Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufklärungs- und Mitwirkungspflicht bei Streit über Geschäftsleitungsort
Leitsatz (NV)
1. Eine gesteigerte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO kann auch denjenigen Beteiligten treffen, der bestreitet, im Inland seine Geschäftsleitung oder eine andere Betriebsstätte zu haben.
2. An welchem Ort der Geschäftsleitung zuzuordnende Maßnahmen vorgenommen worden sind, muss das FG im Rahmen einer tatrichterlichen Würdigung ermitteln. In diesem Zusammenhang ist es bei seiner Überzeugungsbildung nicht an feste Regeln gebunden.
3. Das FG muss einem Beweisantrag nur dann nachkommen, wenn dieser substantiiert ist. Das setzt voraus, dass das Beweisthema und das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne Tatsachen angegeben werden.
Normenkette
AO §§ 78, 90 Abs. 2; FGO § 76 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) in den Streitjahren (1995 und 1996) im Inland unbeschränkt steuerpflichtig war.
Die Klägerin, eine AG, betreibt einen Großhandel. Ihr statutarischer Sitz befand sich in den Streitjahren in Luxemburg. Der Verwaltungsrat der Klägerin bestand zunächst aus drei Personen; eine weitere Person (M) besaß eine Generalvollmacht für die tägliche Geschäftsführung. Im September 1996 wurde M zum Mitglied des Verwaltungsrats der Klägerin ernannt; mit Beschluss vom 25. September 1996 wurde er zum Delegierten des Verwaltungsrats bestellt und zum Verantwortlichen für die laufende Geschäftsführung der Klägerin erklärt.
Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass die Klägerin erstmals im August 1996 in Luxemburg ein Büro angemietet und ihre Geschäftsleitung dorthin verlegt habe. Zuvor seien ihre Tagesgeschäfte im Inland geführt worden, und zwar entweder in der in S gelegenen Privatwohnung des M oder in den Geschäftsräumen einer ebenfalls in S residierenden GmbH. Bei dem Satzungssitz der Klägerin habe es sich um eine Domiziladresse gehandelt. Auf dieser Basis nahm das FA an, dass die Klägerin bis zum August 1996 unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig gewesen sei und ihr Gewerbe im Inland betrieben habe. Es erließ entsprechende Körperschaftsteuerbescheide und Gewerbesteuermessbescheide, die im Wesentlichen auf Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen beruhten. Diese Bescheide gab es M als Vertreter der Klägerin bekannt.
Die Klage gegen die genannten Bescheide hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen, ohne die Revision gegen sein Urteil zuzulassen. Mit ihrer daraufhin erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die von der Klägerin geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) oder wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (Nr. 2). Beide genannten Varianten der Vorschrift setzen voraus, dass im konkreten Einzelfall eine Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, deren Beantwortung sich weder unmittelbar aus dem Gesetz noch aus der bereits vorhandenen Rechtsprechung ergibt. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall nicht vor.
a) Die Klägerin hält zum einen für nicht geklärt, ob die --vom FG herangezogenen-- Regelungen in § 90 Abs. 1 und 2 der Abgabenordnung (AO) auch dann eingreifen, wenn es um die Frage nach der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland geht. Sie macht dazu geltend, dass eine solche Kapitalgesellschaft nur dann dem Regelungsbereich der AO unterfalle, wenn sie im Inland zumindest eine Betriebsstätte habe; deshalb dürfe zu dieser Frage § 90 AO nicht herangezogen werden, da anderenfalls die sich aus der Vorschrift ergebende Rechtsfolge zur Grundlage dafür gemacht werde, die Anwendung der Norm überhaupt erst zu begründen. Damit zeigt die Klägerin indessen keine klärungsbedürftige und im Streitfall klärungsfähige Rechtsfrage auf.
Denn sowohl § 90 Abs. 1 als auch § 90 Abs. 2 AO begründen nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut Mitwirkungspflichten der "Beteiligten". Der Begriff "Beteiligter" ist für den Geltungsbereich der AO in § 78 AO definiert (Hartmann in Beermann/Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 90 AO Rz 3 f.). Danach zählt zu diesem Personenkreis insbesondere derjenige, an den die Finanzbehörde den Verwaltungsakt gerichtet hat oder richten will (§ 78 Nr. 2 AO). Das ist im Streitfall die Klägerin, weshalb sich im Zusammenhang mit der Anwendung des § 90 AO die in der Beschwerdebegründung bezeichnete Frage nicht stellt.
Auf der Basis der gesetzlichen Regelungslage könnte allenfalls klärungsbedürftig sein, ob § 90 Abs. 1 und 2 AO eine Mitwirkungspflicht und die daran geknüpften Rechtsfolgen auch gegenüber demjenigen ausländischen Beteiligten begründen, den die Finanzbehörde ohne jede Veranlassung in ein Besteuerungsverfahren einbezogen hat oder einbeziehen will. Um einen solchen Sachverhalt geht es jedoch im Streitfall nicht. Denn nach den Feststellungen des FG ist die Klägerin von dem in Deutschland wohnhaften und berufstätigen M geleitet worden, woraus sich ein hinreichender Anknüpfungspunkt für Nachforschungen dazu ergibt, ob sich diese Geschäftsleitungstätigkeit im Inland vollzogen hat. Die Frage nach der Anwendung des § 90 AO auf Steuerausländer, die gleichsam "ins Blaue hinein" einer deutschen Besteuerung unterworfen worden sind oder werden sollen, ist daher im Streitfall nicht klärungsfähig.
b) Sodann weist die Klägerin darauf hin, dass das FA nicht dargelegt oder nachgewiesen habe, welche Geschäftsleitungsmaßnahmen bei ihr --der Klägerin-- notwendig gewesen und inwieweit diese Maßnahmen im Inland vollzogen worden seien. Gleichwohl habe das FG seinen Vortrag für hinreichend gehalten. Demgegenüber halte es ihr --der Klägerin-- vor, die in Luxemburg vorgenommenen Maßnahmen nicht präzisiert und durch Unterlagen belegt zu haben. Damit stelle es an sie höhere Anforderungen als an das FA, das aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes primär zur Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet sei. Ob dies zulässig sei, müsse höchstrichterlich geklärt werden. Auch damit kann die Klägerin keinen Erfolg haben.
Denn in der Sache wendet sie sich mit dieser Argumentation gegen die vom FG vorgenommene Beweiswürdigung. Sie rügt im Kern, dass das FG in der konkret gegebenen Situation die Anforderungen an den ihr --der Klägerin-- abverlangten Nachweis überspannt habe. Die tatrichterliche Überzeugungsbildung, um die es hiernach geht, unterliegt jedoch keinen festen Regeln; solche könnten auch in einem den Streitfall betreffenden Revisionsverfahren nicht aufgestellt werden. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage stellt sich in diesem Zusammenhang nicht. Im Übrigen könnte die Beweiswürdigung des FG vom Revisionsgericht inhaltlich nur daraufhin überprüft werden, ob sie gegen Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen; ein solcher Mangel ist weder von der Klägerin aufgezeigt worden noch aus dem angefochtenen Urteil selbst ersichtlich.
2. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision ferner dann zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann. Einen solchen Mangel sieht die Klägerin darin, dass das FG seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 FGO) nicht ausreichend nachgekommen sei und insbesondere von ihr --der Klägerin-- benannte Zeugen nicht gehört habe. Diese Rüge geht ebenfalls fehl.
a) Ausweislich des angefochtenen Urteils hat die Klägerin zwei Zeuginnen benannt, die bekunden sollten, dass in Deutschland keine Geschäftsleitungsfunktionen ausgeübt worden seien. Das FG hat daraufhin als wahr unterstellt, dass die Zeuginnen entsprechende Tätigkeiten des M nicht bemerkt haben. Vor diesem Hintergrund hätte es die Zeuginnen nur dann vernehmen müssen, wenn es davon hätte ausgehen müssen, dass in Deutschland vollzogene Geschäftsleitungsmaßnahmen von den Zeuginnen hätten wahrgenommen werden müssen und dass deshalb das Fehlen einer solchen Wahrnehmung auf das Fehlen entsprechender tatsächlicher Vorgänge schließen lasse. Konkrete Angaben, die eine solche Annahme rechtfertigten, hatte die Klägerin aber ausweislich des angefochtenen Urteils nicht gemacht. Angesichts dessen durfte das FG von der Vernehmung der Zeuginnen absehen.
b) Sodann hat die Klägerin eine der erwähnten Zeuginnen sowie drei weitere Zeugen "zur Frage der Ausübung von Geschäftsleitungsfunktionen in Luxemburg" benannt. Diesem Beweisantrag ist das FG mit der Begründung nicht nachgekommen, dass er aus verschiedenen Gründen zu unsubstantiiert sei. Er beinhalte insbesondere keine Angabe dazu, über welche konkreten Maßnahmen die Zeugen sollten Auskunft geben können. Dieser Würdigung ist unter den Gegebenheiten des Streitfalls zuzustimmen:
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass das FG einem Beweisantrag nur dann nachkommen muss, wenn dieser substantiiert ist (BFH-Beschlüsse vom 13. August 2002 VII B 267/01, BFH/NV 2003, 63; vom 17. März 2003 VII B 269/02, BFH/NV 2003, 825; vom 2. März 2006 XI B 79/05, BFH/NV 2006, 1132). Das setzt voraus, dass das Beweisthema und das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne konkrete Tatsachen genau angegeben wurden (BFH-Beschluss vom 21. November 2002 VII B 58/02, BFH/NV 2003, 485). Vor diesem Hintergrund hat das FG im Streitfall zu Recht angenommen, dass der bloße Hinweis auf eine nicht näher beschriebene "Ausübung von Geschäftsleitungsfunktionen" den von der Klägerin gestellten Beweisantrag nicht als hinreichend bestimmt erscheinen lasse: Gegenstand einer vom FG durchzuführenden Zeugenvernehmung hätte nur die im Bereich des Tatsächlichen liegende Frage sein können, welche auf die Klägerin bezogenen Tätigkeiten welche Personen in Luxemburg ausgeübt haben; davon zu unterscheiden ist die vom FG zu beurteilende Rechtsfrage, ob die ggf. von den Zeugen zu bestätigenden Vorgänge dem Bereich der Geschäftsleitung zuzuordnen sind oder nicht. Deshalb hätte es der Klägerin oblegen, im Rahmen ihres Beweisantrags die angeblich in Luxemburg getroffenen Maßnahmen näher zu beschreiben, da nur so die Entscheidungserheblichkeit der unter Beweis gestellten Umstände dargetan werden konnte. An der demnach notwendigen Konkretisierung der behaupteten Umstände fehlte es jedoch, weshalb das FG von der Beweiserhebung zu Recht abgesehen hat.
Fundstellen