Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts; Einverständnis-Erklärung nach § 79a Abs. 3, 4 FGO
Leitsatz (NV)
1. Das FG war bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt i.S. von § 119 Nr. 1 FGO, wenn die vom Kläger abgegebene Erklärung - entgegen der irrtümlichen Annahme des FG - den Anforderungen des § 79a Abs. 4, Abs. 3 FGO nicht genügt.
2. Die Einverständnis-Erklärung ist eine einseitige (gestaltende) Prozesshandlung, die bereits mit Zugang bei Gericht wirksam wird, ohne dass es auf die Kenntnis des anderen Beteiligten von der (später abgegebenen und ihm nicht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 4 übersandten) Einverständnis-Erklärung des FA ankommt.
3. Die Einverständnis-Erklärung muss, um als Prozesshandlung wirksam zu sein, klar, eindeutig und vorbehaltlos und darf nicht an eine (außerprozessuale echte) Bedingung geknüpft sein, sie ist einer Auslegung (analog § 133 BGB) zugänglich. Bei ihrer Auslegung und Beurteilung ist der Senat nicht an die Feststellungen des FG gebunden.
4. Hingegen verändert die Erklärung, mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter nicht einverstanden zu sein, die prozessrechtliche Lage nicht, nach der grundsätzlich der gesamte Senat des FG zu entscheiden hat; sie kann also durch eine spätere Einverständnis-Erklärung ersetzt werden.
Normenkette
BGB § 133; FGO § 79a Abs. 3-4, § 90 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6, § 119 Nr. 1
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 30.09.2004; Aktenzeichen 3 K 207/99) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die steuerrechtliche Beurteilung eines als Kaufvertrag bezeichneten Vertrags über den Abbau von Sand (sog. Ausbeutevertrag) auf einem im Privatvermögen gehaltenen Grundstück des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) durch einen Dritten streitig. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) sah in dem Vorgang einen Pachtvertrag und erhöhte entsprechend die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Streitjahr 1994.
In dem nach erfolglosem Einspruch anhängigen Klageverfahren erklärte der Kläger im Schriftsatz vom August 1999 seinen Verzicht auf mündliche Verhandlung und sein Einverständnis mit einer Entscheidung durch den/die Berichterstatter/in, "sollte sich das Gericht meiner Rechtsauffassung anschließen". In seiner Erwiderung vom November 1999 war hingegen das FA mit einer Entscheidung durch den/die Berichterstatter/in "nicht einverstanden".
Im Verlauf des Klageverfahrens und nach erneuter "BE-Anfrage an Beteiligte" durch die neue Berichterstatterin erteilte der Kläger mit Schriftsatz vom Januar 2004 sein Einverständnis mit einer Berichterstatter-Entscheidung, "soweit das abgeschlossene Verfahren (Entscheidung Nds.FG vom 22.04.1998 Az.: 255/95 und Urteil des BFH vom 05.05.2003 Az.: IX R 64/98) in die Entscheidung einbezogen wird". Das FA erklärte sich nachfolgend im Schriftsatz vom Januar 2004, das der Kläger nicht zur Kenntnis erhielt, mit einer Berichterstatter-Entscheidung einverstanden.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision und rügt unzureichende Sachaufklärung von Amts wegen, das fehlende übereinstimmende Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin sowie die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs.
Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Denn das FG-Urteil beruht auf einem wesentlichen Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 1 FGO, weil die Berichterstatterin den Rechtsstreit --wie vom Kläger gerügt-- mangels fehlender übereinstimmender Einverständnis-Erklärungen der Beteiligten nicht entscheiden durfte.
1. Das FG war bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt i.S. von § 119 Nr. 1 FGO. Denn die vom Kläger abgegebene Erklärung genügt --entgegen der Annahme des FG-- den Anforderungen des § 79a Abs. 4, Abs. 3 FGO nicht.
a) Allerdings hatte sich das FA wirksam mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin einverstanden erklärt. Die Einverständnis-Erklärung gemäß § 79a Abs. 3 und 4 FGO ist eine einseitige (gestaltende) Prozesshandlung, die bereits mit Zugang bei Gericht wirksam wird (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 79a Rz. 26, § 90 Rz. 13; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 90 FGO Tz. 13), ohne dass es auf die Kenntnis des anderen Beteiligten --hier: des Klägers-- von der (später abgegebenen und nicht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 4 FGO übersandten) Einverständnis-Erklärung des FA ankommt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. Februar 2000 XI R 29/99, BFH/NV 2000, 963). Dem steht nicht entgegen, dass das FA zu Beginn des Klageverfahrens mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter nicht einverstanden war. Denn eine solche Erklärung verändert die prozessrechtliche Lage nicht, nach der grundsätzlich der gesamte Senat des FG zu entscheiden hat; sie kann also durch eine spätere Einverständnis-Erklärung ersetzt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Februar 1990 III R 101/87, BFH/NV 1991, 402; Gräber/Koch, a.a.O., § 79a Rz. 26, § 90 Rz. 13 a.E.; Tipke/Kruse, a.a.O., § 90 FGO Tz. 6).
b) Indes hat der Kläger selbst keine wirksame Einverständnis-Erklärung gegenüber dem FG abgegeben. Die Einverständnis-Erklärung muss, um als Prozesshandlung wirksam zu sein, klar, eindeutig und vorbehaltlos und darf nicht an eine (außerprozessuale echte) Bedingung geknüpft sein, sie ist einer Auslegung (analog § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) zugänglich (vgl. BFH-Urteile vom 5. November 1991 VII R 64/90, BFHE 166, 145, BStBl II 1992, 425; vom 15. Dezember 1998 VIII R 74/97, BFHE 187, 404, BStBl II 1999, 300, m.w.N.; Gräber/Koch, a.a.O., § 79a Rz. 26, § 90 Rz. 9; von Wedel, in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 90 Rz. 20; Tipke/Kruse, a.a.O., § 90 FGO Tz. 8). Bei ihrer Auslegung und Beurteilung ist der Senat nicht an die Feststellungen des FG gebunden (vgl. BFH-Urteil vom 4. September 2002 XI R 67/00, BFHE 200, 1, BStBl II 2003, 142, unter II. 2. a).
c) Danach ist die vorliegende Erklärung des Klägers vom Januar 2004, sein Einverständnis zu erteilen, "soweit das abgeschlossene Verfahren (… BFH IX R 64/98) in die Entscheidung einbezogen wird", als unter einer Bedingung abgegeben anzusehen; sie ist damit unwirksam. Diese Formulierung spricht sowohl formell ("soweit") wie auch inhaltlich (Bezugnahme auf ein bestimmtes BFH-Urteil) für ein nur bedingtes Einverständnis. Die ausdrückliche Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 6. Mai 2003 IX R 64/98 (BFH/NV 2003, 1175), mit dem der BFH die Beurteilung eines Substanzausbeutevertrages als Kaufvertrag durch das FG nicht beanstandet hatte, bringt die konkrete Annahme eines für den Kläger positiven Ausgangs im anhängigen FG-Verfahren zum Ausdruck. Für diese Auslegung spricht auch die erste vom Kläger abgegebene, ebenso nur bedingte Einverständnis-Erklärung ("sollte sich das Gericht meiner Rechtsauffassung anschließen").
2. Der Senat hält es im Streitfall aus Gründen der Prozessökonomie für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO das angefochtene FG-Urteil wegen Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren verweist der erkennende Senat auf sein Urteil in BFH/NV 2003, 1175, und die dort zitierte Rechtsprechung. Danach kommt es für das FG als Tatsacheninstanz bei der erforderlichen Auslegung und Abgrenzung von Substanzausbeuteverträgen entscheidend auf den wirtschaftlichen Gehalt der zugrunde liegenden Vereinbarung(en) an, wie er sich nach dem Gesamtbild der gestalteten Verhältnisse des Einzelfalls unter Berücksichtigung des wirklichen Willens der Vertragsparteien ergibt.
Fundstellen
BFH/NV 2005, 1352 |
AO-StB 2005, 199 |