen auffordern. Bei unterbliebener Mitwirkung kann das Jobcenter für den Leistungsberechtigten den Antrag stellen. Zu den vorrangigen Leistungen gehört grundsätzlich auch die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres trotz der mit ihr verbundenen dauerhaften Rentenabschläge. Die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente durch den Hartz IV-Beziehers ist erforderlich, weil dies zur Beseitigung seiner Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II führt.
Keine unbillige Härte gegenüber dem Hartz IV-Bezieher
Der Verpflichtung des Hartz IV-Bezieher steht die Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente nicht entgegen, weil keiner der in der Unbilligkeitsverordnung abschließend geregelten Ausnahmetatbestände eingreift. Im Rahmen seiner Ermessensausübung hinsichtlich des Ob einer Aufforderung zur Antragstellung hat sich der Beklagte mit den vom Kläger gegen eine vorzeitige Renteninanspruchnahme vorgebrachten Argumenten auseinander gesetzt und andere Gründe für ein Abweichen vom gesetzlichen Regelfall der vorzeitigen Inanspruchnahme nicht erkennen können. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich. Sie drängen sich auch für den Senat des BSG nicht auf, zumal die vorzeitige Altersrente trotz der Abschläge erheblich höher als der Arbeitslosengeld II-Bedarf des Klägers ist, weshalb er durch deren Bezug nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB XII würde.
BSG, Urteil v. 15.8.2015, B 14 AS 1/15 R
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