Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiskraft des Protokolls zur mündlichen Verhandlung; Anforderungen an die schlüssige Rüge des (Verfahrens-)Verstoßes gegen § 155 FGO i.V. mit § 227 ZPO; Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung
Leitsatz (NV)
- Weist das Protokoll über die mündliche Verhandlung keine äußeren Mängel auf, die seine Beweiskraft in Frage stellen könnten, so liefert es den Beweis dafür, dass das FG die für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten beachtet hat. Zu diesen Förmlichkeiten gehören u.a. die in § 160 Abs. 1 ZPO (i.V. mit § 94 FGO) vorgeschriebenen Angaben zum Inhalt des Protokolls. Gegen seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
- Ein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V. mit § 119 Nr. 3 und 4 FGO kann nicht daraus hergeleitet werden, dass der frühere Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers nach seiner Ladung zur mündlichen Verhandlung dem Gericht anzeigte, er habe das Mandat niedergelegt.
- Zur schlüssigen Rüge, das FG sei im Hinblick auf die kurzfristig vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung angezeigte Niederlegung des Mandats durch den früheren Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers gemäß § 155 FGO i.V.m. mit § 227 ZPO "aus erheblichen Gründen" von Amts wegen gehalten gewesen, den Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben, zu verlegen oder zu vertagen, muss sich der Beschwerdeführer mit den vom FG angeführten Gründen für die Ablehnung einer Vertagung etc. auseinander setzen und in substantiierter Form Tatsachen vortragen, deren Vorliegen zur Bejahung "erheblicher Gründe" i.S. von § 227 ZPO hätten führen können.
- Die schlüssige Rüge der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass der Beschwerdeführer eine bestimmte abstrakte, für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche Rechtsfrage herausstellt und substantiiert darauf eingeht, inwieweit diese Rechtsfrage klärungsbedürftig, d.h. in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten sei.
Normenkette
FGO §§ 94, 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 119 Nrn. 3-4, § 155; ZPO § 160 Abs. 1, §§ 165, 227 Abs. 1
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der beschließende Senat kann offen lassen, ob die Beschwerde deswegen unzulässig ist, weil sie nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Urteils des Finanzgerichts (FG) eingelegt wurde (vgl. § 116 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG―, BGBl I 2000, 1757). Er unterstellt im Folgenden zugunsten des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger), dass die am 24. Dezember 2002 vollzogene Zustellung des FG-Urteils an den früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers, Rechtsanwalt X, unwirksam war, weil dieser dem FG am 4. Dezember 2002 angezeigt hatte, dass er das Mandat niedergelegt habe.
2. a) Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe die mündliche Verhandlung nicht ―wie in der Ladung vorgesehen― am 5. Dezember 2002, sondern erst einen Tag später ―am 6. Dezember 2002― durchgeführt, liegt darin sinngemäß die Rüge, dass ihm das rechtliche Gehör versagt worden (§ 119 Nr. 3 FGO) und er überdies "im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten" gewesen sei (§ 119 Nr. 4 FGO).
b) Diese Rügen sind unbegründet. Nach Überzeugung des beschließenden Senats steht fest, dass das FG die von ihm auf den 5. Dezember 2002, 9.45 Uhr, anberaumte mündliche Verhandlung an diesem Tag durchgeführt hat. Dies ergibt sich eindeutig aus der vom FG gefertigten und vom Vorsitzenden des erkennenden FG-Senats und der Urkundsbeamtin, Vertragsangestellte H, unterzeichneten Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 5. Dezember 2002.
Nach diesem Protokoll wurde die mündliche Verhandlung in der Streitsache am "Donnerstag, 5.12.2002" um 10.10 Uhr begonnen, um 10.28 Uhr unterbrochen, um 11.08 Uhr zwecks Verkündung des (klageabweisenden) Urteils fortgesetzt und um 11.09 Uhr beendet. Das Protokoll weist keine äußeren Mängel auf, die seine Beweiskraft in Frage stellen könnten (vgl. Zöller/Stöber, Zivilprozessordnung, 23. Aufl., § 165 Rz. 5, m.w.N.). Es liefert daher den Beweis dafür, dass das FG die für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten beachtet hat. Zu diesen Förmlichkeiten gehören u.a. die in § 160 Abs. 1 der Zivilprozessordnung ―ZPO― (i.V.m. § 94 FGO) vorgeschriebenen Angaben zum Inhalt des Protokolls, also auch die in § 160 Abs. 1 Nr. 1 ZPO genannten Angaben zum Ort und Tag der Verhandlung (vgl. z.B. Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 24. Aufl., § 165 Rz. 1; Zöller/Stöber, a.a.O., § 165 Rz. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, Zivilprozessordnung, 60. Aufl., § 165 Rz. 7 "Ort und Tag der Verhandlung"). Gemäß § 165 ZPO (i.V.m. § 94 FGO) kann die "Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig".
Anhaltspunkte dafür, dass das Protokoll vom 5. Dezember 2002 ein unrichtiges Datum über den Tag der Verhandlung ausweist oder gar insoweit gefälscht worden ist, bestehen nicht und konnten auch vom Kläger nicht angegeben werden. Soweit er sich darauf stützt, dass das angefochtene FG-Urteil in der ersten Zeile der Entscheidungsgründe als Tag der mündlichen Verhandlung den "06.12.2002" nennt, trifft dies zwar zu. Jedoch handelt es sich bei dieser Angabe im FG-Urteil um ein für Jedermann erkennbares offenkundiges Versehen ("offenbare Unrichtigkeit" i.S. von § 107 Abs. 1 FGO). Dies folgt schon daraus, dass es ―im Einklang mit dem oben dargelegten Inhalt des Protokolls zur mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 2002― bereits unmittelbar vor der Urteilsformel der angefochtenen Vorentscheidung heißt, es werde "aufgrund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 05.12.2002 für Recht erkannt".
3. Ein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nrn. 3 und 4 FGO kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers, Rechtsanwalt X, nach seiner Ladung zur mündlichen Verhandlung am 5. Dezember 2002 dem FG noch vor dem anberaumten Termin ―am 4. Dezember 2002― anzeigte, er habe das Mandat niedergelegt.
Dabei mag dahinstehen, ob diese dem Gericht angezeigte Mandatsniederlegung wirksam war.
Selbst wenn dies zuträfe, würde dies nichts daran ändern, dass der Kläger, vertreten durch Rechtsanwalt X, vom FG ordnungsgemäß zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 5. Dezember 2002 geladen worden war. Nach § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO war das FG gehalten, die vom Vorsitzenden des zuständigen FG-Senats am 4. November 2002 verfügte Ladung des Klägers zur mündlichen Verhandlung ―wie am 6. November 2002 geschehen― an den seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers, Rechtsanwalt X, zuzustellen. Diese ordnungsgemäße Ladung des Prozessbevollmächtigten X verlor ihre Wirkung für und gegen den Kläger nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht dadurch, dass Rechtsanwalt X nach der am 6. November 2002 vollzogenen Zustellung dem FG am 4. Dezember 2002 die Niederlegung des Mandats anzeigte (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 22. März 1994 X R 66/93, BFH/NV 1994, 499, unter II. 1. b der Gründe; Urteil des Bundessozialgerichts ―BSG― vom 12. März 1958 11/9 RV 976/56, BSGE 7, 58; BSG-Beschluss vom 12. März 1975 12 RJ 330/74, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1975, 582; Beschluss des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 24. November 1976 IV ZB 20/76, HFR 1977, 455; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ―BVerwG― vom 13. Dezember 1982 9 C 894/80, HFR 1983, 344).
4. Eine andere Frage ist es, ob das FG im Hinblick auf die kurzfristig vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung angezeigte Niederlegung des Mandats durch Rechtsanwalt X gemäß § 155 FGO i.V.m. § 227 ZPO "aus erheblichen Gründen" von Amts wegen gehalten war, den Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben, zu verlegen oder zu vertagen (zur diesbezüglichen Verpflichtung des Gerichts in Ausnahmefällen vgl. z.B. BSG-Urteil vom 25. Januar 1974 10 RV 375/73, Monatsschrift für Deutsches Recht 1974, 611).
Das FG hat diese Frage geprüft und verneint. Zulässige und begründete Verfahrensrügen dagegen hat der Kläger weder ausdrücklich noch konkludent erhoben (zur Beschränkung des Bundesfinanzhofs auf die Prüfung der im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren geltend gemachten Zulassungsgründe vgl. z.B. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 55 und 50). Hierzu wäre u.a. geboten gewesen, sich mit den vom FG angeführten Ablehnungsgründen auseinander zu setzen und in substantiierter Form Tatsachen vorzutragen, deren Vorliegen zur Bejahung "erheblicher Gründe" i.S. von § 227 Abs. 1 ZPO hätten führen können. Hierzu wären insbesondere auch Ausführungen darüber erforderlich gewesen, dass und warum es dem Kläger nicht zum Verschulden gereiche, dass Rechtsanwalt X das Mandat niederlegte und den Termin zur mündlichen Verhandlung am 5. Dezember 2002 nicht wahr nahm (vgl. § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO). Daran fehlt es im Streitfall.
5. Soweit der Kläger schließlich geltend macht, der vorliegenden Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, entspricht diese Rüge nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
a) Hierzu wäre erforderlich gewesen, dass der Kläger eine bestimmte abstrakte, für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche Rechtsfrage herausgestellt hätte und substantiiert darauf eingegangen wäre, inwieweit diese Rechtsfrage klärungsbedürftig, d.h. in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten sei (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 32, m.w.N.).
b) Diesen Erfordernissen genügt die Beschwerdebegründung augenscheinlich nicht. So fehlt es bereits an der Herausarbeitung einer hinreichend konkretisierten abstrakten Rechtsfrage. Stattdessen erschöpfen sich die Ausführungen des Klägers zu diesem Punkt ―nach Art einer Revisionsbegründung― in kritischen Bemerkungen darüber, dass und warum das FG den Streitfall falsch entschieden habe.
6. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.
Fundstellen