Entscheidungsstichwort (Thema)
Analoge Anwendung der §§ 68 und 127 FGO im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Leitsatz (NV)
1. § 68 FGO findet auch im Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision Anwendung.
2. Ergeht während des Verfahrens über eine zulässige, aber unbegründete Nichtzulassungsbeschwerde ein Änderungsbescheid, ist die Vorentscheidung entsprechend § 127 FGO aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Die Vorentscheidung ist jedoch nicht entsprechend § 127 FGO aufzuheben, wenn der Änderungsbescheid keine gegenüber den bisherigen Belastungen verbösernde Entscheidung enthält oder diese Entscheidung nicht streitig ist (Bestätigung der BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
FGO §§ 68, 127
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 18.01.2007; Aktenzeichen 16 K 10658/04) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) erhobenen Rügen sind zum Teil unbegründet, im Übrigen aber unzulässig.
Die Kläger haben das Erfordernis einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (unten 2.), die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (unten 3.) und die Notwendigkeit einer BFH-Entscheidung zur Fortbildung des Rechts (unten 4.) entweder nicht schlüssig dargelegt oder die Voraussetzungen des geltend gemachten Revisionsgrundes liegen nicht vor.
1. Der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) geänderte Bescheid für 1996 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 13. Dezember 2007 ist in entsprechender Anwendung des § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geworden (vgl. dazu u.a. BFH-Beschlüsse vom 18. Dezember 2003 II B 31/00, BFHE 204, 35, BStBl II 2004, 237, und vom 31. Mai 2005 VIII B 294/03, BFH/NV 2005, 1832).
Eine Zurückverweisung mit Rücksicht auf den geänderten Einkommensteuerbescheid für 1996 vom 13. Dezember 2007 an das Finanzgericht (FG) war nicht erforderlich. Zwar ist § 127 FGO im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entsprechend anzuwenden, wenn während des Beschwerdeverfahrens ein Änderungsbescheid erlassen und Gegenstand des Verfahrens wird (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 204, 35, BStBl II 2004, 237; vom 18. Januar 2005 VIII B 97/03, BFH/NV 2005, 899; in BFH/NV 2005, 1832). Die Vorentscheidung ist aber dann nicht entsprechend § 127 FGO aufzuheben, wenn der Bescheid keine gegenüber den bisherigen Belastungen verbösernde Entscheidung enthält oder diese Entscheidung nicht streitig ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom 31. März 2006 V B 13/04, BFH/NV 2006, 1492; in BFH/NV 2005, 1832, m.w.N.; vom 8. Februar 2007 IV B 138/05, BFH/NV 2007, 1326). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Durch den Einkommensteuerbescheid für 1996 vom 13. Dezember 2007 wurde der Änderungsbescheid vom 9. Oktober 2007 dem Begehren der Kläger entsprechend geändert; dieser Änderungsbescheid wiederum hatte den dem finanzgerichtlichen Urteil zugrundeliegenden Einkommensteuerbescheid vom 4. November 2004 geändert. Die durch diese Änderungsbescheide insgesamt aufgrund der erhöhten Beteiligungseinkünfte aus der X GmbH & Co. KG und der geringeren Verluste durch die Beteiligung an der Y eingetretene Verböserung ist vom FG zwar noch nicht überprüft worden; die Einkünfte sind jedoch zwischen den Beteiligten nicht streitig und berühren nicht die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs. Eine Zurückverweisung war daher nicht erforderlich.
2. Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn das FG mit einem das angegriffene Urteil tragenden und für das Urteil entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz einer anderen Gerichtsentscheidung abgewichen ist. Das angefochtene FG-Urteil und die (vorgebliche) Divergenzentscheidung müssen dabei dieselbe Rechtsfrage betreffen und zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sein (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 48 und 53, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Zur schlüssigen Darlegung einer solchen Abweichung muss der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den mutmaßlichen Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen.
Daran fehlt es im Streitfall.
a) Aufgrund der von den Klägern zunächst zitierten Entscheidungen des BFH vom 17. August 1995 II R 25/93 (BFH/NV 1996, 196), vom 17. Juni 1992 X R 47/88 (BFHE 169, 103, BStBl II 1993, 174) und vom 27. November 1981 II R 18/80 (BFHE 134, 519, BStBl II 1982, 276) sollte belegt werden, dass die in der Anlage 1 zur Beschwerdebegründungsschrift vom 2. Mai 2007 unter den Nummern 1 bis 5 aufgeführten Bescheide --das sind die Bescheide vom 29. April 1998, vom 26. Oktober 1998, vom 30. August 1999, vom 13. Juni 2003 sowie die Einspruchsentscheidung vom 12. Juli 2004-- mangels Bestimmtheit als nichtig hätten angesehen werden müssen. Dabei übersehen die Kläger aber, dass das FG seine Entscheidung ausdrücklich nur auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 4. November 2004 gestützt hat, so dass einer --behaupteten-- Divergenz in Bezug auf diese Bescheide keine Entscheidungserheblichkeit zukommt.
b) In Bezug auf den Bescheid vom 4. November 2004 --in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13. Dezember 2007-- sehen die Kläger eine Divergenz zu den Urteilen des BFH vom 23. August 2000 X R 27/98 (BFHE 193, 19, BStBl II 2001, 662) und vom 4. Oktober 1989 V R 39/84 (BFH/NV 1990, 409). Als abstrakten Rechtssatz entnehmen sie den beiden Entscheidungen, dass ein Verwaltungsakt wirksam wird, wenn er dem Adressaten mit Bekanntgabewillen der Behörde zur Kenntnis gebracht wird. Es fehlt aber sowohl an der Herausarbeitung eines diesem widersprechenden abstrakten Rechtssatzes im finanzgerichtlichen Urteil als auch an der Darlegung, dass es sich im vorliegenden Fall um einen vergleichbaren Sachverhalt handelt. Dies wäre bereits deshalb notwendig gewesen, weil Anhaltspunkte, warum es an einem behördlichen Bekanntgabewillen fehlen könnte, nicht erkennbar sind.
c) Ebenso wenig haben die Kläger substantiiert eine Divergenz zu den Entscheidungen des BFH vom 1. Juli 1987 II B 204/86 (BFH/NV 1988, 50) und des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. November 1986 8 C 127.84 (BStBl II 1987, 472) dadurch herausgearbeitet, dass sie lediglich darauf hinweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung "ein nichtiger Steuerbescheid nicht existent" sei.
d) Eine behauptete Abweichung zum Urteil des erkennenden Senats vom 25. April 2006 X R 42/05 (BFHE 212, 421, BStBl II 2007, 220) kann die Zulassung der Revision ebenfalls nicht rechtfertigen. Die Kläger behaupten, dass bei Zugrundelegung dieses BFH-Urteils hinsichtlich der verstorbenen A bereits am 31. Dezember 2002 Festsetzungsverjährung eingetreten sei; dies sei vom FG nicht berücksichtigt worden. Dabei übersehen die Kläger aber, dass sie die Klage als Gesamtrechtsnachfolger des verstorbenen B und nicht als Gesamtrechtsnachfolger ihrer Mutter A erhoben haben und daher das Urteil auch nur gegen sie als Gesamtrechtsnachfolger ihres Vaters ergehen konnte. Auf eine potentielle Festsetzungsverjährung im Hinblick auf die Steueransprüche gegen ihre Mutter brauchte das FG gerade vor dem Hintergrund des zitierten Senatsurteils in BFHE 212, 421, BStBl II 2007, 220 nicht einzugehen.
3. Soweit die Kläger die Nichtzulassungsbeschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der von ihnen für erheblich gehaltenen Rechtsfrage stützen, ein nicht existenter Steuerbescheid könne nicht geändert werden und der einen nichtigen Steuerbescheid ändernde Steuerbescheid sei selber nichtig, und dies damit begründen, dass sich viele finanzgerichtliche Verfahren mit der Nichtigkeit von Bescheiden beschäftigen und die Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden sei, muss sie ebenfalls erfolglos bleiben. Der BFH hat wiederholt ausgeführt, die Auswirkung einer Entscheidung der Rechtsfrage auf eine Vielzahl von Fällen allein könne noch nicht deren grundsätzliche Bedeutung begründen. Auch der Umstand, dass eine Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich entschieden ist, kann deren grundsätzliche Bedeutung allein nicht begründen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Oktober 1994 V B 34/94, BFH/NV 1995, 530, und vom 3. Mai 1994 VII B 22/94, BFH/NV 1995, 79, m.w.N.).
Macht der Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend, so muss er vielmehr u.a. substantiiert darauf eingehen, weshalb die Beantwortung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Zur schlüssigen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit muss er außerdem begründen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 32, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Diesen Erfordernissen genügt die Beschwerdebegründung der Kläger nicht. Sie erschöpft sich in der schlichten Behauptung, dass --falls die Rechtsprechung die oben beschriebene Rechtsfrage beantworte-- das finanzgerichtliche Urteil dieser Rechtsprechung widerspreche. Das reicht für einen substantiierten Vortrag nicht aus.
4. Aus denselben Gründen kommt die Zulassung der Revision auch nicht wegen des Erfordernisses einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) in Betracht (zur Qualifikation dieses Zulassungsgrundes als speziellen Tatbestand der "Grundsatzrevision" vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 38).
Fundstellen