Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde
Leitsatz (NV)
1. Zu den Voraussetzungen für die Darlegung einer Abweichung der Vorentscheidung von einer Entscheidung des BFH.
2. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) muß mit der erforderlichen Klarheit erkennen lassen, welche konkrete Rechtsfrage der Beschwerdeführer für entscheidungserheblich hält.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde ist nicht zulässig. Sie ist zu verwerfen.
1. Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wegen einer Abweichung von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs - BFH - (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -):
Die Beschwerde ist zulässig, wenn der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift oder in einem weiteren während der Beschwerdefrist eingereichten Schriftsatz (vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479) die Entscheidung des BFH, von der die Vorentscheidung abweicht, bezeichnet (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Hierzu ist nach der Rechtsprechung des BFH erforderlich, daß die betreffende Entscheidung des BFH mit Aktenzeichen und Datum oder mit der Fundstelle angegeben wird (vgl. Beschluß vom 6. Mai 1970 VI B 140/69, BFHE 99, 25, BStBl II 1970, 552). Außerdem muß der Beschwerdeführer abstrakte Rechtssätze aus dem finanzgerichtlichen Urteil und abstrakte Rechtssätze aus divergenzfähigen Entscheidungen des BFH oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes so genau bezeichnen, daß eine Abweichung erkennbar wird (Beschluß in BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479, mit weiteren Nachweisen).
Diesen Anforderungen wird die Begründung der für den Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt - FA -) eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde nicht gerecht.
a) Soweit mit der Beschwerde Abweichungen des finanzgerichtlichen Urteils von Entscheidungen des BFH in dem Schriftsatz vom 16. Juni 1986 nach Ablauf der Beschwerdefrist am 11. April 1986 bezeichnet worden sind, ist dies verspätet geschehen.
b) Innerhalb der Beschwerdefrist hat das FA aber keine abstrakten Rechtssätze aus dem finanzgerichtlichen Urteil und aus genau bezeichneten Entscheidungen des BFH gegenübergestellt, die eine Abweichung erkennen lassen.
Der Hinweis des FA, die Auffassung des Finanzgerichts (FG) in der Vorentscheidung, der Umsatzsteueranspruch für das Streitjahr 1977 im Zusammenhang mit den Zustellungsgebühren sei verwirkt, widerspreche der Rechtsprechung des BFH zur Abschnittsbesteuerung und zur Befugnis der Finanzbehörde, eine falsche Rechtsanwendung vom ehestmöglichen Zeitpunkt ab zu korrigieren, genügt den Anforderungen an die Gegenüberstellung von Rechtssätzen, die eine Abweichung erkennen lassen, nicht. Die Annahme der Verwirkung durch das FG, worauf das FA hingewiesen hat, läßt nicht erkennen, inwiefern das FG von den Grundsätzen der Abschnittsbesteuerung oder der ehestmöglichen Korrektur fehlerhafter Rechtsanwendung abgewichen sein könnte. Sie deutet eher auf das Gegenteil hin; denn die Verwirkung wird erst dann bedeutsam, wenn die zuvor genannten Grundsätze anerkannt werden.
Mit den folgenden Ausführungen legt das FA dar, daß im Streitfall die Voraussetzungen für die Annahme einer Verwirkung nicht vorhanden seien. Es belegt die Aufzählung der Voraussetzungen für die Verwirkung mit den Ausführungen des BFH in seinen Entscheidungen vom 14. September 1978 IV R 89/74 (BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121) und vom 4. Juli 1979 II R 74/77 (BFHE 129, 201, BStBl II 1980, 126), ohne jedoch Rechtssätze aus der Vorentscheidung des FG anzugeben, mit denen dieses eine von den erwähnten BFH-Entscheidungen abweichende Rechtsauffassung vertritt. Die Ergebnisse, die das FG von seiner maßgeblichen Rechtsauffassung aus aufgrund seiner Würdigung erzielt hat, sind für die Frage der Abweichung ohne Bedeutung (vgl. BFH-Beschluß vom 20. Februar 1980 II B 26/79, BFHE 129, 313, BStBl II 1980, 211).
c) Die Beschwerde ist auch nicht deshalb zulässig, weil nach Ablauf der Beschwerdefrist eine divergierende Entscheidung des BFH ergangen wäre, die das FA nicht rechtzeitig als Beschwerdeführer hätte bezeichnen können (vgl. dazu Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Tz. 59, 69). Insbesondere liegt keine Abweichung der Vorentscheidung von dem Urteil des BFH vom 8. Oktober 1986 II R 167/84 (BFHE 147, 409, BStBl II 1987, 12) vor. In dieser Entscheidung knüpft der BFH an die im Urteil in BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121 aufgestellten Grundsätze an, die auch das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, ohne neue davon abweichende Voraussetzungen aufzustellen.
2. Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO):
a) Soweit das FA nach Ablauf der Beschwerdefrist Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung dargelegt hat, ist dies verspätet geschehen; denn nur die innerhalb der Beschwerdefrist geltend gemachten Zulassungsgründe können Entscheidungsgegenstand sein (BFH-Beschluß vom 6. August 1986 II B 53/86, BFHE 147, 219, BStBl II 1986, 858).
b) Innerhalb der Beschwerdefrist hat das FA aber nicht ausdrücklich Rechtsfragen als von grundsätzlicher Bedeutung herausgestellt. Der Satz: ,,Bedingt durch die nur punktuelle Überprüfung eines Betriebes und die zunehmend höhere Qualifikation und bessere Ausbildung der Prüfer werden häufig vor allem bei Großbetrieben erstmals falsche steuerliche Handhabungen gerügt, die in den Vorprüfungen unbeanstandet geblieben waren", läßt nicht mit der erforderlichen Klarheit erkennen, welche konkrete Rechtsfrage das FA für entscheidungserheblich hält. Es fehlen außerdem Ausführungen, aus welchen Gründen eine Klärung der Rechtsfrage im Interesse der Allgemeinheit liegt (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 3. Februar 1987 V B 99/86, BFH / NV 1987, 312).
c) Die Revision ist auch nicht ausnahmsweise wegen grundsätzlicher Bedeutung i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, obwohl es an einem entsprechenden ausdrücklichen Vortrag des FA fehlt.
Wenn mit einer Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos ein Abweichen der Vorentscheidung von einer Entscheidung des BFH geltend gemacht worden ist, kann die Revision gleichwohl zugelassen werden, wenn durch die Behauptung einer Abweichung in Wirklichkeit eine Rechtsfrage aufgeworfen wird, die der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung gibt (BFH-Beschluß vom 13. Januar 1987 VII B 128/86, BFHE 148, 436, BStBl II 1987, 220, mit weiteren Nachweisen).
Dies ist deshalb zulässig, weil die Divergenzrevision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO lediglich ein besonderer Fall der Grundsatzrevision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist (BFH-Beschluß vom 29. Juli 1976 V B 10/76, BFHE 119, 380, BStBl II 1976, 684). Die Voraussetzungen für die Annahme dieses Ausnahmefalls liegen aber nicht vor: Aus dem Vorbringen des FA könnte allenfalls die Rechtsfrage entnommen werden, ob bei Vorliegen einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1, Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -) die Annahme einer Verwirkung ausgeschlossen ist. Das FA hat diese Rechtsfrage aber nicht im Zusammenhang mit einer (seiner Meinung nach abweichenden) BFH-Entscheidung (dies verlangt der BFH in BFHE 148, 436, BStBl II 1987, 220), sondern nur im Zusammenhang mit der (seiner Rechtsansicht nach) fehlerhaften Entscheidung des Streitfalls durch das FG angedeutet. Da außerdem Hinweise für das allgemeine Interesse an der Entscheidung dieser Rechtsfrage fehlen, kann das Vorbringen nicht als Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache gewertet werden.
Im übrigen ergeht die Entscheidung nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Angabe von Gründen.
Fundstellen
Haufe-Index 415666 |
BFH/NV 1988, 511 |