Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhebung von Antidumpingzoll auf Einräder aus China
Leitsatz (NV)
1. Vor ihrer Änderung durch die VO Nr. 1095/2005 erfasste die Antidumpingzoll-VO Nr. 1524/2000 ihrem Wortlaut nach auch die Einfuhr von Einrädern aus der Volksrepublik China. Die Frage, ob der Wortlaut in Anbetracht des Willens des Verordnungsgebers einschränkend auszulegen war, ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, weil es sich insoweit um ausgelaufenes Recht handelt.
2. Die Änderung durch die VO Nr. 1095/2005, der zufolge Einfuhren von Einrädern aus der Volksrepublik China von der Erhebung von Antidumpingzoll ausgenommen werden, hat keine Rückwirkung.
3. Auf eine angeblich fehlerhafte Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter kann die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.
Normenkette
EGV 1524/2000 Art. 1; EGV 1095/2005 Art. 2-3; KN Unterpos. 8712 00; FGO §§ 6, 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 124 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) meldete im Juli 2004 Einräder aus der Volksrepublik China zur Abfertigung zum freien Verkehr an. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) reihte die Waren in die Codenummer 8712 00 80 der Kombinierten Nomenklatur (KN) ein und erhob (u.a.) Antidumpingzoll. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Das FG urteilte, dass sämtliche Waren der Unterpos. 8712 00 KN, also auch Einräder, von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2474/93 (VO Nr. 2474/93) des Rates vom 8. September 1993 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Fahrrädern mit Ursprung in der Volksrepublik China und zur endgültigen Vereinnahmung des Antidumpingzolls (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 228/1) erfasst würden. Die spätere Änderung dieser Vorschrift dahin, dass nunmehr Einräder von der Einführung des Antidumpingzolls ausdrücklich ausgenommen seien, habe keine Rückwirkung und finde daher auf den Streitfall keine Anwendung.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, welche sie auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe zum Teil nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegen.
1. Grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist einer Rechtsfrage beizumessen, wenn ihre Beantwortung in dem angestrebten Revisionsverfahren aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. April 2002 IV B 29/01, BFHE 198, 316, BStBl II 2002, 581, m.w.N.). Das Vorliegen dieser Zulassungsvoraussetzungen muss der Beschwerdeführer innerhalb der Begründungsfrist schlüssig und substantiiert darlegen (§ 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO). Dazu ist es erforderlich, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formuliert und substantiiert auf ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingeht, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die Rechtssache abhängt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. Juni 1995 II B 5/95, BFH/NV 1996, 141, m.w.N.; vom 14. März 2000 V B 23/00, BFH/NV 2000, 1148; Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2002 VII B 178/02, BFH/NV 2003, 214).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht, da sie sich im Stil einer Revisionsbegründung lediglich gegen die FG-Entscheidung wendet und wie bereits in der Vorinstanz ihre Rechtsansicht begründet, dass die von der Klägerin eingeführten Einräder keinem Antidumpingzoll unterlägen, weil die damals geltende Antidumping-Verordnung nach ihrem Sinn und Zweck sowie dem Willen des Verordnungsgebers Einräder nicht erfasst habe bzw. die derzeit geltende Antidumping-Verordnung, welche Einräder vom Antidumpingzoll ausnehme, insoweit Rückwirkung habe. Dass und weshalb diese Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung haben, wird indes nicht schlüssig dargelegt. Die Beschwerde erklärt vielmehr das FG-Urteil für "materiell fehlerhaft", womit sie jedoch einen Grund für die Zulassung der Revision nicht darlegt.
Die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen ist auch nicht etwa offensichtlich. Nach Art. 1 Abs. 1 der im Streitfall anzuwendenden Verordnung (EG) Nr. 1524/2000 (VO Nr. 1524/2000) des Rates vom 10. Juli 2000 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Fahrrädern mit Ursprung in der Volksrepublik China (ABlEG Nr. L 175/39) gilt der eingeführte Antidumpingzoll für Zweiräder und andere Fahrräder (einschließlich Lastendreiräder), ohne Motor, die den Unterpos. 8712 00 10, 8712 00 30 und 8712 00 80 KN in der seinerzeit geltenden Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2204/1999 der Kommission vom 12. Oktober 1999 (ABlEG Nr. L 278/1) zugewiesen werden. Damit sind sämtliche Untergliederungen der Unterpos. 8712 00 KN angesprochen, so dass auch Einräder dazu gehören, denn diese sind fraglos "andere" Fahrräder als Zweiräder. Dementsprechend werden auch nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) zur Pos. 8712 Rz. 05.1 Einräder von der Unterpos. 8712 00 KN erfasst.
Die vom FG vertretene Ansicht kann sich somit auf den Wortlaut der anzuwendenden Vorschriften stützen. Wenn demgegenüber die Beschwerde unter Hinweis auf die ErlHS im Zeitpunkt des Erlasses der VO Nr. 2474/93 sowie auf den Erwägungsgrund Nr. 25 zur Verordnung (EG) Nr. 1095/2005 (VO Nr. 1095/2005) des Rates vom 12. Juli 2005 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Fahrrädern mit Ursprung in Vietnam und zur Änderung der VO Nr. 1524/2000 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Fahrrädern mit Ursprung in der Volksrepublik China (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 183/1) meint, dass es von Anfang an nicht der Absicht des Verordnungsgebers entsprochen habe, auf die Einfuhren auch von Einrädern einen Antidumpingzoll einzuführen, und dass Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 1524/2000 dementsprechend einschränkend auszulegen sei, so ist die damit sinngemäß bezeichnete Rechtsfrage jedenfalls nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, weil es sich bei der VO Nr. 1524/2000 um ausgelaufenes Recht handelt (vgl. dazu: Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 35). Durch Art. 2 VO Nr. 1095/2005 ist Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 1524/2000 nämlich dahin geändert worden, dass Einräder vom Antidumpingzoll ausgenommen werden, was im Übrigen zeigt, dass der Verordnungsgeber davon ausging, dass bis dahin Einräder von dieser Vorschrift erfasst wurden. Im Streitfall könnte daher eine Entscheidung des BFH in einem Revisionsverfahren für die Zukunft nicht richtungweisend sein. Allein der Umstand, dass noch eine Reihe anderer Verfahren betreffend Einrad-Einfuhren der Klägerin aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der VO Nr. 1095/2005 beim HZA anhängig sind, vermag die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der Auslegung des Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 1524/2000 ebenfalls nicht zu begründen (vgl. Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz 24).
Ist aber davon auszugehen, dass nach dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 1524/2000 vor seiner Änderung durch die VO Nr. 1095/2005 der eingeführte Antidumpingzoll auch für Einräder galt, und sollte das Vorbringen der Beschwerde zutreffen, dass es sich hierbei um eine vom Verordnungsgeber nicht beabsichtigte Folge der von ihm erlassenen Vorschrift handelte, so bedurfte es einer entsprechenden Änderung dieses Wortlauts, wie sie dann mit Art. 2 VO Nr. 1095/2005 auch vorgenommen worden ist. Wollte man der mit der Beschwerde vorgetragenen Ansicht, dass diese Änderung auch auf vor ihrem Inkrafttreten getätigte Einfuhren anzuwenden sei, eine in ausreichender Weise bezeichnete Rechtsfrage entnehmen, so wäre diese jedenfalls nicht klärungsbedürftig, weil sie sich nur so beantworten lässt, wie es das FG getan hat. Wenn der Verordnungsgeber der Ansicht war, dass der mit Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 1524/2000 eingeführte Antidumpingzoll auch die Einfuhr von Einrädern erfasste, er dies aber als eine nicht beabsichtigte Rechtsfolge ansah und die Vorschrift deshalb entsprechend änderte, so hätte er es in der Hand gehabt, diese besondere Änderung auch auf bereits getätigte --ggf. noch nicht rechtbeständig behandelte-- Einfuhren zurückwirken zu lassen. Er hat dies jedoch nicht getan, sondern hat die VO Nr. 1095/2005 insgesamt am 15. Juli 2005 in Kraft treten lassen (Art. 3 VO Nr. 1095/2005). Da der für die Bemessung der Einfuhrabgaben maßgebende Zeitpunkt derjenige der Annahme der Zollanmeldung durch die Zollbehörden ist (vgl. Art. 67, Art. 201 Abs. 2, Art. 214 Abs. 1 des Zollkodex), hat das FG die mit der VO Nr. 1095/2005 vorgenommene Änderung zu Recht nicht auf den Streitfall angewendet.
2. Die gerügten Verfahrensmängel sind nicht schlüssig dargelegt bzw. liegen nicht vor.
Die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter stellt keinen Verfahrensmangel dar. Das FG hat im Streitfall von der ihm nach § 6 Abs. 1 FGO gegebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Rechtsstreit durch Beschluss des Senats einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung zu übertragen. Dieser Beschluss ist nach § 6 Abs. 4 Satz 1 FGO unanfechtbar. Eine fehlerhafte Anwendung des § 6 FGO kann folglich grundsätzlich auch nicht mit der Revision (§ 124 Abs. 2 FGO) und somit auch nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden. Die in § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO aufgeführten materiellen Übertragungsvoraussetzungen, dass die an den Einzelrichter zu übertragende Sache keine besondere Schwierigkeit aufweist und keine grundsätzliche Bedeutung hat, sind nicht als tatbestandliche Voraussetzungen für das Übertragungsermessen des FG, sondern lediglich als der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht entzogene Leitlinien eines dem FG eingeräumten Ermessens zu verstehen (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 1999 VII R 15/99, BFHE 190, 47, BStBl II 2000, 88). Ob gleichwohl bei einer objektiv willkürlichen, d.h. unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt nachvollziehbaren Beurteilung der Schwierigkeit und Bedeutung einer Streitsache durch das FG die Übertragungsentscheidung mit Rechtsmitteln angreifbar sein kann, ist im Streitfall nicht zu entscheiden, da --wie auch die obigen Ausführungen zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zeigen-- von Willkür nicht die Rede sein kann.
Der geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht schlüssig dargelegt. Der Umstand, dass ein --wie die Beschwerde behauptet-- in den Sachakten befindliches Schreiben der Kommission an das Bundesministerium der Finanzen vom 28. September 2005 vom FG weder schriftlich noch in der mündlichen Verhandlung erwähnt worden sei, stellt keine Verletzung des Anspruchs auf Gehör dar. Rechtliches Gehör wird den Beteiligten u.a. dadurch gewährt, dass sie sich zu den Tatsachen und Beweisergebnissen, auf die sich das Urteil stützt, äußern können (§ 96 Abs. 2 FGO). Im Streitfall hat jedoch zum einen das FG seine Entscheidung nicht auf das Schreiben der Kommission vom 28. September 2005 gestützt, zum anderen waren die Sachakten, in denen sich das Schreiben nach dem Vorbringen der Beschwerde befunden haben soll, Gegenstand der mündlichen Verhandlung; die Klägerin konnte diese Akten einsehen (§ 78 FGO) und zu ihrem Inhalt Stellung nehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 1679504 |
BFH/NV 2007, 519 |