Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinzuschätzungen bei einer Kapitalgesellschaft wegen unzureichender Kassenführung; fehlerhafte Schätzung als schwerwiegender Rechtsfehler; Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Sachaufklärungspflicht
Leitsatz (NV)
1. Es ist nicht klärungsbedürftig, ob bei Mängeln der Kassenführung einer Kapitalgesellschaft Betriebsausgaben in Höhe der hinzu geschätzten Einnahmen berücksichtigt werden können, wenn die nicht erklärten Einnahmen nicht im Betriebsvermögen verblieben sind.
2. Fehlerhafte Schätzungen sind grundsätzlich keine schwerwiegenden Rechtsfehler, die die Zulassung der Revision rechtfertigen.
3. Die Entscheidung über die Vertagung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Auch bei einer langen Beweisaufnahme wird regelmäßig die Unterbrechung der Verhandlung ausreichen, um Ermüdungserscheinungen eines Zeugen entgegenzuwirken.
4. Das FG ist nicht verpflichtet, die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft zum Beweis dafür, dass die Kapitalgesellschaft keine Gewinne erwirtschaftet hat, zu vernehmen, wenn nicht im Einzelnen dargetan wird, welche konkreten Tatsachen die Gesellschafter bei ihrer Einvernahme voraussichtlich bekundet hätten.
Normenkette
AO 1977 § 160 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3; GG Art. 103 Abs. 1; KStG § 8 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Es ist nicht klärungsbedürftig, ob bei Mängeln der Kassenführung einer Kapitalgesellschaft Betriebsausgaben in Höhe der hinzugeschätzten Einnahmen berücksichtigt werden können, wenn die nicht erklärten Einnahmen nicht im Betriebsvermögen verblieben sind. Macht die Kapitalgesellschaft --wie hier-- nicht zumindest glaubhaft, für welche betrieblichen Zwecke sie die Mehreinnahmen verwendet hat, kommt nach dem Senatsurteil vom 9. August 2000 I R 82/99 (GmbH-Rundschau --GmbHR-- 2001, 208) ein Abzugsverbot nach § 160 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) in Betracht, wenn es sich um bloße Unsicherheitszuschläge infolge von formellen Buchführungsmängeln oder Buchungsfehlern handelt. Ist nach Überzeugung des Finanzgerichts (FG) die Buchführung auch materiell unrichtig, weil nicht sämtliche Einnahmen erfasst sind, kann nach den Grundsätzen des geminderten Beweismaßes auch eine verdeckte Gewinnausschüttung --vGA-- (§ 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes) angenommen werden, wenn der Sachverhalt dies nahe legt (Senatsurteil vom 26. Februar 2003 I R 52/02, BFH/NV 2003, 1221). Weiterer höchstrichterlicher Klärungsbedarf ist angesichts dieser Rechtsprechung nicht erkennbar.
2. Das FG ist auch nicht von den Senatsurteilen vom 22. Januar 1997 I R 64/96 (BFHE 182, 530, BStBl II 1997, 548) und vom 4. September 2002 I R 48/01 (BFH/NV 2003, 347) abgewichen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO). Zwar hat nach Auffassung des Senats eine Kapitalgesellschaft keine außerbetriebliche Sphäre. Dies schließt jedoch die Anwendung des § 160 AO 1977 oder die Annahme einer vGA nicht aus (Senatsurteile in GmbHR 2001, 208, und in BFH/NV 2003, 1221).
3. Eine Zulassung der Revision ist auch nicht wegen einer greifbaren Rechtswidrigkeit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) des FG-Urteils erforderlich. Dieser Zulassungsgrund ist nur dann erfüllt, wenn dem FG bei der Auslegung und Anwendung des Rechts schwerwiegende Rechtsfehler unterlaufen, die geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2. September 2005 I B 56-59/05, BFH/NV 2006, 96). Hiervon ist bei fehlerhaften Schätzungen grundsätzlich nicht auszugehen.
4. Auch die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.
a) Das FG hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO).
Die Entscheidung über die Vertagung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (BFH-Beschluss vom 5. Mai 1999 VII S 27/98, BFH/NV 1999, 1484). Der Umstand, dass der Zeuge um 17.34 Uhr geäußert hat, er sei "fertig", weil er seit sechs Stunden nicht geraucht habe, begründet keinen Anspruch auf Vertagung. Vielmehr wird regelmäßig auch bei einer langen Beweisaufnahme eine Unterbrechung der Verhandlung ausreichen, um Ermüdungserscheinungen eines Zeugen entgegenzuwirken.
Diesem Erfordernis ist das FG nachgekommen. Ausweislich des Protokolls ist die mündliche Verhandlung um 14.34 Uhr fortgesetzt und der Zeuge danach zu einem nicht ausdrücklich im Protokoll festgehaltenen Zeitpunkt vernommen worden. Die mündliche Verhandlung wurde zwei weitere Male unterbrochen. Diese Pausen boten dem Zeugen ausreichende Gelegenheit zum Rauchen.
b) Das FG war auch nicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO verpflichtet, die weiteren Gesellschafter der Klägerin zum Beweis dafür, dass die Klägerin in den Streitjahren keinerlei Gewinne erwirtschaftet hat, zu vernehmen.
Die bloße Bekräftigung der Gesellschafter, dass in den Streitjahren keine Gewinne ausgezahlt wurden, ist nicht geeignet, die Höhe der von der Klägerin erwirtschafteten Gewinne nachzuweisen. Ob und in welcher Höhe Gewinne erzielt und ausgeschüttet wurden, ist durch eine geordnete Buchführung nachzuweisen und nicht durch Aussagen der Gesellschafter. Es ist nicht dargetan, welche konkreten Tatsachen die Gesellschafter bei ihrer Einvernahme darüber hinaus voraussichtlich bekundet hätten, die zu einem anderen Ergebnis hätten führen können.
c) Ebenso wenig musste das FG weitere Buchführungsunterlagen der Streitjahre zum Beweis der Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung beiziehen. Dieser Antrag war nicht beweiserheblich, da Art und Bestand der die Kassenführung betreffenden Buchführungsunterlagen, wie sie beispielhaft in die Betriebsprüfungsakten Eingang gefunden hatten, unstreitig waren und die Klägerin nicht vorgetragen hatte, dass darüber hinaus weitere Aufzeichnungen vorhanden waren.
d) Soweit die Klägerin bemängelt, das FG hätte aufgrund seiner Sachaufklärungspflicht die Kreditkartenbelege beiziehen müssen, ist nicht dargetan, inwieweit dies geeignet gewesen wäre nachzuweisen, dass 80 bis 90 v.H. der Umsätze der Klägerin über Kreditkarten abgewickelt wurden. Das FG ist davon ausgegangen, dass sämtliche Umsätze, die mit Kreditkarte getätigt wurden, von der Klägerin vollständig erfasst worden waren.
Fundstellen
Haufe-Index 1552083 |
BFH/NV 2006, 1687 |