Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Auslegung einer Nichtzulassungsbeschwerde; offenbare grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage
Leitsatz (NV)
1. Die Auslegung einer prozessualen Willenserklärung (hier: einer Nichtzulassungsbeschwerde) darf nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der verkörperten Erklärung keine Anhaltspunkte finden lassen.
2. Im Rahmen der Auslegung von Rechtsbehelfen ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH darauf abzustellen, was dem wirklichen Willen und dem Ziel des Rechtsbehelfsführers bei verständiger Würdigung am Besten entspricht.
3. Zur Auslegung eines Rechtsmittels (hier: Nichtzulassungsbeschwerde) hinsichtlich der Person(en) des/der Rechtsmittelführer(s) und des Umfangs der Anfechtung.
4. Die Frage, ob der Gewinn aus der Auflösung einer Ansparrücklage nach § 7g Abs. 3 EStG dem laufenden oder dem Betriebsveräußerungsgewinn des Steuerpflichtigen zuzurechnen ist, ist von offenkundiger grundsätzlicher Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; EStG § 7g Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitig ist, ob der Gewinn aus der Auflösung einer Ansparrücklage nach § 7g Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dem laufenden oder dem Betriebsveräußerungsgewinn des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) zuzurechnen ist.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Kläger, zusammen zur Einkommensteuer veranlagter Ehegatten, wegen Einkommensteuer 1998 und die Klage des Klägers (Ehemannes) wegen Gewerbesteuermessbetrages 1998 mit dem angefochtenen Urteil als unbegründet abgewiesen, weil der Gewinn aus der Auflösung der vom Kläger gebildeten Ansparrücklage den laufenden und nicht den (tarifbegünstigten) Betriebsveräußerungsgewinn erhöhe.
Dagegen hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schriftsatz vom 13. Mai 2004 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und diese gleichzeitig begründet. Wörtlich führt der Prozessbevollmächtigte auf Seite 1 dieses Schriftsatzes im Anschluss an die Überschrift "Nichtzulassungsbeschwerde" u.a. Folgendes aus:
"In dem Finanzrechtsstreit
des Steuerpflichtigen … (Ehemann)
…
--Kläger und Beschwerdeführer--
…
gegen
das Finanzamt …
…
StNr.: …
wegen Einkommensteuer 1998
Im Namen des Beschwerdeführers lege ich … Beschwerde ein …".
In der sich unmittelbar anschließenden Beschwerdebegründung legt der Prozessbevollmächtigte dar, dass die Revision gegen das angefochtene Urteil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen sei.
Auf Nachfrage der Geschäftsstelle des beschließenden Senats, ob die Nichtzulassungsbeschwerde "nur für den Kläger (und nicht für die Ehegatten) und nur wegen Einkommensteuer 1998 eingelegt wurde", antwortete der Prozessbevollmächtigte mit nach Ablauf der Beschwerdefrist (1. Juni 2004) beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenem Schreiben vom 3. Juni 2004, dass er "hiermit (seine) Nichtzulassungsbeschwerde auf den Steuerpflichtigen … (Ehemann) und dessen Ehegattin … wegen der Einkommensteuer 1998 und des Gewerbesteuermessbetrages 1998" erweitere.
Entscheidungsgründe
II. 1. a) Angesichts der unter I. wiedergegebenen eindeutigen Formulierungen des Prozessbevollmächtigten der Kläger auf Seite 1 seiner Beschwerde(begründungs-)schrift ("In dem Finanzrechtsstreit des Steuerpflichtigen … … --Kläger und Beschwerdeführer--"; "Im Namen des Beschwerdeführers … lege ich … Beschwerde ein …") sieht sich der Senat außer Stande, im Wege der (extensiven) Auslegung in der Einkommensteuersache 1998 neben dem Kläger (Ehemann) auch die Klägerin (Ehefrau) als Beschwerdeführerin anzusehen. Aus der in Rede stehenden Beschwerde(begründungs-)schrift lässt sich nicht der geringste Anhalt dafür entnehmen, dass auch die Klägerin Beschwerdeführerin sein sollte. Der wesentliche Inhalt einer Prozesshandlung muss sich indessen zumindest andeutungsweise aus der (schriftlich) verkörperten Erklärung ergeben (vgl. z.B. Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., Vor § 33 Rz. 14, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Die Auslegung einer prozessualen Willenserklärung darf nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der verkörperten Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen (Gräber/von Groll, a.a.O., Vor § 33 Rz. 16, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
Auch eine "Umdeutung" der von einem rechtskundigen Prozessbevollmächtigten (hier: Steuerberater) gefertigten Beschwerdeschrift dahin, dass das Rechtsmittel hinsichtlich der Einkommensteuer 1998 von beiden Ehegatten eingelegt worden sein sollte, kommt nicht in Betracht (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 20. Juli 1993 X B 210/92, BFH/NV 1994, 382, unter III.; Gräber/ von Groll, a.a.O., Vor § 33 Rz. 17, m.w.N.; Tipke in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 357 AO 1977 Rz. 6).
Der Zulässigkeit der vom Prozessbevollmächtigten nach Ablauf der Beschwerdefrist (1. Juni 2004) mit Schriftsatz vom 3. Juni 2004 erklärten "Erweiterung der Nichtzulassungsbeschwerde" auf die Klägerin steht schließlich § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO entgegen.
b) Der Senat interpretiert die Beschwerde(begründungs-)schrift des Prozessbevollmächtigten im Wege der Auslegung in der Weise, dass der Kläger das FG-Urteil insgesamt --also sowohl hinsichtlich der Einkommensteuer 1998 als auch bezüglich des Gewerbesteuermessbetrages 1998-- angefochten hat. Dafür, dass der Kläger seine Anfechtung auf den die Einkommensteuer betreffenden Teil des FG-Urteils beschränken wollte, spricht zwar auf den ersten Blick der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte im Rubrum seiner Beschwerde(begründungs-)schrift als Sachbetreff lediglich "wegen Einkommensteuer 1998" angegeben hat. Hierbei handelt es sich jedoch nach Überzeugung des Senats um ein offenkundiges und daher irrelevantes Versehen. Wie sich aus der Beschwerdebegründung eindeutig ergibt, wendet sich der Kläger gegen den vom FG aufgestellten Rechtssatz, dass der Gewinn aus der im Zuge der Betriebsveräußerung aufgelösten § 7g-Rücklage dem laufenden Gewinn und nicht dem Betriebsveräußerungsgewinn zuzuordnen sei. Diese vom Kläger beanstandete Rechtsauffassung des FG entfaltet für den Kläger nachteilige Wirkungen nicht nur bei der Einkommensteuer (Anwendung des Regelsteuersatzes statt Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG 1998), sondern auch und vor allem bei der Gewerbesteuer (Einbeziehung in den Gewerbeertrag statt Nichterfassung). Der Kläger kann sein mit der Anfechtung des FG-Urteils verfolgtes Endziel, hinsichtlich der im Rahmen der Betriebsveräußerung aufzulösenden Ansparrücklage sowohl eine Einkommensteuerermäßigung als auch eine (vollständige) Gewerbesteuerentlastung herbeizuführen, allein durch eine auf die Einkommensteuersache 1998 beschränkte Teilanfechtung des FG-Urteils nicht erreichen. Denn solchenfalls wäre das FG-Urteil hinsichtlich des Gewerbesteuermessbetrages 1998 rechtskräftig geworden. Diese Rechtskraft (vgl. § 110 Abs. 2 FGO) stünde selbst im Falle des Obsiegens des Klägers im Rechtsstreit wegen Einkommensteuer 1998 einer Änderung des Gewerbesteuermessbescheids 1998 gemäß § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) entgegen (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Oktober 1979 I S 8/79, BFHE 129, 11, BStBl II 1980, 104; Blümich/Hofmeister, Gewerbesteuergesetz, § 35b Rz. 10; Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 35b Rz. 7).
Im Rahmen der Auslegung von Rechtsbehelfen ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH darauf abzustellen, was dem wirklichen Willen und dem Ziel des Rechtsbehelfsführers bei verständiger Würdigung am Besten entspricht (vgl. die Nachweise aus der BFH-Rechtsprechung bei Tipke/Kruse, a.a.O., § 357 AO 1977 Rz. 5). Daraus folgt für den Streitfall, dass der Wille des Klägers darauf gerichtet war, mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde das FG-Urteil in vollem Umfang, also auch hinsichtlich des Gewerbesteuermessbetrages, anzufechten. Dementsprechend bieten denn die Formulierungen in der Beschwerde(begründungs-)schrift im Anschluss an das Rubrum und den (nach Auffassung des beschließenden Senats nur verkürzt wiedergegebenen) Sachbetreff keinen Anhalt dafür, dass der Kläger seine Beschwerde auf eine Teilanfechtung des FG-Urteils beschränken wollte. So heißt es im unmittelbaren Anschluss an den Sachbetreff, dass gegen die Entscheidung des FG Beschwerde eingelegt werde. Von einer Teilanfechtung ist hier ebenso wenig die Rede wie in der anschließenden Beschwerdebegründung und in dem dort formulierten Begehren des Klägers, die "Revision … zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung …" und "wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache … zuzulassen".
2. Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Senat lässt die Revision wegen offenkundiger grundsätzlicher Bedeutung der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage zu. Der Beschluss ergeht insoweit nach § 116 Abs. 5 Satz 2 letzte Alternative FGO ohne Begründung.
Fundstellen