Entscheidungsstichwort (Thema)
Erledigung eines Rechtsstreits wegen einstweiliger Anordnung
Leitsatz (NV)
1. Führt in einem Verfahren wegen vorläufiger Einstellung der Vollstreckung aus einem unanfechtbaren Steuerbescheid durch einstweilige Anordnung die Aufhebung des Steuerbescheids zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache durch übereinstimmende Erledigungserklärungen, ist die Kostenentscheidung nicht nach § 138 Abs. 2 FGO zu treffen.
2. Zur Ermessensausübung bei der Entscheidung über die Auferlegung der Kosten nach § 138 Abs. 1 FGO in Rechtsstreitigkeiten wegen einstweiliger Anordnung, in denen die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes fraglich ist.
3. Die Aussichtslosigkeit einer Vollstreckung ist in einem Verfahren wegen vorläufiger Einstellung der Vollstreckung durch einstweilige Anordnung in der Regel kein Anordnungsgrund.
Normenkette
FGO §§ 114, 138; ZPO § 920 Abs. 2
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) erwarb durch notariell beurkundeten Vertrag mehrere Grundstücke mit dem Vorbehalt, bis zum . . . vom Vertrag zurücktreten zu dürfen. Nachdem der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA - K) die Grunderwerbsteuer festgesetzt hatte und der Grunderwerbsteuerbescheid unanfechtbar geworden war, teilte die Beschwerdeführerin dem FA K mit, daß sie vom Kaufvertrag zurückgetreten sei. Die Verkäuferin der Grundstücke erklärte dem FA K auf dessen Nachfrage, daß eine schriftliche Rücktrittserklärung mit Datum vom 17. Mai 1985 erst am 1. April 1986 bei ihr eingegangen sei. Sie sehe den Rücktritt deshalb nicht als wirksam an.
Da die Beschwerdeführerin die Grunderwerbsteuer nicht zahlte, pfändete das FA B auf Ersuchen des FA K zunächst bestimmte Bankguthaben. Die Pfändung blieb jedoch wegen anderer vorrangiger Pfandrechte erfolglos. Deshalb forderte das FA B den Geschäftsführer der Beschwerdeführerin auf, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben.
Den Antrag der Beschwerdeführerin an das Finanzgericht (FG) mit dem Ziel, die Vollstreckung aus dem Grunderwerbsteuerbescheid durch einstweilige Anordnung vorläufig einzustellen, lehnte das FG ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im wesentlichen folgendes aus: Der Beschwerdeführerin stehe ein Anordnungsanspruch nicht zu. Eine Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids komme nicht in Betracht, da die Rückgängigmachung des Kaufvertrags nicht nachgewiesen sei. Darüber hinaus sei auch ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Es sei nicht ersichtlich, weshalb die Aufhebung des Bescheids durch eine Vollstreckung vereitelt oder wesentlich erschwert werde. Wesentliche Nachteile oder andere Gründe, die eine einstweilige Anordnung rechtfertigen könnten, seien nicht glaubhaft gemacht.
Ihre Beschwerde gegen den Beschluß des FG begründete die Beschwerdeführerin im wesentlichen wie folgt: Sie habe durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, daß ein Grunderwerb nicht stattgefunden habe, der Rücktritt vom Vertrag rechtswirksam erfolgt sei und der Notar dies bestätigt habe. Somit könne eine Grunderwerbsteuer nicht fällig sein. Im übrigen sei die Beschwerdeführerin inzwischen zahlungsunfähig und völlig handlungsunfähig geworden. Die - noch nicht eingezahlte - Einlage ihres Kommanditisten sei nicht zu erlangen, da dieser kein Geld habe und seine Vermögenswerte nicht zu liquidieren seien.
Im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens gab das FA K die Erklärung ab, der Rechtsstreit habe sich dadurch in der Hauptsache erledigt, daß die Verkäuferin der Grundstücke - nach Einlegung der Beschwerde - den Rücktritt vom Kaufvertrag angenommen habe und dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Aufhebung der Steuerfestsetzung sodann entsprochen worden sei. Auch die Beschwerdeführerin hat inzwischen den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
Nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist nur noch über die Auferlegung der Kosten des Verfahrens zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung ist nach § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu treffen. § 138 Abs. 2 FGO ist nicht deshalb anwendbar, weil die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids entsprechend einem Antrag der Beschwerdeführerin zur Erledigung des Rechtsstreits geführt hat. Dadurch ist nicht eine der Voraussetzungen erfüllt worden, von denen die Kostenentscheidung nach dieser Vorschrift abhängig ist. Eine Erledigung durch Aufhebung (Rücknahme) eines angefochtenen Verwaltungsakts auf Antrag der Beschwerdeführerin kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der aufgehobene Grunderwerbsteuerbescheid - unstreitig - unanfechtbar geworden war. Außerdem war im Streitfall über den Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung aufgrund des Grunderwerbsteuerbescheids und nicht über den Antrag auf Aufhebung dieses Bescheids zu entscheiden. Aus diesem Grunde kommt eine Anwendung des § 138 Abs. 2 FGO auch nicht mit der Begründung in Betracht, der Rechtsstreit habe sich dadurch erledigt, daß mit der Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids der beantragte Verwaltungsakt erlassen worden sei.
Nach § 138 Abs. 1 FGO ist über die Auferlegung der Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Danach ist es gerechtfertigt, die Kosten dem Beteiligten aufzuerlegen, der in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre, wenn dieser sich nicht in der Hauptsache erledigt hätte (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 30. Oktober 1985 VIII R 427/83, BFH/NV 1987, 259). Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand muß davon ausgegangen werden, daß die Beschwerde keinen Erfolg gehabt hätte und die Beschwerdeführerin infolgedessen unterlegen wäre, so daß ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen sind.
Die Beschwerde wäre ohne Erledigung des Rechtsstreits voraussichtlich mit der Begründung erfolglos geblieben, daß ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht sei (vgl. § 114 Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung). Ein Anordnungsgrund liegt nach § 114 Abs. 1 FGO dann vor, wenn die Gefahr besteht, daß die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird oder wenn wesentliche Nachteile, Gewalt oder ähnliche Beeinträchtigungen drohen. Die Gefahr der Vereitelung oder Erschwerung einer Rechtsverwirklichung hätte in Übereinstimmung mit den Ausführungen des FG vorausssichtlich mit der Begründung verneint werden müssen, daß als Rechtsverwirklichung nur die Aufhebung des Steuerbescheids in Betracht zu ziehen sei und daß nicht erkennbar sei, daß diese Rechtsverwirklichung durch eine Vollstreckung vereitelt oder erschwert werde. Drohende wesentliche Nachteile oder ähnliche schwerwiegende Beeinträchtigungen durch eine Vollstreckung hätten voraussichtlich schon deshalb nicht angenommen werden können, weil die Beschwerdeführerin nach ihrem eigenen Vorbringen bereits unabhängig von einer Vollstreckung durch das FA K zahlungsunfähig und völlig handlungsunfähig geworden war. Es ist nicht ersichtlich, welche darüber hinausgehenden Nachteile durch eine Vollstreckung noch hätten eintreten können. Die Frage, ob die Vollstreckung Aussicht auf Erfolg gehabt hätte und sinnvoll gewesen wäre, hätte bei der Entscheidung über die Beschwerde voraussichtlich keine Bedeutung erlangen können. Denn die Aussichtslosigkeit einer Vollstreckung ist zumindest in der Regel kein Anordnungsgrund im vorgenannten Sinne und vermag deshalb die einstweilige Einstellung der Vollstreckung durch eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO grundsätzlich nicht zu rechtfertigen.
Fundstellen
Haufe-Index 415928 |
BFH/NV 1989, 248 |