Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde: Verfahrensmangel/Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
Leitsatz (NV)
1. Zur Erheblichkeit eines Verfahrensmangels.
2. Eine Rechtsfrage hat nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn sie auch für die Entscheidung des Revisionsgerichts über die zuzulassende Revision von Bedeutung ist. Ein lediglich theoretisches Interesse an der Beantwortung der Rechtsfrage reicht für die Zulassung der Revision nicht aus.
3. Zur Subsidiarität der Feststellungsklage.
Normenkette
FGO § 41 Abs. 1 S. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin), ein Kreditinstitut, ließ sich zur Sicherung ihrer Forderungen aus Darlehen von den Darlehensnehmern deren Steuererstattungsansprüche aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich bzw. der Einkommensteuerveranlagung 1984 abtreten. Sie reichte dem Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt - FA -) acht Abtretungsanzeigen von verschiedenen Darlehensnehmern (Steuerpflichtigen) ein. Als Formular für die Abtretungsanzeigen verwendete die Klägerin einen privat hergestellten Vordruck, der dem amtlichen Vordruck (BStBl I 1982, 690) nachgebildet ist. Das FA sah die Abtretungen aus diesem Grunde nicht als rechtswirksam an.
Die Klägerin legte gegen eine entsprechende Mitteilung des FA Beschwerde ein, die dieses als Einspruch behandelte und als unbegründet zurückwies. Mit der Klage beantragte die Klägerin, die Einspruchsentscheidung aufzuheben und festzustellen, daß die streitbefangenen Abtretungsanzeigen rechtswirksam seien.
Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage als Feststellungsklage (§ 41 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) für zulässig und begründet. Im Tenor seines Urteils stellte es fest, daß die dem FA durch die Klägerin eingereichten Abtretungsanzeigen rechtswirksam seien. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, der von der Klägerin für die Abtretungsanzeigen verwendete Privatvordruck enthalte keine vom amtlichen Vordruck nach Form und Inhalt abweichenden Zusätze oder Ergänzungen, die dessen Schutz- und Bearbeitungsfunktion entgegenstünden. Die in dem verwendeten Formular zusätzlich eingedruckten Ergänzungen und Vorankreuzungen dienten der Vervollständigung der gesetzlich geforderten Angaben (§ 46 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) und damit der Erleichterung des Ausfüllens des Vordrucks und der Bearbeitung der Abtre
tungsanzeige in einer Vielzahl gleichliegender Fälle. Da die Abtretenden die Abtretungsanzeigen eigenhändig unterschrieben hätten, bestehe keine Veranlassung daran zu zweifeln, daß sie die im Formular ausgedruckten Warnhinweise zur Kenntnis genommen hätten.
Das FA begründet seine Nichtzulassungsbeschwerde damit, das Urteil beruhe auf einem Verfahrensmangel, weil das FG nicht geprüft habe, ob in den streitigen Fällen eine zulässige Sicherungsabtretung (§ 46 Abs. 4 Satz 2 AO 1977) oder eine für Steuererstattungsansprüche nicht zulässige Abtretung erfüllungshalber vorliege. Nachdem das FG zu dem Ergebnis gelangt sei, daß die Abweichungen in den Abtretungsanzeigen vom amtlich vorgeschriebenen Vordruck nicht zur Unwirksamkeit der Abtretung führten, hätte sich ihm die Notwendigkeit einer weiteren Beweisaufnahme hinsichtlich der Frage der Sicherungsabtretung aufdrängen müssen.
Hilfsweise trägt das FA vor, die Revision sei auch wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, weil der Bundesfinanzhof (BFH) bisher nicht entschieden habe, ob und ggf. in welchem Umfang zusätzliche Eindrucke in das amtlich vorgegebene Vordruckmuster aufgenommen werden könnten, ohne die Wirksamkeit der Abtretungsanzeige zu berühren. Da vergleichbare Fälle vermehrt auch im Bereich anderer FÄ aufträten, liege eine allgemeine Rechtsunsicherheit vor.
Die Klägerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Die Revision kann nicht deshalb zugelassen werden, weil die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhe (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Eine Entscheidung kann nur dann auf einem Verfahrensmangel beruhen, wenn es sich um Gründe handelt, die nach der Rechtsauffassung der Vorinstanz nicht hinweggedacht werden können, wenn die Entscheidung Bestand haben soll (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 115 Anm. 20, m.w.N.). Dem FG ist danach kein Verfahrensmangel unterlaufen. Es war nicht gehalten, die vom FA als fehlend gerügte Beweisaufnahme über das Vorliegen von Sicherungsabtretungen durchzuführen, da es hierauf nach dem Umfang der vom FG begehrten und der von ihm getroffenen Entscheidung nicht ankam.
Zwar ist die Frage, ob Steuererstattungsansprüche zur Sicherheit oder erfüllungshalber abgetreten worden sind, für die Realisierung des abgetretenen Anspruchs entscheidungserheblich, weil § 46 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 nur die Sicherungsabtretung für zulässig erklärt. Das FG hatte aber nicht über die Realisierung oder über den Bestand bestimmter abgetretener Erstattungsansprüche zu entscheiden. Vielmehr war das Klagebegehren lediglich darauf gerichtet, festzustellen, daß die streitbefangenen, dem FA vorliegenden Abtretungsanzeigen rechtswirksam seien. Allein über diese Rechtsfrage hat das FG im Rahmen der von ihm als zulässig angesehenen Feststellungsklage unter Beachtung des § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO (ne ultra petita) auch nur entschieden.
Nachdem es die Wirksamkeit der Abtretungsanzeigen bejaht hat, ist über die weitere Frage, ob die Abtretungen deshalb unwirksam sind, weil sie nicht zur Sicherheit erfolgt sind, im jeweiligen Verfahren über die Geltendmachung der Erstattungsansprüche bestimmter Zedenten durch die Klägerin oder in Fällen von Streitigkeiten zwischen der Klägerin und dem FA über den Bestand solcher abgetretener Erstattungsansprüche durch Erlaß von Abrechnungsbescheiden (§ 218 Abs. 2 AO 1977) zu entscheiden. Erst nach Durchführung der entsprechenden Verwaltungsverfahren in jedem einzelnen Abtretungsfalle kann die Frage des Vorliegens von Sicherungsabtretungen dem FG zur Entscheidung vorgelegt werden.
2. Auch eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) kommt nicht in Betracht. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn zu erwarten ist, daß die Entscheidung im künftigen Revisionsverfahren dazu dienen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestande zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. Gräber, a.a.O., § 115 Anm. 13, mit Rechtsprechungsnachweisen). Die betreffende Rechtsfrage darf nicht nur von theoretischem Interesse sein. Sie muß vielmehr für die Entscheidung des Revisionsgerichts von Bedeutung sein (vgl. Gräber, a.a.O., § 115 Anm. 12; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 115 FGO Tz. 56; BFH-Beschluß vom 23. Juni 1967 VI B 16/67, BFHE 89, 117, BStBl III 1967, 531). Das ist hinsichtlich der vom FA dargelegten Rechtsfrage, ob und in welchem Umfang der amtlich vorgeschriebene Vordruck für die Abtretungsanzeige gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 abgeändert werden kann, ohne daß die Wirksamkeit der Abtretung (§ 46 Abs. 2 AO 1977) berührt wird, nicht der Fall. Diese Rechtsfrage wäre für die Entscheidung des BFH nach Zulassung der Revision unerheblich, denn die Entscheidung im Revisionsverfahren müßte nach überschlägiger Prüfung dahin lauten, daß das Urteil der Vorinstanz und die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben wären, ohne daß über die Frage der Wirksamkeit der dem FA vorliegenden Abtretungsanzeigen entschieden würde.
Das FG hat die von der Klägerin erhobene Klage mit dem Antrag festzustellen, daß die Abtretungsanzeigen rechtswirksam seien, zu Recht als Feststellungsklage behandelt. Es hat diese aber zu Unrecht als zulässig angesehen. Nach § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Im Streitfall geht es der Klägerin um die Realisierung der an sie abgetretenen Steuererstattungsansprüche. Über die Frage der Wirksamkeit der Abtretungen insgesamt - nicht nur die der Wirksamkeit der Abtretungsanzeigen - ist in jedem Einzelfall im Rahmen der Geltendmachung der abgetretenen Ansprüche durch die Klägerin gegenüber dem FA zu entscheiden. Bei Streitigkeiten darüber, ob der Klägerin die abgetretenen Ansprüche zustehen oder ob die Steuererstattungsansprüche bereits durch Leistung an die Zedenten oder an Dritte verwirklicht sind, muß das FA - wiederum in jedem einzelnen Abtretungsfall - nach § 218 Abs. 2 AO 1977 durch Verwaltungsakt (Abrechnungsbescheid) entscheiden. Den Erlaß solcher Abrechnungsbescheide kann die Klägerin mit der Verpflichtungsklage erwirken; gegen Abrechnungsbescheide, die die Wirksamkeit der Abtretung und damit das Bestehen ihres Anspruchs gegenüber dem FA verneinen, kann sie sich mit der Anfechtungsklage zur Wehr setzen (§ 40 Abs. 1 FGO). Im Hinblick auf die hiernach möglichen Verpflichtungs- und Anfechtungsklagen entfällt aber wegen der Subsidiarität der Feststellungsklage das Rechtsschutzbedürfnis für eine auf die Frage der Wirksamkeit der Abtretungsanzeigen in mehreren Fällen beschränkte Feststellungsklage (vgl. BFH-Urteil vom 21. Januar 1977 III R 125/73, BFHE 121, 284, BStBl II 1977, 396). Über alle die Wirksamkeit der Abtretung berührenden Fragen (vgl. § 46 Abs. 2, 3 und 4 AO 1977) ist vielmehr insgesamt bei bestehenden Streitigkeiten durch den jeweiligen Abrechnungsbescheid zu entscheiden. Das FG hätte deshalb die auf die Wirksamkeit der Abtretungsanzeigen beschränkte Feststellungsklage als unzulässig abweisen müssen.
Es kann dahinstehen, ob in der Mitteilung des FA an die Klägerin, die von ihr vorgelegten Abtretungsanzeigen seien wegen formeller Mängel nicht wirksam, bereits ein anfechtbarer Verwaltungsakt (§ 118 AO 1977) liegt. Jedenfalls wäre ein solcher nicht mit dem Einspruch anfechtbar, da er in der Aufzählung des § 348 Abs. 1 AO 1977 nicht genannt ist. Ein Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO 1977 - aufgeführt in § 348 Abs. 1 Nr. 9 AO 1977 - kann in der Mitteilung des FA über die Abtretungsanzeigen jedenfalls nicht gesehen werden, da noch nicht abschließend und im Einzelfall über die Verwirklichung von Ansprüchen entschieden worden ist. Deshalb wäre im Falle der Zulassung der Revision nicht nur das Urteil des FG, sondern auch die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben, ohne daß über die vom FA als rechtsgrundsätzlich dargestellte Rechtsfrage entschieden würde.
Fundstellen