Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderabschreibungswahlrecht und Bilanzänderung; Verfahrensfehler
Leitsatz (NV)
1. Der zur Zulassung der Revision führende Verfahrensfehler der unzureichenden Urteilsbegründung ist gegeben, wenn das Nichtvorliegen eines Sonderabschreibungstatbestandes im finanzgerichtlichen Urteil ohne Bezug zu konkreten Tatbestandsmerkmalen lediglich damit begründet wird, die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Sonderabschreibung seien nicht vollständig dargelegt worden.
2. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs und die finanzgerichtliche Sachaufklärungspflicht sind auch hinsichtlich solcher Umstände zu beachten, die vom Kläger nach Ablauf einer gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzten Frist vorgebracht worden sind.
3. Die in Zusammenhang mit einer nachträglichen, bilanzberichtigenden Aktivierung eines Wirtschaftsguts erfolgende Ausübung eines dieses Wirtschaftsgut betreffenden Sonderabschreibungsrechts ist als erstmalige Wahrnehmung des Sonderabschreibungswahlrechts und nicht als Bilanzänderung anzusehen.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 65 Abs. 2 S. 2, §§ 67, 76 Abs. 2, § 96 Abs. 2, § 105 Abs. 2 Nr. 5, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 6; EStG § 4 Abs. 2 S. 2; FördG § 4
Verfahrensgang
FG des Landes Brandenburg (Urteil vom 26.10.2005; Aktenzeichen 2 K 805/02) |
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten --soweit im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von Relevanz-- um die Zulässigkeit einer Sonderabschreibung nach dem Fördergebietsgesetz (FördG) in Bezug auf ein Wirtschaftsgut, das von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erst im Verlauf des Rechtsstreits im Wege der Bilanzberichtigung nachträglich aktiviert worden ist.
Die Klägerin, eine GmbH, wendete sich erstinstanzlich gegen die Festsetzung der Körperschaftsteuer für die Jahre 1994 bis 1996 und die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG a.F.) jeweils zum 31. Dezember 1994, 1995 und 1996 durch den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--). Gegenstand der Auseinandersetzung waren zunächst diverse Vorgänge, die das FA als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) behandelt hat. Wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung legte die Klägerin berichtigte Jahresabschlüsse für die Streitjahre vor. Gegenstand der Berichtigung war unter anderem die Aktivierung eines bisher in der Buchführung nicht erfassten Krans, den die Klägerin im November 1994 erworben hatte, und die Berücksichtigung der für die Anschaffung des Krans aufgewendeten Finanzierungskosten. Für den Veranlagungszeitraum 1994 nahm die Klägerin im berichtigten Jahresabschluss neben der linearen Abschreibung für den Kran eine Sonderabschreibung gemäß § 4 FördG in Höhe von 120 771 DM (50 v.H. der Anschaffungskosten) vor und beantragte insoweit, die Sonderabschreibung im Rahmen der Festsetzung der Körperschaftsteuer 1994 und der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 KStG a.F. zum 31. Dezember 1994 zu berücksichtigen.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage lediglich in Bezug auf die Berücksichtigung der Finanzierungsaufwendungen für den Kran und dessen lineare Abschreibung stattgegeben. Im Hinblick auf die vGA und die für 1994 geltend gemachte Sonderabschreibung für den Kran hat es die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision bezüglich der vom FG nicht anerkannten Sonderabschreibung und begründet diese unter anderem mit den Verfahrensmängeln der unzureichenden Urteilsbegründung und der Versagung rechtlichen Gehörs.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), die Revision gegen das finanzgerichtliche Urteil im Hinblick auf die Körperschaftsteuer 1994 und die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 KStG a.F. zum 31. Dezember 1994 zuzulassen.
Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel liegen vor.
1. Das vorinstanzliche Urteil ist im Hinblick auf die Versagung der Sonderabschreibung für den Kran unzureichend begründet (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 6 FGO).
a) Das FG hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, die Klägerin habe zwar zur Überzeugung des Senats dargetan, dass der Kran im Jahr 1994 von ihr angeschafft worden sei, so dass sie bezüglich dessen Aktivierung und der Berücksichtigung der Finanzierungsaufwendungen zur Bilanzberichtigung berechtigt gewesen sei. Im Hinblick auf die Absetzung für Abnutzung könne die Klägerin aber lediglich die lineare Abschreibung, nicht auch eine Sonderabschreibung nach dem Fördergebietsgesetz beanspruchen. Insoweit dürfte nämlich eine unzulässige Bilanzänderung und keine Bilanzberichtigung vorliegen. Jedenfalls habe die Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vornahme einer Sonderabschreibung nach dem Fördergebietsgesetz nicht vollständig dargelegt.
b) Auch nach dem Verständnis der Beteiligten ist demnach tragender Grund für die Abweisung der die Sonderabschreibung betreffenden Klage allein der Umstand, dass die Klägerin aus Sicht des FG die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Sonderabschreibung nicht vollständig dargelegt habe. Soweit es darüber hinaus in den Entscheidungsgründen heißt, in Bezug auf die Geltendmachung der Sonderabschreibung dürfte eine unzulässige Bilanzänderung und keine Bilanzberichtigung vorliegen, handelt es sich hingegen nicht um einen tragenden Abweisungsgrund. Das FG hat durch die Formulierung "dürfte" deutlich gemacht, dass es die Rechtsfrage nicht endgültig entschieden hat, sondern nur qua obiter dictum eine Tendenz hat erkennen lassen wollen, wie wohl zu entscheiden wäre, wenn es auf die Rechtsfrage ankäme. Die nachfolgende Wendung "jedenfalls…" lässt erkennen, dass die Entscheidung lediglich auf die dann folgende Begründung gestützt werden sollte.
c) Im sonach tragenden Punkt ist die Urteilsbegründung unzureichend.
Urteile bedürfen gemäß § 96 Abs. 1 Satz 3, § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO einer Begründung. Fehlt diese ganz oder lassen die Entscheidungsgründe nicht erkennen, welche tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen für die Entscheidung maßgebend waren, liegt der Revisionsgrund des § 119 Nr. 6 FGO vor (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. September 1996 II R 31/96, BFH/NV 1997, 296; BFH-Beschluss vom 30. Oktober 1996 XI R 81/96, BFH/NV 1997, 361).
Die aus den Entscheidungsgründen ersichtliche Erwägung des FG, die Klägerin habe die Voraussetzungen der geltend gemachten Sonderabschreibung nach dem Fördergebietsgesetz nicht vollständig dargelegt, wird diesen Mindestanforderungen an eine Urteilsbegründung nicht gerecht. Es handelt sich um einen rein abstrakten Obersatz, der weder erkennen lässt, welcher Tatbestandsvoraussetzungen es zur Geltendmachung der Sonderabschreibung nach dem Fördergebietsgesetz aus Sicht des FG bedarf, noch einen Schluss darauf zulässt, in welcher Hinsicht der diesbezügliche tatsächliche Vortrag der Klägerin unzureichend sein soll. Mangels jeglichen Bezugs zu konkreten Tatbestandsvoraussetzungen lässt sich anhand der Entscheidungsgründe die Richtigkeit der finanzgerichtlichen Erwägungen weder für die Beteiligten noch für das Revisionsgericht überprüfen.
2. Überdies hat das FG das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO verletzt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3 FGO), indem es die Abweisung der Klage auf die aus seiner Sicht unzureichende Darlegung der Voraussetzungen der Sonderabschreibung nach dem Fördergebietsgesetz gestützt hat, ohne die Klägerin zuvor auf diese Beurteilung hinzuweisen und ihr Gelegenheit zu geben, ihren diesbezüglichen Vortrag zu ergänzen.
Entgegen der Auffassung des FA war ein solcher richterlicher Hinweis im Hinblick auf die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 2 FGO ungeachtet dessen geboten, dass die Klägerin die Sonderabschreibung erst weit nach Ablauf der mit Verfügung vom 7. Mai 2003 nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzten Ausschlussfrist in einem wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz geltend gemacht hat. Die Fristsetzung nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO sollte die Klägerin anhalten, den Gegenstand ihres Klagebegehrens konkret zu bezeichnen, damit die Klage überhaupt die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt. Wenn nicht neben der Fristsetzung nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO auch eine solche nach § 79b Abs. 1 FGO erfolgt --was vorliegend nicht geschehen ist--, ist der Kläger jedoch nicht gehindert, neben den innerhalb der Frist vorgebrachten Umständen nach Fristablauf weitere Tatsachen vorzubringen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich ebenfalls beschwert fühlt. Selbst wenn in der nachträglich geltend gemachten Berücksichtigung der Anschaffung des Krans und der diesbezüglichen Sonderabschreibung nach dem Fördergebietsgesetz eine Klageänderung zu sehen wäre, wäre diese gemäß § 67 Abs. 1 FGO zulässig gewesen, weil das FA darin eingewilligt hat. Die Einwilligung wäre gemäß § 67 Abs. 2 FGO darin zu sehen, dass das FA im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2005 seinen Antrag rügelos auf Abweisung auch des ergänzten Klageantrags gestellt und sich dadurch auf die geänderte Klage eingelassen hat. Im Übrigen hat das FG die Einbeziehung der mit der Aktivierung des Krans im Wege der Bilanzberichtigung zusammenhängenden Umstände in das Klageverfahren offenkundig für sachdienlich erachtet und hat in der Sache darüber befunden. Es war deshalb auch insoweit gehalten, das Gebot rechtlichen Gehörs und die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 2 FGO zu beachten.
3. Die geschilderten Verfahrensmängel sind rechtserheblich, weil die vorinstanzliche Entscheidung auf ihnen beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Im Hinblick auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs bedurfte es keiner weiteren Angaben der Klägerin dahin gehend, was sie noch vorgetragen hätte, wenn sie rechtzeitig über die nach Auffassung des FG unvollständige Darlegung der Voraussetzungen der Sonderabschreibung hingewiesen worden wäre. Wegen der unzureichenden Urteilsbegründung ist nicht erkennbar, welche Tatbestandsvoraussetzungen das FG als nicht vollständig dargelegt angesehen hat, so dass von der Klägerin diesbezüglich auch kein konkreter Vortrag erwartet werden kann. Ob hier darüber hinaus nach den Maßstäben des Beschlusses des Großen Senats des BFH vom 3. September 2001 GrS 3/98 (BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802) von Gesetzes wegen eine unwiderlegbare Vermutung besteht, dass das Urteil auf den Verfahrensmängeln beruht, bedarf deshalb keiner Entscheidung.
4. Die Abweisung der die Sonderabschreibung betreffenden Klage erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 126 Abs. 4 FGO). Insbesondere ist die Geltendmachung der Sonderabschreibung nach dem Fördergebietsgesetz anlässlich der nachträglichen Aktivierung des Krans erst im Verlauf des Klageverfahrens --entgegen dem obiter dictum des FG-- grundsätzlich zulässig.
a) Unbefristete Wahlrechte --um ein solches handelt es sich bei der Möglichkeit der Sonderabschreibung gemäß § 4 FördG-- können vom Steuerpflichtigen bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft der Steuerfestsetzung ausgeübt werden (Senatsurteil vom 25. April 1990 I R 136/85, BFHE 160, 529, BStBl II 1990, 905; BFH-Urteile vom 21. September 2005 X R 32/03, BFHE 211, 221, BStBl II 2006, 66, und vom 30. August 2001 IV R 30/99, BFHE 96, 507, BStBl II 2002, 49, m.w.N.). Da vorliegend die Steuerfestsetzung für das Wirtschaftsjahr 1994 Gegenstand des Klageverfahrens und mithin noch nicht formell bestandskräftig war, stand der Geltendmachung der Sonderabschreibung im Oktober 2005 nichts entgegen.
b) Der nicht näher begründeten Auffassung des FG, es dürfte sich bei der Geltendmachung der Sonderabschreibung um eine unzulässige Bilanzänderung handeln, ist nicht zu folgen. Sie beruht wohl auf der Annahme, die Klägerin habe ihr die Sonderabschreibung des Krans betreffendes Wahlrecht bereits mit der ursprünglichen Einreichung des Jahresabschlusses 1994 dadurch ausgeübt, dass sie dort eine solche Sonderabschreibung nicht vorgenommen hatte. Aus dieser Sicht erscheint die spätere Geltendmachung der Sonderabschreibung als Ersatz eines ursprünglichen (zulässigen) Bilanzansatzes durch einen anderen, mithin als eine Bilanzänderung gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- (vgl. zur Definition Crezelius in Kirchhof, EStG, 6. Aufl., § 4 Rn. 246). Gegen diese Annahme spricht indes, dass die Geltendmachung einer Sonderabschreibung in Bezug auf ein bestimmtes Wirtschaftsgut denknotwendig die Aktivierung des Wirtschaftsguts in der Bilanz voraussetzt. Wird ein vorhandenes Wirtschaftsgut in der Bilanz nicht in Ansatz gebracht, kann die unterbliebene Geltendmachung einer Sonderabschreibung deshalb schwerlich als Ausübung des die Sonderabschreibung betreffenden Wahlrechts im Sinne eines Verzichts auf eine Sonderabschreibung für das betreffende Wirtschaftsjahr verstanden werden. Das in Zusammenhang mit einer nachträglichen, bilanzberichtigenden Aktivierung eines Wirtschaftsguts erfolgende Gebrauchmachen von einer dieses Wirtschaftsgut betreffenden Sonderabschreibungsmöglichkeit ist daher als erstmalige Wahrnehmung des Abschreibungswahlrechts und nicht als Bilanzänderung i.S. von § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG anzusehen.
c) Im Übrigen würde die Geltendmachung der Sonderabschreibung, wenn man sie mit dem FG als Bilanzänderung auffassen würde,die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG --der gemäß § 52 Abs. 9 EStG auch für Veranlagungszeiträume vor 1999 anzuwenden ist-- erfüllen, denn sie steht in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der im Wege der Bilanzberichtigung erfolgten erstmaligen Aktivierung des Krans.
Fundstellen
Haufe-Index 1628748 |
BFH/NV 2007, 48 |