Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensfehler bei fehlerhafter Belehrung des FG
Leitsatz (NV)
Erlässt das FA im Laufe des Klageverfahrens zwei Änderungsbescheide und belehrt das FG die Kläger dahin, dass Gegenstand des Verfahrens der erste Änderungsbescheid ist, passen daraufhin die Kläger ihren Klageantrag dieser Rechtsauffassung des FG an und entscheidet das FG anschließend über den ersten Änderungsbescheid, ist das Urteil des FG wegen Verfahrensfehlers aufzuheben.
Normenkette
FGO §§ 68, 76 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 04.05.2006; Aktenzeichen 14 K 4979/02 E) |
Tatbestand
I. Streitig war in der Sache, ob anlässlich einer --unstreitig gebotenen-- teilweisen Auflösung einer Rekultivierungsrückstellung der verbleibende Rückstellungsbetrag anhand gestiegener Rekultivierungskosten neu zu bewerten ist, auch wenn die Rekultivierungsverpflichtung anlässlich der Betriebsaufgabe entstanden war.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), der eine Kies- und Sandbaggerei betrieb, veräußerte seinen Betrieb am 26. Juni 1981. Dabei verpflichtete er sich gegenüber dem Käufer, die von ihm ausgekiesten Grundstücke nach entsprechender öffentlich-rechtlicher Genehmigung wieder zu verfüllen. Die von ihm hierfür gebildete Rekultivierungsrückstellung wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) dem Grunde und der Höhe nach anerkannt. Nachdem der Antrag des Klägers, eines der ausgekiesten Grundstücke wieder aufzufüllen, abgelehnt worden war, erließ das FA am 14. Juli 1995 einen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid für 1981, in dem es die Rekultivierungsrückstellung vollumfänglich auflöste.
Nach erfolglos gebliebenem Einspruch erhoben der Kläger und seine mit ihm zusammen veranlagte Ehefrau, die Klägerin, am 9. September 2002 Klage. Am 6. März 2006 erließ das FA einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1981 und folgte dem Klagebegehren insoweit, als es teilweise vom Fortbestehen der Rekultivierungsverpflichtung ausging, allerdings die zu rekultivierende Böschungslänge aus tatsächlichen Gründen verringerte. Am 21. März 2006 erließ es einen weiteren, auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützten Einkommensteueränderungsbescheid für 1981 und trug dabei dem Umstand Rechnung, dass der Kläger aufgrund eines Vergleichsvertrages vom 24. Januar 2003 von sämtlichen Rekultivierungsverpflichtungen freigestellt worden war.
Dem richterlichen Hinweis, der Änderungsbescheid vom 21. März 2006 sei nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden, widersprachen die Kläger, passten dann aber im Anschluss an ein Gespräch mit dem Vorsitzenden Richter ihren Klageantrag der Auffassung des Gerichts an.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Gegenstand des Verfahrens sei nur der Änderungsbescheid vom 6. März 2006 geworden (§ 68 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), nicht der Änderungsbescheid vom 21. März 2006. Dem letztgenannten Änderungsbescheid liege ein Lebenssachverhalt, nämlich der Vergleichsvertrag vom 24. Januar 2003 als rückwirkendes Ereignis zugrunde, der zum Zeitpunkt des mit der Klage angefochtenen Steuerbescheides vom 14. Juli 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. August 2002 noch nicht verwirklicht gewesen sei. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes durch das FG beschränke sich auf den Lebenssachverhalt, dessen Besteuerung das FA mit dem angefochtenen Verwaltungsakt erstrebt habe (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. April 2001 II R 62/99, BFH/NV 2001, 1448). Es sei nicht Sache des Gerichts, selbständig gestaltend oder korrigierend tätig zu werden. Dem Begehren der Kläger, die aus der Sicht des Bescheides vom 6. März 2006 verbliebene Rekultivierungsrückstellung anhand der Preissteigerungen neu zu bewerten, sei nicht zu folgen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde stützt sich auf die sinngemäß aufgeworfene Rechtsfrage, ob anlässlich der teilweisen Auflösung einer Rückstellung die verbleibende Rückstellung anhand gestiegener Kosten neu bewertet werden könne, und auf Verfahrensfehler. Nach § 68 FGO sei der am 21. März 2006 ergangene Änderungsbescheid Gegenstand des Verfahrens geworden.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde der Kläger ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründet. Der erkennende Senat hebt das Urteil des FG nach § 116 Abs. 6 FGO auf und verweist die Sache an das FG zurück. Das FG hat einen Verfahrensfehler dadurch begangen, dass es die Kläger zu Unrecht veranlasst hat, die Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 6. März 2006 und nicht des danach zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Änderungsbescheides vom 21. März 2006 zu beantragen (Verstoß gegen § 76 Abs. 2 FGO).
Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt nach § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Klageverfahrens. Gegenstand des Klageverfahrens, über den das FG im Streitfall zu entscheiden hatte, war der Änderungsbescheid vom 21. März 2006. Das FA hat den ursprünglich mit der Klage angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1981 vom 14. Juli 1995 zunächst durch Bescheid vom 6. März 2006 gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und diesen Bescheid wiederum durch Bescheid vom 21. März 2006 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert. Damit ist der Änderungsbescheid vom 21. März 2006 an die Stelle des vorangegangenen Änderungsbescheides vom 6. März 2006 getreten.
Aufgrund der unzutreffenden Auslegung des § 68 FGO hat das FG daher über einen Bescheid entschieden, der keine Rechtswirkungen mehr entfaltet. Der Änderungsbescheid vom 6. März 2006 ist in dem späteren Änderungsbescheid aufgegangen. Solange der zuletzt genannte Änderungsbescheid besteht, verletzen die vorausgegangenen Bescheide nicht mehr die Rechte der Kläger i.S. des § 100 Abs. 1 FGO. Einem auf Änderung dieser Bescheide gerichtetes Begehren würde nach ständiger Rechtsprechung das Rechtsschutzbedürfnis fehlen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 27. Juni 2005 V R 21/99, BFH/NV 2005, 1846; vom 29. November 2005 X B 175/00, BFH/NV 2006, 594, m.w.N.).
Für Änderungen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gilt nichts anderes als für Änderungen nach sonstigen Vorschriften. § 68 FGO stellt nicht darauf ab, aufgrund welcher Verfahrensnormen ein Bescheid geändert oder ersetzt wird. Das vom FG zitierte BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 1448 betrifft nicht die Frage der Reichweite des § 68 FGO. Vielmehr war dort darüber zu entscheiden, ob die Abtretung von Ansprüchen nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen oder die Entscheidung des Amts zur Regelung offener Vermögensfragen Grunderwerbsteuer auslöste. Grunderwerbsteuerrechtlich sind das verschiedene Sachverhalte. Im Streitfall geht es jedoch um die Rechtmäßigkeit der für den Veranlagungszeitraum 1981 festgesetzten Einkommensteuer. Die Besteuerungsgrundlagen hierfür sind unselbständiger, nicht anfechtbarer Teil des Steuerbescheides, soweit die Besteuerungsgrundlagen nicht gesondert festgestellt werden (§ 157 Abs. 2 AO). Dementsprechend haben die FG im Rahmen des Klageantrages die Rechtmäßigkeit der festgesetzten Einkommensteuer vollumfänglich zu prüfen.
Fundstellen