Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Arbeitszimmer, Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit
Leitsatz (NV)
- Die Rechtsfrage, wo der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit eines Steuerpflichtigen liegt, der nur einer einzigen betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit nachgeht, ist durch die Rechtsprechung des BFH geklärt (Urteile vom 13. November 2002 VI R 104/01, BFHE 201, 100, BFH/NV 2003, 691, und VI R 82/01, BFHE 201, 93, BFH/NV 2003, 688, und VI R 28/02, BFHE 201, 106, BFH/NV 2003, 693; Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BFH/NV 2003, 859, sowie Urteil vom 21. Februar 2003 VI R 14/02, BFHE 201, 305, BFH/NV 2003, 855).
- Die in den oben genannten Entscheidungen aufgestellten Rechtssätze sind auch in den Fällen zu berücksichtigten, in denen der Steuerpflichtige neben seiner Haupttätigkeit eine zeitlich nicht ins Gewicht fallende nebenberufliche Tätigkeit ausübt (Hinweis auf BFH-Urteil vom 23. September 1999 VI R 74/98, BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7).
- Für die Prüfung des Vorliegens der Zulassungsgründe gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1-3 FGO ist auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde abzustellen.
- Die Revision kann wegen Abweichung auch ohne entsprechende Darlegung gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO zugelassen werden, wenn nach Einlegung einer auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Nichtzulassungsbeschwerde die Rechtsfrage durch eine BFH-Entscheidung geklärt wird, das angefochtene FG-Urteil mit dieser BFH-Entscheidung aber nicht im Einklang steht.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 3 Hs. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 116 Abs. 3 S. 3
Tatbestand
Von einer Wiedergabe des Tatbestands wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 zweiter Halbsatz der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Die als grundsätzlich zu klärend aufgeworfene Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen das häusliche Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung darstellt, ist nicht mehr klärungsbedürftig. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat zwischenzeitlich, nach Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde, durch die Urteile vom 13. November 2002 VI R 104/01 (BFHE 201, 100), VI R 82/01 (BFHE 201, 93) und VI R 28/02 (BFHE 201, 106), das Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 71/00 (BFHE 201, 269) sowie das Urteil vom 21. Februar 2003 VI R 14/02 (BFHE 201, 305) entschieden, dass die Beurteilung, ob das häusliche Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet, sich nach dem qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit des Steuerpflichtigen richtet. Wo dieser Schwerpunkt liegt, ist im Wege einer Wertung der Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen festzustellen. Im Rahmen dieser Wertung kommt dem zeitlichen (quantitativen) Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers lediglich eine indizielle Bedeutung zu. Deswegen schließt das zeitliche Überwiegen der außerhäuslichen Tätigkeit einen unbeschränkten Abzug der Aufwendungen nicht von vornherein aus. Grundsätzlich gilt, dass bei einem Steuerpflichtigen, dem für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2 des Einkommensteuergesetzes ―EStG―), das häusliche Arbeitszimmer auch dann Mittelpunkt i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG sein kann, wenn die außerhäuslichen Tätigkeiten (zeitlich) überwiegen. Doch setzt dies voraus, dass diesen Tätigkeiten qualitativ nur eine untergeordnete Bedeutung gegenüber den im Arbeitszimmer verrichteten Tätigkeiten zukommt. Letztere müssen für den ausgeübten Beruf so maßgeblich sein, dass sie diesen prägen. Allein der Umstand, dass sie zur Erfüllung der außerhäuslichen Tätigkeit (etwa vor- oder nachbereitend) erforderlich sind, genügt nicht. Die Frage, ob die in einem Arbeitszimmer verrichteten Tätigkeiten den Beruf insgesamt prägen oder ob ihnen lediglich eine unterstützende Funktion zukommt, betrifft die Tatsachenfeststellung bzw. -würdigung, die in erster Linie den Finanzgerichten (FG) obliegt. Zwar lagen den vorgenannten Entscheidungen jeweils Sachverhalte zu Grunde, bei denen die Steuerpflichtigen nur einer einzigen betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit nachgegangen sind. Die dort aufgestellten Grundsätze sind aber ―nicht zuletzt auch im Hinblick auf das BFH-Urteil vom 23. September 1999 VI R 74/98 (BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7), wonach der Mittelpunkt der betrieblichen und beruflichen Tätigkeit einheitlich und nicht isoliert für einzelne Tätigkeiten bestimmt wird― im Streitfall jedenfalls deshalb zu berücksichtigen, weil der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) im Streitjahr nach den Feststellungen des FG neben seiner Haupttätigkeit als Ingenieur auch eine, zeitlich allerdings nicht ins Gewicht fallende, nebenberufliche Unterrichtstätigkeit außerhalb seiner Wohnung ausgeübt hat.
2. Für die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde kommt es nicht darauf an, ob vor Ergehen der vorgenannten BFH-Urteile die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO vorlagen. Denn es ist auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde abzustellen (z.B. Senatsbeschluss vom 7. Dezember 1999 IV B 56/99, BFH/NV 2000, 552).
3. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung der Rechtseinheit gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO zuzulassen.
a) Unerheblich wäre zwar, dass der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt) eine Abweichung nicht entsprechend § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt hat. Denn es ist grundsätzlich anerkannt, dass eine Revision wegen Abweichung auch dann zugelassen werden kann, wenn ―wie im Streitfall― nach Einlegung einer auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Nichtzulassungsbeschwerde die Rechtsfrage durch eine BFH-Entscheidung geklärt wird, das angefochtene FG-Urteil mit dieser BFH-Entscheidung aber nicht im Einklang steht (vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 55, m.w.N.).
b) Eine Abweichung der FG-Entscheidung von den unter 1. genannten BFH-Entscheidungen liegt aber nicht vor. Das FG hat im Streitfall zutreffend darauf abgestellt, wo der Kläger, der als Ingenieur Hard- und Software entwickelte, die für seinen Beruf wesentlichen Arbeiten erbracht hat. Es hat hierzu festgestellt, dass die Entwicklung der "maßgeschneiderten" Software im häuslichen Arbeitszimmer entsprechend den individuellen Kundenwünschen zu den wesentlichen Kernarbeiten des Klägers gehörte. Es hat weiterhin festgestellt, dass der Kläger auch außerhäuslich tätig war, er insbesondere vor Ort ―beim Kunden― die fertiggestellten Computeranlagen aufgebaut hat, dass diese "Außenarbeiten" aber im Verhältnis zur umfangreichen Entwicklungsarbeit der Software im häuslichen Arbeitszimmer als gering anzusehen seien. Die daran anschließende Wertung, dass das häusliche Arbeitszimmer des Klägers den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen Betätigung bildet, verletzt weder Denkgesetze noch Erfahrungssätze.
Fundstellen