Entscheidungsstichwort (Thema)
Ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der auf § 31 Nr. 18 TabStG gestützten Nachsteuer-Verordnung
Leitsatz (NV)
Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG ) bestehen an der Verfassungsmäßigkeit der auf § 31 Nr. 18 TabStG gestützten Nachsteuer-Verordnung erhebliche Zweifel, weil von der Nachsteuer gerade diejenigen Tabakerzeugnisse verschont bleiben, die der Verordnungsgeber eigentlich belasten wollte, nämlich Tabakstränge, die dazu bestimmt sind, durch einen einfachen nichtindustriellen Vorgang in eine Zigarettenpapierhülse geschoben zu werden (Zigaretten).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 3; TabStG § 2 Abs. 2 Nr. 2, § 31 Nr. 18; FeinSchnStV § 1
Verfahrensgang
Hessisches FG (Beschluss vom 04.04.2006; Aktenzeichen 7 V 178/06) |
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) handelt mit Tabakwaren, u.a. auch mit vorportioniertem Feinschnitt. Um ihre Altbestände an Tabakwaren der nach § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Erhebung einer Nachsteuer auf vorportionierten Feinschnitt vom 16. November 2005 --Nachsteuer-Verordnung-- (BGBl I, 3165) angeordneten Nachbesteuerung zuzuführen, gab die Antragstellerin beim Antragsgegner und Beschwerdeführer (Hauptzollamt --HZA--) im Dezember 2005 in Bezug auf ihre am 1. September 2005 vorhandenen Feinschnittbestände eine Tabaksteueranmeldung ab. Über den gegen diese Steueranmeldung eingelegten Einspruch hat das HZA noch nicht entschieden; den Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hat es abgelehnt. Am 23. Dezember 2005 hat die Antragstellerin den Nachsteuerbetrag entrichtet.
Der an das Finanzgericht (FG) gerichtete Antrag auf Aufhebung der Vollziehung hatte Erfolg. Das FG hegte ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts und ordnete die Aufhebung und Aussetzung der Vollziehung an.
Zur Begründung der Entscheidung führte das FG aus, dass ernsthafte Zweifel an der Bestimmtheit der in § 31 Nr. 18 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) enthaltenen Ermächtigungsgrundlage und an der Vereinbarkeit der Nachsteuer-Verordnung mit dem Gemeinschaftsrecht bestünden. Die Ermächtigung zum Erlass einer Nachsteuer-Verordnung sei nur für den Fall erteilt worden, dass die Nachsteuererhebung zur Sicherung des Tabaksteueraufkommens erforderlich sei. Nähere Konkretisierungen habe der Gesetzgeber nicht getroffen. Die Tabaksteuer sei in drei Stufen angehoben worden. Bei den ersten der beiden Stufen habe das Bundesministerium der Finanzen (BMF) von einer Nachsteuererhebung abgesehen. Erst als das Tabaksteueraufkommen weggebrochen sei, habe der Verordnungsgeber von der Ermächtigung Gebrauch gemacht. In Anbetracht des Umstandes, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in seinem Urteil vom 10. November 2005 Rs. C-197/04 (EuGHE 2005, I-9739) die Besteuerung der unter dem Namen "West Single Packs" vertriebenen Feinschnitttabakstränge als Feinschnitt beanstandet hatte, und diese Produkte nach den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts als Zigaretten hätten besteuert werden müssen, sei die zuvor für möglich gehaltene Verschiebung zwischen Zigaretten und Feinschnittzigaretten entfallen. Damit stelle sich die Frage nach der Notwendigkeit der Nachsteuererhebung.
Zweifelhaft sei darüber hinaus, ob die für den Steuergegenstand gewählten Begriffsbestimmungen mit den Vorgaben des TabStG und dem Gemeinschaftsrecht in Einklang gebracht werden könnten. Denn den Begriff des vorportionierten Feinschnitts kenne das TabStG nicht. Nach den Vorgaben der Nachsteuer-Verordnung solle es sich dabei um Tabakstränge handeln, die dazu bestimmt seien, in eine Zigarettenpapierhülse geschoben zu werden und die weder Zigarren oder Zigarillos noch Zigaretten seien. Damit entspreche die in der Nachsteuer-Verordnung enthaltene Beschreibung der Tabakstränge, die nach dem Willen des Verordnungsgebers als vorportionierter Feinschnitt verstanden werden sollten, weitgehend der Definition der Zigaretten. Mit der getroffenen Begriffsbestimmung werde zudem gegen die gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Definition für Zigaretten, wie sie vom EuGH bestätigt worden sei, verstoßen. Ob es möglicherweise auch Feinschnitt geben könnte, der in einer nicht rauchbaren Umhüllung vorportioniert sei, um dann in eine Zigarettenpapierhülse geschoben zu werden, brauche nicht entschieden zu werden. Jedenfalls ergebe sich aus der in der Steueranmeldung verwendeten Bezeichnung der nachversteuerten Tabakwaren, dass dabei zahlreiche "Single Packs" gewesen seien. Die ebenfalls verwendeten Bezeichnungen "Stick" oder "Stix" deuteten auf gleichartige Produkte hin.
Hiergegen wendet sich das HZA mit seiner Beschwerde, mit der es beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung abzulehnen. Der Gesetzgeber sei nicht daran gehindert, in Ermächtigungsnormen Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden. Im Hinblick auf den zu beachtenden Bestimmtheitsgrundsatz genüge es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen ließen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Vorgeschichte des Gesetzes. Ausgehend vom Prinzip der Preisbindung bei Tabakwaren entspreche es gerade nicht dem typischen kaufmännischen Verhalten, altversteuerte Tabakwaren zu beziehen. Allein durch die Aufnahme einer Ermächtigung zur Nachsteuererhebung habe der Gesetzgeber seinen Willen deutlich zum Ausdruck gebracht, das Steueraufkommen zu sichern und eine Bevorratung von Altbeständen möglichst zu verhindern. Mit der Ermächtigung habe die Nachversteuerung nach Möglichkeit überflüssig gemacht werden sollen.
Das FG stelle einen nicht bestehenden Kausalzusammenhang zwischen dem Erlass der Nachsteuer-Verordnung und dem Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH her. Nach der von Deutschland vertretenen Auffassung habe es beim Feinschnitt zwei Produktgruppen gegeben. Zum einen den klassischen Feinschnitt für selbst gedrehte Zigaretten und zum anderen vorportionierten Feinschnitt. Der Verordnungsgeber habe sich im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz veranlasst gesehen, nur in Bezug auf den vorportionierten Feinschnitt eine Nachsteuerregelung zu treffen. Die in der Nachsteuer-Verordnung aufgenommene Begriffsbestimmung stehe nicht im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht, sondern spiegele die besonderen Verhältnisse auf dem deutschen Markt für Tabakwaren wieder.
Als ein geeignetes Kriterium für die Notwendigkeit einer Nachversteuerungsregelung seien die durchschnittlichen monatlichen Steuerzeichenbezüge erachtet worden. Die Hersteller seien frühzeitig darauf hingewiesen worden, dass eine Überschreitung bestimmter Mengen eine Nachsteuer zur Folge haben würde. Da dieses Verfahren Erfolg versprechend schien, sei zunächst auf den Erlass einer Nachsteuer-Verordnung verzichtet worden. Für die dritte Stufe der Steuererhöhung zum 1. September 2005 habe weiterer Handlungsbedarf bestanden. Die zusätzlich vorgenommenen Bestandsaufnahmen hätten dann zu dem Ergebnis geführt, dass zwar neupreisige Zigaretten, aber überwiegend altpreisig vorportionierter Feinschnitt im Handel vorrätig gewesen seien. Darauf habe auch der im August 2005 sprunghaft angestiegene Steuerzeichenbezug für Feinschnitt hingewiesen. Mit Schreiben der Zentralen Steuerzeichenstelle Bünde vom 1. Juni 2005 seien die Tabakverbände darauf hingewiesen worden, dass sich ab dem 1. September 2005 ausschließlich neupreisige Waren hätten im Handel befinden dürfen. Das vom BMF an alle Tabakverbände gerichtete Schreiben vom 27. Juli 2005 habe diesen Hinweis nochmals präzisiert. Der Erlass einer Nachsteuer-Verordnung nur für vorportionierten Feinschnitt sei aus den genannten Gründen sachgerecht gewesen. Eine Kontingentierung von Steuerzeichen habe es nicht gegeben. Im Übrigen sei der erstinstanzlichen Entscheidung nicht zu entnehmen, warum auf die Anordnung einer Sicherheitsleistung verzichtet worden sei.
Die Antragstellerin hat sich zu der Beschwerde des HZA nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das FG hat die Vollziehung der angefochtenen Tabaksteueranmeldung zu Recht aufgehoben und ausgesetzt.
1. Nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag ganz oder teilweise die Aussetzung sowie die Aufhebung der Vollziehung eines schon vollzogenen Verwaltungsakts, auch gegen Sicherheit, anordnen. Die Anordnung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken, wobei die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe nicht überwiegen müssen, so dass eine Aufhebung der Vollziehung auch dann zu gewähren ist, wenn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids später im Hauptsacheverfahren bestätigt werden sollte (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. September 2002 IV S 3/02, BFH/NV 2003, 187, m.w.N.).
Im Streitfall ist der angefochtene Verwaltungsakt in Gestalt der von der Antragstellerin abgegebenen Steueranmeldung durch die freiwillige Entrichtung der Tabaksteuer vollzogen worden. Die freiwillige Zahlung steht der Aufhebung der Vollziehung, etwa durch Erstattung des gezahlten Betrages, nicht entgegen (BFH-Beschluss vom 22. Juli 1977 III B 34/74, BFHE 123, 112, BStBl II 1977, 838).
2. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig ist. Zweifel bestehen insbesondere hinsichtlich der Frage, ob die Nachsteuer-Verordnung die in § 31 Nr. 18 TabStG aufgeführten Voraussetzungen erfüllt und ob die von ihr erfassten Steuergegenstände in einer gemeinschaftsrechtskonformen Weise bezeichnet werden.
Entgegen dem Wortlaut der Ermächtigung, der generell Zigaretten und Feinschnitt anspricht, unterwirft § 1 Nachsteuer-Verordnung nur vorportionierten Feinschnitt der Nachsteuer. Dabei gelten als vorportionierter Feinschnitt nur solche Tabakstränge, die dazu bestimmt sind, in eine Zigarettenpapierhülse geschoben zu werden und die keine Zigarren oder Zigarillos i.S. von § 2 Abs. 1 TabStG oder Zigaretten i.S. von § 2 Abs. 2 TabStG sind. Ausgenommen sind folglich Tabakstränge, die dazu bestimmt sind, durch einen einfachen nichtindustriellen Vorgang in eine Zigarettenpapierhülse geschoben zu werden, denn diese Erzeugnisse sind nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 TabStG Zigaretten (entsprechend der Vorgabe in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie Nr. 95/59/EG --Tabakstrukturrichtlinie-- des Rates vom 27. November 1995 über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 291/40). Für die angeordnete Besteuerung verbleiben danach nur solche Tabakstränge, die einen solchen Aufwand zur Fertigstellung einer rauchbaren Zigarette erfordern, der über einen einfachen nichtindustriellen Vorgang hinausgeht. Da nach dem Willen des Verordnungsgebers insbesondere Feinschnittzigaretten, also sog. Sticks und vorportionierter Feinschnitt, nachträglich besteuert werden sollten (vgl. Scheuer, Neuere Entwicklungen im internationalen und nationalen Tabaksteuerrecht, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2006, 2, 7), liegt die Vermutung nahe, dass der Verordnungsgeber davon ausging, dass diese Produkte nicht von der in § 2 Abs. 2 Nr. 2 TabStG angeführten Begriffsbestimmung erfasst würden.
Wie der EuGH zu den unter dem Namen "West Single Packs" vertriebenen Feinschnitttabaksträngen entschieden hat, ist dies unter Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben jedoch nicht der Fall. Gerade die im Handel als Sticks bezeichneten Tabakstränge, die Deutschland im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Nachsteuer-Verordnung als Feinschnitt besteuerte, bildeten Anlass zu dem von der Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren, das mit der Feststellung des EuGH endete, Deutschland habe durch die Anwendung des Steuersatzes für Feinschnitt für selbst gedrehte Zigaretten auf die unter dem Namen "West Single Packs" verkauften Tabakstränge gegen das einschlägige Gemeinschaftsrecht verstoßen (vgl. EuGH-Urteil in EuGHE 2005, I-9739). Somit ist davon auszugehen, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 TabStG die vorportionierten Feinschnittprodukte erfasst, die mit der normalen Zigarette in einem besonders stark ausgeprägten Substitutionsverhältnis stehen, und deren nachträgliche Versteuerung mit der Nachsteuer-Verordnung gerade erreicht werden sollte. Sie bleiben indes als "Zigaretten" i.S. des § 2 Abs. 2 TabStG von der Nachversteuerung gerade verschont. Hiergegen bestehen unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) Bedenken, die ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts begründen.
Im Übrigen wäre der angefochtene Bescheid unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH auch deshalb zu beanstanden, weil die angemeldeten Bestände an vorportioniertem Feinschnitt nicht nach dem Zigarettensteuersatz (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 TabStG), sondern gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 TabStG zu dem Steuersatz für Feinschnitt besteuert würden.
3. Da bereits die vorgenannten Erwägungen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts begründen und die Aufhebung der Vollziehung als geboten erscheinen lassen, bedarf es im summarischen Verfahren keiner näheren Ausführungen darüber, ob die Vorentscheidung auch deshalb zu bestätigen ist, weil ernsthafte Zweifel darüber bestehen, ob die Erhebung einer Nachsteuer auf Tabakwaren nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in der Tabakstrukturrichtlinie und der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABlEG Nr. L 76/1) überhaupt zulässig ist, ob der Gesetzgeber bei der Normierung der Ermächtigungsgrundlage das Bestimmtheitsgebot (Art. 80 Abs. 1 GG) in ausreichendem Maße beachtet hat und die eigentliche Entscheidung über die Erhebung einer Nachsteuer dem Verordnungsgeber überlassen durfte (in der Vergangenheit beruhte die Erhebung einer Nachsteuer regelmäßig auf gesetzlichen Bestimmungen; vgl. die Übersicht bei Förster, Die Verbrauchsteuern, S. 70 ff.) und ob der Nachsteuerregelung eine echte und daher verfassungsrechtlich zu beanstandende Rückwirkung beizumessen wäre (vgl. zur Zulässigkeit einer angeordneten Rückwirkung bei der Erhebung von Nachsteuern Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Mai 1985 2 BvR 285/85, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1987, 93).
Fundstellen
Haufe-Index 1814377 |
BFH/NV 2007, 2361 |