Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufige Steuerfestsetzung bei nachrangigen Fragen
Leitsatz (NV)
Eine nach § 165 AO vorläufige Steuerfestsetzung kommt nur in Betracht, wenn trotz angemessener Bemühungen des FA, den Sachverhalt aufzuklären, eine Unsicherheit in tatsächlicher Hinsicht bleibt, die entweder zurzeit nicht oder nur unter unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten behoben werden kann. Nachrangige Ermittlungen und Nachprüfungen können dennoch zurückgestellt werden, solange offen ist, ob ihnen bei der Steuerfestsetzung überhaupt eine Bedeutung zukommt, und zwar unabhängig davon, ob sich diese nachrangigen Fragen bei späterer Beurteilung als einfach oder schwierig herausstellen.
Normenkette
AO §§ 88, 165; FGO § 115 Abs. 2
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht dartun können. Weder greift der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) noch der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).
1. Die Kläger sind der Ansicht, die Rechtssache habe im Hinblick auf die Fragen grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), ob
die Berichtigung von Rechtsfehlern, die unter Berücksichtigung des in § 88 Abs. 1 und 2 der Abgabenordnung (AO) geregelten Untersuchungsgrundsatzes bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlage und der Voraussetzung des nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO vorläufig festzustellenden Sachverhaltes entstanden seien, unter die Vorschrift des § 165 Abs. 2 Satz 1 AO zu subsumieren sei;
die Feststellung der Besteuerungsgrundlage, aus welcher sich Grund und Umfang des Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO ergeben, materiell nicht bestandskräftig werde, obwohl sich die Vorläufigkeit nur noch punktuell auf die Erfüllung des Steuertatbestandes beschränke, welcher aus dem Ergebnis der Feststellung der Besteuerungsgrundlage resultiere;
nicht die Formulierung "punktuelle Änderung" nach h.M. und der Fachliteratur aus dem Grund verwendet werde, weil alle Feststellungen bis auf die ungeklärte Frage materiell und formell bestandskräftig werden;
ein Rechtsanwendungsfehler als "nachrangig" beurteilt werden könne, obwohl nach § 88 Abs. 2 AO alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände berücksichtigt werden müssten und dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) die relevanten Unterlagen durch Abruf des Kontoauszuges vorlägen;
das Urteil des Finanzgerichts (FG) den Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen und den Grundsatz von Treu und Glauben berühre.
Zutreffend weist das FA in der Beschwerdeerwiderung darauf hin, dass durch die Rechtsprechung des BFH die von den Klägern aufgeworfenen Fragen --sofern sie überhaupt grundsätzlicher Art und nicht einzelfallbezogen sind-- bereits höchstrichterlich geklärt sind. Seit der Entscheidung vom 22. Dezember 1987 IV B 174/86 (BFHE 152, 43, BStBl II 1988, 234) entspricht es der ständigen Rechtsprechung (zuletzt BFH-Beschluss vom 24. Februar 2009 IX B 176/08, BFH/NV 2009, 889), dass die Finanzbehörde in mehrfacher Hinsicht einen Ermessensspielraum hat, wenn in tatsächlicher Hinsicht Ungewissheiten über die Voraussetzungen des gesetzlichen Steuertatbestandes bestehen. Sie kann sich dafür entscheiden, die in den tatsächlichen Voraussetzungen ungeklärte Einkunftsquelle aus der Besteuerung gänzlich auszuklammern oder (gemäß der abgegebenen Steuererklärung) in die Steuerfestsetzung einbeziehen. Zwar besteht die aus § 88 AO folgende amtliche Ermittlungspflicht unbeschadet des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO. Deshalb kommt eine vorläufige Steuerfestsetzung nur dann in Betracht, wenn trotz angemessener Bemühungen des FA, den Sachverhalt aufzuklären, eine Unsicherheit in tatsächlicher Hinsicht bleibt, die entweder zur Zeit nicht oder nur unter unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten behoben werden kann (BFH-Urteil vom 27. November 2008 IV R 17/06, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2009, 771). Allerdings können nachrangige Ermittlungen und Nachprüfungen zurückgestellt werden, solange offen ist, ob ihnen bei der Steuerfestsetzung überhaupt eine Bedeutung zukommt (BFH-Urteil in HFR 2009, 771), und zwar unabhängig davon, ob sich diese nachrangigen Fragen bei späterer Beurteilung als einfach oder schwierig herausstellen. Geht das FA deshalb --wie im Streitfall-- davon aus, dass die für den Steuerpflichtigen negative Beantwortung der (in tatsächlicher Hinsicht ungewissen) Hauptfrage, nämlich die Bejahung der Liebhaberei, Ermittlungs- und Prüfungshandlungen in Bezug auf alle nachrangigen Fragen überflüssig machen würde, und entschließt es sich daher, die nachrangigen Fragen zunächst nicht zu überprüfen, sondern in den Vorbehalt der vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 AO einzubeziehen, bewegt es sich im Rahmen eines von § 165 Abs. 1 und 2 AO abgedeckten Ermessensspielraums.
Wird mit der vorläufigen Steuerfestsetzung zunächst entsprechend den rechtlichen Vorstellungen des Steuerpflichtigen verfahren, darf er in den nachrangigen Einzelfragen auch dann nicht mit einem Fortbestand der in der vorläufigen Steuerfestsetzung vom FA hingenommenen rechtlichen Beurteilung rechnen, wenn sich das FA in der vorrangigen Hauptfrage nach Beseitigung der tatsächlichen Ungewissheit anders entscheidet. Dementsprechend musste auch den Klägern im Streitfall bewusst sein, dass das FA den Umstand, ob Umsatzsteuerzahlungen bzw. -erstattungen zutreffend als Betriebsausgaben bzw. -einnahmen erfasst worden sind, überprüfen wollte, wenn es sich bei der Tätigkeit des Klägers nicht um eine steuerrechtlich irrelevante Liebhaberei handelt.
2. Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidungen sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung deutlich erkennbar zu machen. Des Weiteren ist darzulegen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 48).
Im Streitfall kann offenbleiben, ob die Beschwerdebegründung diesen Anforderungen entspricht. Die behauptete Divergenz zu den BFH-Urteilen vom 2. März 2000 VI R 48/97 (BFHE 191, 223, BStBl II 2000, 332) und vom 6. März 1992 III R 47/91 (BFHE 167, 290, BStBl II 1992, 588) liegt jedenfalls nicht vor. Im Urteil in BFHE 191, 223, BStBl II 2000, 332 hat der BFH entschieden, dass bei einer Änderung der Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO sämtliche Fehler, die bei der Steuerfestsetzung unterlaufen sind, nach § 177 AO beseitigt werden dürfen, soweit die Änderung reicht. In der Entscheidung hat sich der BFH ausdrücklich mit dem Beschluss in BFHE 152, 43, BStBl II 1988, 234, dessen Rechtsgrundsätze das FG im Streitfall auch nach der Einlassung der Kläger lediglich nachvollzogen hat, auseinandergesetzt. Er kam zu dem Ergebnis, der Beschluss stehe der Entscheidung in BFHE 191, 223, BStBl II 2000, 332 nicht entgegen, weil dort die Frage zu klären gewesen sei, ob die Vorläufigkeit auch nachrangige Streitpunkte umfasse. Es sei um den Umfang der Vorläufigkeit gegangen, die im Urteil in BFHE 191, 223, BStBl II 2000, 332 nicht zweifelhaft sei.
Eine Divergenz des FG-Urteils zu dem BFH-Urteil in BFHE 167, 290, BStBl II 1992, 588 liegt schon deshalb nicht vor, weil --ebenso wie im Urteil in BFHE 191, 223, BStBl II 2000, 332-- ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zu beurteilen war. Die Vorläufigkeit bezog sich in diesem Verfahren auf die nicht abschließend geprüften Einkünfte aus selbständiger Arbeit, und nach der Änderung des Bescheids nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO stellte sich die Frage, ob aufgrund nachträglich geltend gemachter außergewöhnlicher Belastungen der im Ursprungsbescheid festgesetzte Einkommensteuerbetrag in einem weiteren Änderungsbescheid unterschritten werden durfte. Der BFH hat diese Frage verneint.
Fundstellen