Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit; Gewährung rechtlichen Gehörs bei dienstlichen Äußerungen
Leitsatz (NV)
1. Die grundgesetzliche Gewährleistung des Rechts auf Gehör gebietet, daß vor einer Entscheidung über den Antrag auf Ablehnung eines Richters die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters den Beteiligten mitgeteilt und diesen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. Das Recht auf Gehör wird indes nicht dadurch berührt, daß nach Abgabe einer den Beteiligten bekanntgegebenen dienstlichen Äußerung des von der Ablehnung betroffenen Richters keine weitere dienstliche Äußerung abgegeben wird.
2. Hat das Gericht in einer früheren Klageentscheidung rechtsirrtümlich von einer Darstellung der Gründe abgesehen (§ 105 Abs. 5 FGO), gibt der Rechtsfehler für sich keinen Anhaltspunkt einer Voreingenommenheit der an der fehlerhaften Entscheidung beteiligten Richter in einem späteren Verfahren desselben Klägers.
3. Soweit eine dienstliche Äußerung eines abgelehnten Richters lediglich Entscheidungen des BFH zur Richterablehnung benennt, kann darin keine die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigende Beeinflussung der zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufenen Richter gesehen werden.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 51 Abs. 1, § 96 Abs. 2; ZPO §§ 42, 44 Abs. 3, § 47
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat vor dem Finanzgericht (FG) u. a. Klage erhoben wegen Einheitsbewertung des Grundvermögens auf den 1. Januar 1988. Mit Schreiben vom 20. Januar 1994 lehnte die Klägerin aus dem für ihre Klage zuständigen Senat des FG den Vorsitzenden Richter A sowie die Richter am FG B und C wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Ihr Ablehnungsgesuch stützte die Klägerin auf das Verhalten dieser Richter in früheren Klageverfahren. In dem Verfahren ... K ... /90 wegen Aussetzungszinsen hätten die abgelehnten Richter in ihrem klageabweisenden Urteil unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung des Beklagten (Finanzamt -- FA --) von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, obwohl die Einspruchsentscheidung selbst nur eine formelhafte Begründung enthalten habe, aus der nicht zu erkennen gewesen sei, auf welche rechtlichen Erwägungen die Einspruchsentscheidung sich gestützt habe. Dies erkläre sich nur damit, daß die damals erkennenden Richter nicht bereit gewesen seien, sich mit ihrem Klagebegehren auseinanderzusetzen. In demselben Verfahren habe der Richter am FG B in einem Telefonat vom 30. August 1990 dem FA eine Weisung mit dem Inhalt erteilt, daß hinsichtlich einer Billigkeitsentscheidung über die streitigen Aussetzungszinsen für das FA derzeit nichts veranlaßt sei. Der Vorsitzende Richter am FG A habe auch nicht, wie es seine Aufgabe gewesen wäre, auf sachdienliche Anträge hingewirkt, obwohl die Auseinandersetzung über die Billigkeitsfrage in dem Klageverfahren dazu Anlaß gegeben hätte. Das ergangene Urteil und Ergänzungs urteil dazu ließen nicht erkennen, ob und welche Entscheidung in der Billigkeitsfrage ergangen sei. Das Ablehnungsgesuch werde weiter auch auf die unzureichenden dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter gestützt, die sich auf Rechtsausführungen und die Zitierung von Entscheidungen beschränken, die etwas zur Zulässigkeit und Begründetheit ihres Ablehnungsgesuches aussagen sollen. Damit solle versucht werden, auf Richter Einfluß zu nehmen, die über ihr Ablehnungsgesuch zu entscheiden hätten. Zudem sei in dem Klageverfahren ... K ... /93 über ein früheres Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen die auch hier abgelehnten Richter in der Folgezeit nicht entschieden, sondern das Verfahren fortgesetzt worden. Schließlich begründe sie ihr Ablehnungsgesuch mit dem gerichtlichen Schreiben vom 9. März 1994, mit dem trotz Richterablehnung das derzeitige Verfahren weiterbetrieben werde und ihr eine Frist zur Stellungnahme gesetzt worden sei.
Mit Beschluß des FG vom 20. April 1994, an dem die abgelehnten Richter nicht mitgewirkt haben, wurde das Ablehnungsgesuch der Klägerin zurückgewiesen.
Gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuches richtet sich die Beschwerde der Klägerin, der das FG nicht abgeholfen hat.
Unter Wiederholung ihrer Ablehnungsgründe macht die Klägerin in der Beschwerdeschrift gegen den abweisenden Beschluß des FG zusätzlich die Verletzung des Rechts auf Gehör geltend. Die Entscheidung des FG sei eine Überraschungsentscheidung. Denn sie -- die Klägerin -- habe beantragt, ihr nach Einholung gesetzmäßiger dienst licher Äußerungen der abgelehnten Richter noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das FG nicht das Recht der Klägerin auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes -- GG --, § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) verletzt. Die grundgesetz liche Gewährleistung des Rechts auf Gehör gebietet, daß vor einer Entscheidung über den Antrag auf Ablehnung eines Richters die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters den Beteiligten mitgeteilt und diesen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. Das Recht auf Gehör wird indes nicht dadurch berührt, daß nach Abgabe einer den Beteiligten bekanntgegebenen dienstlichen Äußerung des von der Ablehnung betroffenen Richters keine -- wie im Streitfall von der Klägerin gefordert -- weitere dienstliche Äußerung abgegeben wird.
Das Recht der Klägerin auf Gehör konnte deshalb auch nicht dadurch beeinträchtigt werden, daß ihr die zur Akte genommenen, nachgereichten schriftlichen Äußerungen der abgelehnten Richter, in denen diese lediglich bekundeten, für eine weitere dienstliche Äußerung zu den Ablehnungsgründen keinen Anlaß zu sehen, nicht zur Stellungnahme mitgeteilt wurden. Denn diese Bekundungen kommen in ihrem Erklärungsinhalt einer Nichtäußerung gleich.
2. Das FG hat das Ablehnungsgesuch im Ergebnis zutreffend als unbegründet zurückgewiesen.
a) Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO -- kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein Grund für ein derartiges Mißtrauen ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger und objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung tatsächlich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch gestellt hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabes Anlaß hat, eine Befangenheit des Richters zu befürchten (BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, und vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112, ständige Rechtsprechung). Befangenheit meint eine unsachliche innere Einstellung des Richters zu den Beteiligten oder zum Gegenstand des konkreten Verfahrens (vgl. Vollkommer in Zöller, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 42 Rdnr. 8). Besorgnis zur Befangenheit besteht deshalb dann, wenn ein Beteiligter berechtigten Grund zu der Annahme hat, der Richter werde aus seiner inneren Einstellung heraus sich bei seiner Entscheidung nicht von sachgerechten Gründen leiten lassen.
Ein Ablehnungsgesuch kann grundsätzlich nicht auf Verfahrensverstöße oder fehlerhafte Entscheidungen des Richters etwa in einem früheren Verfahren gestützt werden. Denn das Institut der Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit schützt die Beteiligten nicht vor Irrtümern, insbesondere vor unrichtigen Rechtsansichten eines Richters. Dagegen stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung (BFH-Beschluß vom 24. August 1989 IV B 59/89, BFH/NV 1990, 308). Das Ablehnungsverfahren dient allein dazu, die Beteiligten vor der Entscheidungsmitwirkung eines Richters zu be wahren, demgegenüber die Besorgnis der Unparteilichkeit begründet ist.
Die Rüge von Rechtsverstößen kann aber ausnahmsweise dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, daß das mögliche Fehlverhalten auf einer unsach lichen Einstellung des Richters gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht. Die Fehlerhaftigkeit muß ohne weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen (BFH-Beschluß in BFH/NV 1993, 112 m. w. N.). Dies hat die Rechtsprechung etwa dann angenommen, wenn der abgelehnte Richter die seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken mißachtet und Grundrechte verletzt hat oder wenn in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wurde, daß sich bei dem Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte (BFH-Beschluß in BFH/NV 1993, 112).
b) Unter diesen Voraussetzungen rechtfertigen die von der Klägerin genannten Gründe das Ablehnungsgesuch nicht.
aa) Die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter läßt sich insbesondere nicht aus dem fehlerhaften Urteil vom 23. Oktober 1991 in dem Verfahren ... K ... /90 herleiten. In dieser Entscheidung haben die Richter von einer Darstellung der Gründe abgesehen. Diese Möglichkeit eröffnet die vom FG genannte Vorschrift des § 105 Abs. 5 FGO. Dabei hat das FG jedoch rechtsirrtümlich die Voraussetzungen und Grenzen dieser Ausnahmevorschrift verkannt. Die insgesamt unzureichende Behandlung der Klage der Klägerin sowie ihrer Anträge in dem genannten Urteil führten dementsprechend im Revisionsverfahren zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Der Rechtsirrtum der Richter bietet darüber hinaus keinen Anhaltspunkt für die Annahme einer Voreingenommenheit gegenüber der Klägerin in dem derzeit anhängigen Klageverfahren.
bb) Das von der Klägerin angeführte Telefonat zwischen dem Richter am FG B und dem FA am 30. August 1990, über dessen Inhalt die Klägerin vom FG nicht unterrichtet wurde, läßt eine parteiliche und unsachliche Einstellung dieses Richters ebenfalls nicht erkennen. Zwar kann eine einseitige Kontaktaufnahme eines Richters zu einem Beteiligten geeignet sein, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (Vollkommer in Zöller, a.a.O., § 42 Rdnr. 25). Dies gilt jedoch zumindest dann nicht, wenn im Hinblick auf den Inhalt des Gesprächs die Prozeßlage des betroffenen Beteiligten nicht beeinträchtigt werden kann (vgl. BFH-Beschluß vom 25. April 1991 IV S 14--21/90, IV S 1/91, BFH/NV 1992, 394). Grundsätzlich muß jedoch der Richter die Gegenseite von dem Gegenstand des Gesprächs mit einem Beteiligten unterrichten (BFH-Beschluß in BFH/NV 1992, 394). Abgesehen davon, daß im Streitfall die telefonische Unterredung nicht von seiten des abgelehnten Richters am FG B ausging, lassen weder der vom FA angefertigte Aktenvermerk vom 30. August 1990 noch die dienstliche Äußerung des Richters am FG B zu diesem Gespräch eine die Klägerin benachteiligende Einflußnahme auf deren Klageverfahren annehmen. Der am Tage des Gesprächs notierte Aktenvermerk lautet: "Lt. Rücksprache mit FG (Herr B) ist derzeit nichts veranlaßt. Die Klägerin wünscht keine Abtrennung des Verfahrens (wie in der Stellungnahme vom 24. 7. 1990 angekündigt). Lt. Richter wird das FG zu gegebener Zeit auf den Fall zurückkommen."
Selbst wenn die so protokollierte Äußerung des Richters am FG B dahin zu verstehen ist -- wie dies von diesem in der dienstlichen Äußerung auch als möglich zugestanden wird --, daß für das FA in der Billigkeits frage vorerst nichts veranlaßt sei, ist diese Äußerung nicht geeignet, das beanstandete Verhalten des Richters am FG B als unsachlich oder willkürlich erscheinen zu lassen. Denn es ist in der Regel sinnvoll, vor einer Entscheidung über einen Billigkeitsantrag zu klären, ob der gerichtlich angefochtene Zahlungsanspruch des FA überhaupt besteht. Für den Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob zur Wahrung des rechtlichen Gehörs eine Unterrichtung der Klägerin über den Inhalt der telefonischen Besprechung erforderlich gewesen wäre. Denn auch wenn dies zuträfe, kann die Klägerin bei vernünftiger und objektiver Würdigung keine Gründe angeben, die es rechtfertigen, Zweifel an der Unparteilichkeit des abgelehnten Richters aufkommen zu lassen.
cc) Ohne Erfolg stützt die Klägerin ihr Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am FG A und den Richter am FG B darauf, daß diese das Verfahren des zweiten Rechtsgangs ... K ... /93 nach Einreichung eines früheren Ablehnungsantrags bis zum Einstellungsbeschluß weitergeführt haben. Denn mit der wirksamen Rücknahme ihrer Klage -- die die Klägerin bereits bald nach ihrem Ablehnungsgesuch angekündigt hatte -- entfällt auch das Rechtsschutzbedürfnis für ihr Gesuch, da die abgelehnten Richter dann mit der Sachentscheidung nicht mehr befaßt sind. Entfällt aber das Rechtsschutzbedürfnis und damit eine Entscheidungsvoraussetzung für das Ablehnungsgesuch, ist es einem abgelehnten Richter nicht verwehrt, einen Beschluß des Inhalts zu erlassen, daß das Verfahren eingestellt werde und Gerichtskosten nicht erhoben würden.
dd) Gleichfalls sind die Einwände der Klägerin gegen die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter nicht ernstlich geeignet, Zweifel an der Voreingenommenheit ihr gegenüber anzunehmen.
Ein abgelehnter Richter hat sich über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern (§ 51 FGO i. V. m. § 44 Abs. 3 ZPO). Diese Äußerung ist auf die für das Ablehnungsgesuch entscheidungserheblichen Tatsachen zu beschränken (BFH-Beschluß vom 7. Mai 1986 I B 70/85, BFH/NV 1987, 653; Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 51 Rdnr. 52). Im Streitfall steht indes der dem Ablehnungsgesuch zugrunde liegende Sachverhalt für alle Beteiligten unstreitig fest. Einer weiteren Aufklärung in dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter bedurfte es daher nicht. Das Fehlen weiterreichender dienst licher Äußerungen zu den im Ablehnungsgesuch genannten Tatsachen ist daher im vorliegenden Fall ohne Bedeutung. Soweit die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter -- unzweckmäßig -- lediglich Entscheidungen des BFH zur Richterab lehnung benennen, kann darin keine die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigende Beeinflussung der zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufenen Richter gesehen werden. Denn die in den dienstlichen Äußerungen aufgeführten Vorentscheidungen des BFH stehen jedem Richter ohne weiteres zur Verfügung und vermögen die Prüfung eines Richterablehnungsgesuchs nicht zu ersetzen.
ee) Schließlich bietet auch das gerichtliche Schreiben vom 9. März 1994 in dem derzeit anhängigen Klageverfahren, mit dem der nach § 77 Abs. 1 Satz 4 FGO von Amts wegen vorgesehene Schriftsatzaustausch vorgenommen wurde, keinen Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit. Hier kann dahinstehen, ob ein Schriftsatzaustausch nicht bereits zu den unaufschiebbaren Handlungen zählt, die ein abgelehnter Richter auch vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs vorzunehmen hat (vgl. § 51 FGO i. V. m. § 47 ZPO). Denn der beanstandete Schriftsatzaustausch wurde zusammen mit der Fristsetzung -- wie aus der FG-Akte erkennbar -- von dem von der Klägerin nicht abgelehnten Richter des für ihre Klage zuständigen Senats veranlaßt.
Fundstellen