Entscheidungsstichwort (Thema)
Auswirkungen der Teilrücknahme eines Haftungsbescheides auf das mit diesem verbundene Leistungsgebot
Leitsatz (NV)
1. Eine auf grundsätzliche Bedeutung und Fortbildung des Rechts gestützte Nichtzulassungsbeschwerde kann in analoger Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO zurückgewiesen werden, wenn sich das Urteil des FG aus anderen als den dargestellten Gründen als im Ergebnis zutreffend erweist und deshalb die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich ist.
2. Die Aufforderung zur Zahlung (Leistungsgebot) einer Haftungsschuld, die mit dem ursprünglichen Haftungsbescheid verbunden werden kann, stellt grundsätzlich einen selbständigen Verwaltungsakt dar, der gesondert angefochten werden kann.
3. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegt in der Korrektur eines Haftungsbescheids durch einen weiteren Haftungsbescheid eine Teilrücknahme i.S. des § 130 Abs. 1 AO, wenn durch Letzteren der Erstbescheid nicht ausdrücklich aufgehoben oder ersetzt wird, sondern die Haftungssumme allein deshalb herabgesetzt wird, weil im ursprünglichen Haftungsbescheid zuviel angeforderte Beträge ermäßigt oder nicht mehr berücksichtigt werden und der geänderte Haftungsbescheid im Übrigen eine Wiederholung der wirksam festgesetzten Haftungsbeträge enthält. Eine Anfechtungsmöglichkeit hinsichtlich des Haftungsbescheides wird dadurch nicht begründet.
4. Gleiches gilt auch für die mit dem ursprünglichen Haftungsbescheid verbundene Zahlungsaufforderung.
5. Die Wiederholung eines Leistungsgebots lediglich unter Festsetzung einer neuen Zahlungsfrist ist nicht selbstständig anfechtbar.
Normenkette
FGO § 126 Abs. 4, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; AO § 219 S. 2, § 130 Abs. 1, § 125 Abs. 1, § 124 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 06.06.2007; Aktenzeichen 6 K 3911/06) |
Tatbestand
I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hatte den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) mit auf § 71 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheid vom 16. April 1991 wegen rückständiger Steuerschulden einer GmbH & Co. KG (Umsatzsteuer für die Jahre 1985 und 1986 und Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer 1985 und 1986) als Steuerhinterzieher in Anspruch genommen. Der Haftungsbescheid enthielt auch eine an den Kläger gerichtete Zahlungsaufforderung (Leistungsgebot), die Haftungsbeträge bis zum 21. Mai 1991 zu begleichen.
Nach erfolglosem Einspruch gegen den Haftungsbescheid hatte der Kläger Klage beim Finanzgericht (FG) erhoben. Im Laufe des Klageverfahrens nahm das FA den Haftungsbescheid mit Bescheid vom 15. Mai 2002 teilweise zurück und reduzierte die Haftungssumme auf die rückständige Umsatzsteuer 1985 und die Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer 1986. Der geänderte Haftungsbescheid enthielt auch eine an den Kläger gerichtete Zahlungsaufforderung, die reduzierte Haftungssumme sofort zu zahlen. Klage und Nichtzulassungsbeschwerde (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. März 2006 VII B 117/05, BFH/NV 2006, 1254) blieben ohne Erfolg.
Gegen das Leistungsgebot im Bescheid vom 15. Mai 2002 hat der Kläger erneut Einspruch eingelegt. Mit Schreiben vom 19. Juni 2002 änderte das FA dieses Leistungsgebot und forderte den Kläger nunmehr auf, die Haftungssumme bis zum 22. Juli 2002 zu begleichen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 14. August 2006 verwarf das FA den Einspruch als unzulässig. Das Leistungsgebot im Teilrücknahmebescheid vom 15. Mai 2002 wiederhole lediglich die bereits zusammen mit dem ersten Haftungsbescheid vom 16. April 1991 ergangene Aufforderung, die Haftungsschuld zu bezahlen. In der teilweisen Aufhebung eines Leistungsgebots sei nicht der Erlass einer erneuten Zahlungsaufforderung zu sehen, sondern ein der Höhe nach reduziertes ursprüngliches Leistungsgebot. Dementsprechend sei die bestandskräftige, später teilweise eingeschränkte Zahlungsaufforderung nicht selbständig mit einem Rechtsbehelf anfechtbar.
Auch die hiergegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. Das FG hielt den Einspruch zwar für zulässig, urteilte aber, dass das FA den Kläger mit dem Bescheid vom 15. Mai 2002 zu Recht gemäß § 219 Satz 2 AO auf Zahlung der Haftungsschuld in Anspruch genommen habe. Das Leistungsgebot sei ein von diesem Festsetzungsbescheid unabhängiger Verwaltungsakt und nicht gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig. Mit Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids könne der Kläger aufgrund der Selbständigkeit des Leistungsgebots nicht gehört werden. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit des Leistungsgebots sprechen könnten, habe der Kläger nicht vorgetragen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, die er auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) stützt. Der Kläger hält u.a. die Rechtsfrage für klärungsbedürftig, "ob tatsächlich keine Abhängigkeitsbeziehung zwischen Leistungsbescheid und Leistungsgebot wegen der Tatbestandsvoraussetzung bezüglich einer ordnungsgemäßen Festsetzung der geschuldeten Leistung besteht".
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist es zulässig, eine auf grundsätzliche Bedeutung und Fortbildung des Rechts gestützte Nichtzulassungsbeschwerde (in analoger Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO) zurückzuweisen, wenn sich das Urteil des FG aus anderen als den dargestellten Gründen als im Ergebnis zutreffend erweist und deshalb die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich ist (vgl. BFH-Entscheidungen vom 19. Juli 1999 V B 8/99, BFH/NV 2000, 192, und vom 26. September 2007 VII B 75/07, BFH/NV 2008, 126).
Im Streitfall ist das Urteil des FG im Ergebnis richtig, denn aufgrund der bestandskräftigen, später eingeschränkten Zahlungsaufforderung, hätte das FG die Klage ohne weitere Sachprüfung als unbegründet abweisen müssen (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 1989 X R 8/86, BFHE 158, 205, BStBl II 1990, 177). Auf die vom Kläger formulierten Rechtsfragen kommt es demnach im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr an.
2. Durch die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde ist die Zahlungsaufforderung im Haftungsbescheid vom 16. April 1991 bestandskräftig geworden. Die Aufforderung zur Zahlung im Teilrücknahmebescheid vom 15. Mai 2002 wiederholt die bereits zusammen mit dem erstmaligen Haftungsbescheid vom 16. April 1991 ergangene Aufforderung, die Haftungsschuld zu begleichen, allerdings beschränkt auf einen niedrigeren Betrag. Dadurch wird jedoch nicht die Möglichkeit eröffnet, erneut einen Rechtsbehelf einzulegen.
a) Ein durch Haftungsbescheid in Anspruch genommener Haftungsschuldner darf nur unter den Voraussetzungen des § 219 AO zur Zahlung der Haftungsschuld aufgefordert werden. Bei dieser Zahlungsaufforderung, die mit dem Haftungsbescheid verbunden werden kann, handelt es sich um einen selbständigen Verwaltungsakt, das sogenannte Leistungsgebot, welches gesondert angefochten werden kann (BFH-Entscheidungen vom 16. März 1995 VII S 39/92, BFH/NV 1995, 950, und vom 1. Juni 1983 III B 40/82, BFHE 138, 422, BStBl II 1983, 622). Vorliegend enthielt der am 16. April 1991 ergangene Haftungsbescheid bereits ein Leistungsgebot, das der Kläger nicht selbständig angefochten hat.
Gegen die im Haftungsbescheid vom 15. Mai 2002 enthaltene Zahlungsaufforderung, die am 19. Juni 2002 hinsichtlich des Zahlungstermins geändert worden ist, konnte der Kläger keinen Rechtsbehelf mehr einlegen.
b) Der Haftungsbescheid vom 15. Mai 2002 stellt eine teilweise Änderung des ursprünglichen Bescheids vom 16. April 1991 durch Teilrücknahme nach § 130 Abs. 1 AO dar. Eine solche berührt die Wirksamkeit des nicht betroffenen Regelungsinhalts des ursprünglichen Verwaltungsakts nicht (§ 124 Abs. 2 AO). Der lediglich die Regelungen des ersten Haftungsbescheids in eingeschränkter Höhe wiederholende Verwaltungsakt kann, da er keine neuen selbständigen Regelungen enthält, nicht mehr mit Rechtsbehelfen, die sich materiell-rechtlich gegen die Haftungsansprüche wenden, angefochten werden (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 6. August 1996 VII R 77/95, BFHE 181, 107, BStBl II 1997, 79).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegt in der Korrektur eines Haftungsbescheids durch einen weiteren Haftungsbescheid eine Teilrücknahme i.S. des § 130 Abs. 1 AO, wenn durch Letzteren der Erstbescheid nicht ausdrücklich aufgehoben oder ersetzt wird, sondern die Haftungssumme allein deshalb herabgesetzt wird, weil im ursprünglichen Haftungsbescheid zuviel angeforderte Beträge ermäßigt oder nicht mehr berücksichtigt werden und der geänderte Haftungsbescheid im Übrigen eine Wiederholung der wirksam festgesetzten Haftungsbeträge enthält (BFH-Urteile vom 28. Januar 1982 V R 100/80, BFHE 135, 27, BStBl II 1982, 292; vom 16. Juli 1992 VII R 60/91, BFH/NV 1993, 153, und VII R 57, 58/91, BFH/NV 1993, 152; in BFHE 181, 107, BStBl II 1997, 79; Senatsbeschlüsse vom 12. Februar 1998 VII B 252/97, BFH/NV 1998, 1140, und vom 2. April 2002 VII B 310/00, BFH/NV 2002, 1276).
So verhält es sich im Streitfall. Das FA hat die mit dem Haftungsbescheid vom 16. April 1991 angeforderten Beträge nur um die Umsatzsteuerschuld für 1986 und die Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer für 1985 ermäßigt, im Übrigen aber den Haftungsbescheid unverändert gelassen. In dem Erlass des Haftungsbescheids vom 15. Mai 2002 liegt eine Teilrücknahme i.S. des § 130 AO, die den Bestand des ursprünglichen Verwaltungsakts hinsichtlich der Umsatzsteuer für das Jahr 1985 und Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer für 1986 unberührt lässt.
c) Gleiches gilt auch für die mit dem ursprünglichen Haftungsbescheid verbundene Zahlungsaufforderung. Zumindest für diesen Fall ist eine teilweise Aufhebung des Haftungsbescheids, obwohl die Zahlungsaufforderung grundsätzlich einen selbständigen Verwaltungsakt darstellt, aus Gründen der Verfahrensökonomie nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats zugleich konkludent als stillschweigende Aufhebung des Leistungsgebots in entsprechender Höhe zu werten (im Anschluss an den Senatsbeschluss in BFH/NV 1995, 950). Ist der die Haftungssumme reduzierende Bescheid nicht selbständig angreifbar, muss dies bezüglich des Leistungsgebots dann ebenfalls zur Folge haben, dass die im Teilrücknahmebescheid enthaltene erneute Aufforderung, die ermäßigte Haftungsschuld zu begleichen, ebenfalls nicht selbständig angefochten werden kann. Denn die Aufforderung zur Zahlung im Teilrücknahmebescheid vom 15. Mai 2002 beinhaltet einen teilweise wiederholenden, dem Inhalt nach weniger weitreichenden Verwaltungsakt, welcher --entsprechend der Rechtslage hinsichtlich des Haftungsbescheids (vgl. im Anschluss an die ständige Rechtsprechung in BFHE 181, 107, BStBl II 1997, 79; BFH-Beschluss vom 4. November 2003 VII B 34/03, BFH/NV 2004, 460)-- nicht selbständig angreifbar ist.
d) Schließlich ist auch die Zahlungsaufforderung vom 19. Juni 2002, mit der das im Haftungsbescheid vom 15. Mai 2002 enthaltene Leistungsgebot lediglich unter Festsetzung einer abweichenden Zahlungsfrist wiederholt wird, nicht selbständig anfechtbar. Die Zahlungsaufforderung vom 19. Juni 2002 ist für die im Haftungsbescheid vom 15. Mai 2002 reduzierte Haftungsschuld ergangen. Sie bezieht sich, wie das Leistungsgebot vom 15. Mai 2002, auf den im Bescheid vom 15. Mai 2002 durch Teilrücknahme reduzierten Haftungsbescheid. Durch die Änderung der Frist bleibt die in dem ursprünglichen Leistungsgebot vom 15. Mai 2002 wesentlich getroffene Regelung, den Kläger zur Zahlung der reduzierten Haftungssumme aufzufordern, unberührt. Das Leistungsgebot enthält demnach keine neuen eigenständigen Regelungen, so dass es mangels eigenständiger Beschwer auch am Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung fehlt.
Mithin hätte das FG die Klage schon deshalb abweisen müssen, weil der Einspruch des Klägers unzulässig war. Hieraus folgt, dass die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen in dem begehrten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wären.
Fundstellen