Bedeutung des Neutralitätsgrundsatzes für Steuersatzermäßigungen

Ein Mitgliedstaat, der auf der Grundlage von Art. 122 MwStSystRL einen ermäßigten Steuersatz für Lieferungen von Brennholz schafft, kann dessen Anwendungsbereich anhand der KN auf bestimmte Kategorien von Lieferungen von Brennholz begrenzen, sofern der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird (Folgeentscheidung zum EuGH-Urteil Finanzamt A v. 3.2.2022, C-515/20; EU:C:2022:73 – Änderung der Rechtsprechung).

Hintergrund: Lieferung von Holzhackschnitzeln als Brennholz

Streitig war die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für die Lieferung von zum Heizen bestimmter Holzhackschnitzel.

X lieferte in 2015 Holzhackschnitzel (Industrie- und Waldhackschnitzel) an zwei Abnehmer (Gemeinde A, Pfarramt B). Außerdem belieferte er die Gemeinde C im Rahmen eines Vertrags über das Betreiben einer Holzschnitzelheizungsanlage.

Mit der Klage erstrebte X die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 48 Buchst. a der Anlage 2 zum UStG. Das FG gab der Klage nur für die Lieferungen an A und B statt. Für das gegenüber C erbrachte Leistungsbündel wandte es den Regelsteuersatz an.  

Im Revisionsverfahren hatte der BFH dem EuGH die Frage vorgelegt, ob ein Mitgliedstaat den ermäßigten Steuersatz für die Lieferung von Brennholz anhand der Kombinierten Nomenklatur auf bestimmte Kategorien von Brennholz beschränken kann (Vorlagebeschluss v. 10.6.2020, V R 6/18, BStBl II 2021, S. 890).

Nach Ergehen des Urteils des EuGH "Finanzamt A" v. 3.2.2022, C-515/20 (EU:C:2022:73) konnte der BFH über die sowohl von X als auch vom FA eingelegten Revisionen entscheiden.

Entscheidung: Beachtung des Neutralitätsgrundsatzes

Ein Mitgliedstaat kann die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf bestimmte Kategorien von Brennholz beschränken, sofern die steuerliche Neutralität beachtet wird. Der BFH wies die Revisionen zurück. Die Lieferungen an A und B unterliegen dem ermäßigten Steuersatz. Gegenüber C liegt eine einheitliche dem Regelsteuersatz unterliegende Leistung vor.

Ermäßigte Besteuerung von Brennholz

§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ordnet i.V.m. der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG eine Steuersatzermäßigung für die Lieferung von Brennholz entsprechend den dort in der zweiten und dritten Spalte genannten Bedingungen an. Danach bezieht sich die Steuersatzermäßigung entsprechend der Warenbezeichnung der zweiten Spalte auf "Brennholz in Form von Rundlingen, Scheiten, Zweigen, Reisigbündeln oder ähnlichen Formen", das entsprechend der Verweisung auf den "Zolltarif" in der dritten Spalte in die "Unterposition 4401 10 00" der KN einzureihen ist. Unionsrechtliche Grundlage für diese Steuersatzermäßigung ist Art. 122 MwStSystRL. Danach können die Mitgliedstaaten auf die Lieferungen von Brennholz einen ermäßigten Steuersatz anwenden.

Bisherige Rechtsprechung

Nach der bisherigen Auffassung des BFH kam einer zolltariflichen Einreihung Vorrang gegenüber dem Neutralitätsgrundsatz zu, da Gegenstände, die in unterschiedliche Unterpositionen der KN einzureihen sind, als "nicht gleichartig" angesehen wurden, auch wenn sie über einen "identischen Anwendungsbereich" und "Verwendungszweck" verfügen und die "gleiche ... Wirkung haben" und "zum gleichen Zweck ... verwendet" werden (BFH v. 9.2.2006, V R 49/04, BStBl II 2006, S. 694, Rz. 38 ff zu Milchersatzprodukten pflanzlichen Ursprungs; BFH v. 26.0.2018, VII R 47/17, BFH/NV 2018, S. 1223, Rz. 22 f. zu Holzhackschnitzeln).

Änderung der Rechtsprechung

Bei richtlinienkonformer Auslegung der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG ist aufgrund des ergangene EuGH-Urteils "Finanzamt A" (EU:C:2022:73) davon auszugehen, dass ein Mitgliedstaat, der auf der Grundlage von Art. 122 MwStSystRL einen ermäßigten Steuersatz für Lieferungen von Brennholz schafft, dessen Anwendungsbereich anhand der KN auf bestimmte Kategorien von Lieferungen von Brennholz begrenzen kann, sofern der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird. Der BFH hält daher an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht fest.

Holzhackschnitzel als Brennholz

Holzhackschnitzel können auch dann nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG der Steuersatzermäßigung unterliegen, wenn sie bei richtlinienkonformer Auslegung entsprechend Art. 122 MwStSystRL Brennholz im Sinne der Warenbeschreibung der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG sind. Dem steht das Fehlen der hierfür erforderlichen zolltariflichen Einreihung in die Unterposition 4401 10 00 KN nicht entgegen. Denn die Holzhackschnitzel und das diese zolltarifliche Voraussetzung erfüllende Brennholz sind nach den Verhältnissen des Streitfalls austauschbar. Der Begriff des Brennholzes im Sinne der zweiten Spalte der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG umfasst jegliches Holz, das nach seinen objektiven Eigenschaften ausschließlich zum Verbrennen (zum Heizen) bestimmt ist (EuGH-Urteil "Finanzamt A", EU:C:2022:73).

Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz

Liegt somit Brennholz i.S. der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG vor, könnte die Steuersatzermäßigung für eine bestimmte Art von Brennholz (ohne Verstoß gegen den Neutralitätsgrundsatz) nur dann ausgeschlossen werden, wenn die verschiedenen Arten des Brennholzes für den Durchschnittsverbraucher nicht austauschbar wären (EuGH-Urteil "Finanzamt A", dritte Antwort, EU:C:2022:73). Im Streitfall wurde jedoch vom FG die Austauschbarkeit ohne Rechtsverstoß bejaht, da die Holzhackschnitzel in gleicher Weise wie anderes Brennholz (Rundlinge, Scheiten usw.) zum Heizen dienen. Der Ausschluss der Lieferungen an A und B von der Steuersatzermäßigung verstößt somit gegen den Neutralitätsgrundsatz.  

Regelsteuersatz für die einheitliche Beheizungsleistung gegenüber C

Die gegenüber der Gemeinde C erbrachte Leistung unterliegt dagegen dem Regelsteuersatz. Mit dem Betrieb der Heizungsanlage liegt eine wirtschaftlich einheitliche Leistung (Leistungsbündel) zu einem Gesamtpreis vor.

Hinweis: Anwendungsvorrang des Unionsrechts

Der BFH hebt besonders hervor, dass bei einem Widerspruch zwischen dem nationalen Recht und dem Unionsrecht die nationalen Gerichte das nationale Recht aus eigener Entscheidungsbefugnis nicht anwenden dürfen, und zwar ohne dass die vorherige Beseitigung dieser Vorschrift auf verfahrensrechtlichem Wege abgewartet werden müsste. Das umfasst auch die Befugnis, eine nationale Vorschrift zur Wahrung des Neutralitätsgrundsatzes unionsrechtskonform auszulegen. Der BFH sah aus diesem Grund davon ab, eine Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Anlage 2 zum UStG einzuholen.

BFH Urteil vom 21.04.2022 - V R 2/22 (V R 6/18), V R 2/22, V R 6/18 (veröffentlicht am 14.07.2022)

Alle am 14.07.2022 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen


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