Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnungsgesuch und Antrag auf Tatbestandsberichtigung
Leitsatz (NV)
1. Für ein Richterablehnungsgesuch fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Instanz mit allen Nebenentscheidungen beendet ist. Da das Verfahren der Tatbestandsberichtigung zu den Nebenentscheidungen des Klageverfahrens gehört, kann ein Ablehnungsgesuch auch noch im Tatbestandsberichtigungsverfahren gestellt werden.
2. Das Rechtsschutzbedürfnis für das Richterablehnungsgesuch (1.) entfällt mit den Entscheidungen des FG über den Antrag auf Tatbestandsberichtigung und über die Nichtabhilfe bezüglich der gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde.
3. Zur zeitlichen Abfolge der vom FG in einem solchen Fall (2.) zu treffenden Entscheidungen.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, §§ 108, 130 Abs. 1
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat in dem Verfahren ... wegen Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am 8. August 1995 nach mündlicher Verhandlung das Urteil verkündet und darin die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Klägers) abgewiesen. Dieses Urteil ist dem Kläger am 16. September 1995 zugestellt worden.
Mit Telefax-Schriftsatz vom 29. September 1995 hat der Kläger ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter des erkennenden FG-Senats wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt. In demselben Schriftsatz hat der Kläger beantragt, den Tatbestand des Urteils gemäß § 108 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu berichtigen.
Mit weiterem Telefax-Schriftsatz vom 16. Oktober 1995 hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des FG eingelegt.
Am 16. Oktober 1995 lehnte das FG den Antrag auf Berichtigung des Tatbestands ab. An der Beschlußfassung wirkte der Vorsitzende Richter, der sich zu dieser Zeit in Urlaub befand, nicht mit.
Am 20. Oktober 1995 faßte das FG in einer Besetzung ohne den abgelehnten Vorsitzenden Richter den Beschluß, der Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision nicht abzuhelfen.
Am 23. Oktober 1995 verwarf das FG -- ebenfalls ohne Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden Richters -- das Ablehnungsgesuch des Klägers als unzulässig. Das FG führte aus, das Rechtsschutzbedürfnis für das Ablehnungsgesuch sei entfallen, weil im Zeitpunkt der Entscheidung über dieses Gesuch die finanzgerichtliche Instanz mit allen Nebenentscheidungen beendet gewesen und auch eine Abänderung dieser Entscheidungen nicht mehr möglich sei, so daß keine Entscheidung des abgelehnten Richters mehr ausstehe.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers. Zur Begründung führt er aus, es sei nicht ausgeschlossen, daß der abgelehnte Richter an der Vorbereitung und Beratung der Entscheidung über den Berichtigungsantrag mitgewirkt habe. Zwischen dem Eingang des Ablehnungsgesuchs mit Berichtigungsantrag beim FG am 29. September 1995 und dem Tag der Beschlußfassung über den Berichtigungsantrag (16. Oktober 1995) sei der FG- Senat schließlich in dieser Sache nicht untätig gewesen. Der abgelehnte Richter sei während dieses Zeitraums im Dienst gewesen, und es mute mehr als eigenartig an, daß dieser gerade vom 16. Oktober bis 20. Oktober 1995 "urlaubsbedingt abwesend" gewesen sei und daß die verbliebenen Richter gerade am ersten Urlaubstag des abgelehnten Richters zur Beschlußfassung gelangt seien. Diese Vorgehensweise sei bewußt gewählt worden, um dem abgelehnten Richter eine dienstliche Stellungnahme zu ersparen und das Richterablehnungsgesuch anschließend unter Hinweis auf ein nicht mehr bestehendes Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig zurückweisen zu können.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet, denn das FG hat das Ablehnungsgesuch zu Recht wegen Fehlens des Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig verworfen.
Mit der Richterablehnung nach § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann nur das Ziel verfolgt werden, den abgelehnten Richter an einer weiteren Tätigkeit in dem betreffenden Verfahren zu hindern. Ein Gesuch auf Richterablehnung kommt deshalb nicht mehr in Betracht, wenn der Richter seine richterliche Tätigkeit im konkreten Verfahren beendet hat (Senatsbeschluß vom 17. August 1989 VII B 70/89, BFHE 157, 494, BStBl II 1989, 899). Steht keine Entscheidung des abgelehnten Richters mehr aus, ist also die Instanz mit allen Nebenentscheidungen beendet und kommt auch eine Abänderung der Entscheidung nicht mehr in Betracht, fehlt oder entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für ein Ablehnungsgesuch (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. März 1980 I B 23/80, BFHE 130, 20, BStBl II 1980, 335, und vom 24. November 1994 X B 146--149/94, BFH/NV 1995, 692).
a) Im Streitfall wurde das Urteil in dem betreffenden Klageverfahren noch am Tage der mündlichen Verhandlung vom 8. August 1995 verkündet. Es war von diesem Zeitpunkt an nicht mehr abänderbar. Der Kläger hat das Ablehnungsgesuch indessen erst nach Zustellung des Urteils (16. September 1995) mit Schriftsatz vom 29. September 1995 und somit nach Abschluß des Klageverfahrens beim FG angebracht. Soweit der Kläger mit seinem Antrag beabsichtigte, den Vorsitzenden Richter für das Urteilsverfahren für befangen zu erklären, wäre das Ablehnungsgesuch von Anfang an als unzulässig anzusehen, weil das Rechtsschutzinteresse bereits zum Zeitpunkt der Richterablehnung fehlte.
b) Das Ablehnungsgesuch des Klägers ist aber auch insoweit unzulässig, als mit ihm ein Mitwirken des Vorsitzenden Richters an der beantragten Tatbestandsberichtigung und an der Entscheidung über eine Abhilfe hinsichtlich der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision verhindert werden sollte.
Das Verfahren der Tatbestandsberichtigung nach § 108 Abs. 1 FGO gehört zu den Nebenentscheidungen des Klageverfahrens. Da die Vorschriften in § 51 Abs. 1 FGO und in §§ 42 ff. ZPO grundsätzlich für alle Verfahrensabschnitte gelten, in denen eine Ausübung des Richteramtes in Betracht kommt, kann ein Ablehnungsgesuch auch noch im Tatbestandsberichtigungsverfahren gestellt werden (BFH-Beschlüsse in BFHE 157, 494, BStBl II 1989, 899, und in BFH/NV 1995, 692).
Im Streitfall hat der Kläger am 29. September 1995 gleichzeitig mit seinem Ablehnungsgesuch einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung, und zwar noch innerhalb der Zweiwochenfrist nach Zustellung des Urteils (§ 108 Abs. 1 FGO) am 16. September 1995, gestellt. Da mithin noch eine Nebenentscheidung in dem betreffenden Verfahren zu ergehen hatte, in der eine Mitwirkung des abgelehnten Richters in Betracht kam (§ 108 Abs. 2 Satz 3 FGO), kann dem Kläger ein Rechtsschutzinteresse zum Zeitpunkt der Anbringung des Ablehnungsgesuchs nicht abgesprochen werden.
Das Rechtsschutzinteresse des Klägers ist jedoch später entfallen, als das FG den Antrag des Klägers auf Tatbestandsberichtigung durch Beschluß vom 16. Oktober 1995 zurückgewiesen und der Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluß vom 20. Oktober 1995 nicht abgeholfen hat.
Der Beschluß, mit dem der Antrag des Klägers auf Tatbestandsberichtigung zurückgewiesen worden ist, ist jedenfalls insoweit korrekt zustandegekommen (vgl. § 108 Abs. 2 Satz 1 und 3 FGO), als dabei nicht der abgelehnte Richter, weil er sich zu diesem Zeitpunkt in Urlaub befand, sondern lediglich die beiden anderen Richter, die an dem zugrundeliegenden Urteil beteiligt waren, mitwirkten, denn für eine geschäftsplanmäßige Vertretung ist im Tatbestandsberichtigungsverfahren kein Raum. Jedenfalls liegt, wie der Senat bereits entschieden hat (Beschluß vom 25. Juli 1978 VII B 20/78, BFHE 125, 490, BStBl II 1978, 675), unter solchen Umständen kein schwerwiegender Verfahrensmangel vor, der ausnahmsweise zu einer Aufhebung des grundsätzlich unanfechtbaren Beschlusses des FG im Tatbestandsberichtigungsverfahren (§ 108 Abs. 2 Satz 2 FGO) durch die Beschwerdeinstanz führen könnte. Eine spätere Abänderung dieses Beschlusses kam daher nicht mehr in Betracht.
Auch der Nichtabhilfebeschluß vom 20. Oktober 1995 bezüglich der Nichtzulassungsbeschwerde ist formal nicht zu beanstanden. Er ist ohne Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden Richters ergangen, der geschäftsplanmäßig vertreten wurde, weil er, wie der Kläger selbst vorträgt, vom 16. bis 20. Oktober 1995 urlaubsbedingt abwesend war.
Mit den Entscheidungen des FG über den Antrag auf Tatbestandsberichtigung und über die Nichtabhilfe bezüglich der Nichtzulassungsbeschwerde stand fest, daß die Instanz mit allen Nebenentscheidungen beendet war und daß auch eine Abänderung dieser Entscheidungen nicht mehr in Betracht kam. Folglich war spätestens ab 20. Oktober 1995 davon auszugehen, daß eine von dem abgelehnten Richter zu treffende Entscheidung in dem Verfahren nicht mehr ausstand. Damit ist das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für das Ablehnungsgesuch entfallen, und das FG hat zu Recht das unzulässig gewordene Ablehnungsgesuch mit Beschluß vom 23. Oktober 1995 verworfen.
Demgegenüber greift das Vorbringen des Klägers in der Beschwerdeschrift, das im wesentlichen darauf abzielt, das FG habe das Verfahren manipuliert, indem es bewußt die Terminierung und die zeitliche Abfolge der anstehenden Entscheidungen so gewählt habe, daß das Rechtsschutzbedürfnis für das Richterablehnungsgesuch entfalle, nicht durch. Dabei kann der Senat es dahinstehen lassen, ob bei bewußter Manipulation des Ablaufs des finanzgerichtlichen Verfahrens eine andere Entscheidung zu treffen wäre. Der Kläger hat nämlich lediglich dahingehende Behauptungen aufgestellt und Vermutungen geäußert, die auch in dem in den Akten dokumentierten Verfahrensablauf keine Stütze finden.
Der Verfahrensablauf vor dem FG weist eher auf das Gegenteil hin. Der Schriftsatz des Klägers vom 29. September 1995 wurde vom FG am 5. Oktober 1995 dem FA zur Kenntnisnahme und zum rechtlichen Gehör übersandt; die Stellungnahme des FA, die vom 13. Oktober 1995 datiert, ist am 16. Oktober 1995, dem ersten Urlaubstag des abgelehnten Vorsitzenden Richters, beim FG eingegangen; die Beschlußfassung über den Antrag auf Tatbestandsberichtigung erfolgte noch am gleichen Tag.
Dieser verfahrensmäßige Ablauf ist nicht zu beanstanden. Insbesondere durfte das FG gleich am 16. Oktober 1995 zur Beschlußfassung schreiten und mußte nicht die Rückkehr des Vorsitzenden Richters aus dem Urlaub abwarten, um sodann -- unter Ausschluß des abgelehnten Richters -- zunächst über das Richterablehnungsgesuch und erst danach über den Antrag auf Tatbestandsberichtigung zu entscheiden. Die Abfolge der zu treffenden Entscheidungen liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Auch wenn im Regelfall in einer solchen Situation (Konkurrenz von Richterablehnung und Tatbestandsberichtigung) aus naheliegenden Gründen zunächst über die Richterablehnung und erst danach über den Berichtigungsantrag zu entscheiden sein dürfte, so sind doch im Streitfall zwei Besonderheiten zu berücksichtigen. Zum einen erlaubte es die urlaubsbedingte Abwesenheit des abgelehnten Richters, über den Antrag auf Tatbestandsberichtigung ohne größeren prozessualen Aufwand vorweg, d. h. ohne den Ausgang des Ablehnungsverfahrens abzuwarten, zu entscheiden. Zum anderen war eine zügige Entscheidung über den Antrag auf Tatbestandsberichtigung auch deshalb angebracht, weil dieser Antrag möglicherweise unzulässig, jedenfalls aber offensichtlich unbegründet war, denn der Kläger hatte zwar neun Angaben im Urteil als unzutreffend bezeichnet, aber die zutreffenden Angaben nicht dargetan. Bei dieser Sachlage bestand für das FG keine Veranlassung, mit seiner Entscheidung über den Tatbestandsberichtigungsantrag des Klägers zuzuwarten.
Entsprechende Erwägungen gelten für die zeitliche Abfolge der Entscheidungen über die Nichtzulassungsbeschwerde und das Richterablehnungsgesuch. Jedenfalls ist es in der finanzgerichtlichen Praxis nicht außergewöhnlich, daß über eine Nichtzulassungsbeschwerde sogleich (innerhalb einer Woche) entschieden wird. Im übrigen spricht im Streitfall gegen einen Manipulationsverdacht, daß die Nichtzulassungsbeschwerde erst beim FG eingegangen ist, als sich der Vorsitzende Richter bereits im Urlaub befand. Schließlich hat sich das zeitliche Vorziehen der Entscheidungen über die beantragte Berichtigung und über die Nichtzulassungsbeschwerde dahin ausgewirkt, daß der abgelehnte Vorsitzende Richter an den in der Instanz allein noch möglichen Entscheidungen über den Antrag auf Tatbestandsberichtigung und über eine mögliche Abhilfe hinsichtlich der Nichtzulassungsbeschwerde nicht beteiligt war und der Kläger mit der vom FG eingeschlagenen Verfahrensweise sein Ziel erreichte (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 11. August 1994 IV B 98/93, BFH/NV 1995, 410 a. E.).
Fundstellen
Haufe-Index 421503 |
BFH/NV 1996, 904 |