Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Berichtigung einer Rechnung mit unberechtigtem Steuerausweis; Anforderungen an Rüge eines Verstoßes gegen verzichtbare Verfahrensvorschriften
Leitsatz (NV)
- Eine Rechnungsberichtigung, die die Steuer nach § 14 Abs. 3 UStG entfallen lässt, kommt nur in Betracht, wenn der Rechnungsempfänger keinen Vorsteuerabzug geltend gemacht hat oder sein Vorsteuerabzug rückgängig gemacht worden ist.
- Bei der Rüge eines Verstoßes gegen verzichtbare Verfahrensvorschriften (wie z.B. der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags) ist in der Beschwerdeschrift darzulegen, dass auf das Rügerecht nicht verzichtet worden ist.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2-3; UStG 1993 § 14 Abs. 3
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) stellte Anfang Juni 1993 dem Unternehmer R die Lieferung diverser Bekleidungsstücke zu einem Kaufpreis von 100 059,57 DM zuzüglich 15 008,97 DM Mehrwertsteuer in Rechnung. R wollte die Textilien im Auftrag eines russischen Unternehmers erwerben; in Vorbereitung des Transports erklärte er, dass wirklicher Käufer die Firma T sei, deren Vertreter/Vermittler er sei. Die Klägerin stornierte daraufhin mit Schreiben vom 24. Juni 1993 die genannte Rechnung und übergab dem Untervertreter X die neue Rechnung über 100 059,57 DM netto.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob R die ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend gemacht hat. Bemühungen der Klägerin, die Rechnung von R zurückzuerhalten, blieben erfolglos, da R behauptete, ein Wassereinbruch habe alle Buchungsunterlagen vernichtet.
Wegen dieses Sachverhalts änderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) die bisherige Umsatzsteuerveranlagung der Klägerin, indem er die Umsatzsteuer für 1993 unter Berufung auf die Vorschrift des § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) um den Betrag von 15 008,97 DM erhöhte. Einspruch und Klage gegen den Steuerbescheid hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu. Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, die auf alle drei Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützt ist.
Entscheidungsgründe
II. Der Senat lässt dahingestellt, ob die Beschwerde zulässig ist; jedenfalls ist sie unbegründet. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.
Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), das Urteil des FG von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) abweicht (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder die angefochtene Entscheidung auf einem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). In der Beschwerdeschrift muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des BFH, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).
1. Die Rechtsfrage, ob die Berichtigung einer zu Unrecht in Rechnung gestellten Steuer bereits im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens zu ermöglichen ist, stellt sich aufgrund des vom FG festgestellten Sachverhalts nicht; jedenfalls ist nicht hinreichend dargelegt, dass sie sich im Streitfall stellt. Eine Rechnungsberichtigung, die die Steuer nach § 14 Abs. 3 UStG entfallen lässt, kommt nur in Betracht, wenn der Rechnungsempfänger keinen Vorsteuerabzug geltend gemacht hat oder sein Vorsteuerabzug rückgängig gemacht worden ist (vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH― Urteil vom 13. Dezember 1989 Rs. 342/87 - Genius Holding, Slg. 1989, 4227). Hiervon kann jedoch nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt nicht ausgegangen werden; vielmehr war das FG davon überzeugt, dass R den Vorsteuerabzug geltend gemacht hatte; das FG hat nicht festgestellt, dass der Vorsteuerabzug rückgängig gemacht worden ist.
Im Streitfall bedarf es auch keiner Klärung der Rechtsfrage, ob die Berichtigung einer zu Unrecht in Rechnung gestellten Steuer zwingend voraussetzt, dass der Aussteller der Rechnung seinen guten Glauben nachweist, weil das FG den guten Glauben der Klägerin gar nicht in Abrede gestellt hat.
2. Die Revision ist nicht wegen Abweichung der Vorentscheidung von dem Beschluss des Senats vom 15. Oktober 1998 V R 38/97, V R 61/97 (BFHE 187, 84) zuzulassen.
Der Senat hat mit diesem Beschluss zwar den EuGH gefragt, ob das Gemeinschaftsrecht es gebiete, die Berichtigung einer zu Unrecht in Rechnung gestellten Steuer bereits im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens zu ermöglichen, oder ob es ausreiche, wenn die Mitgliedstaaten eine Berichtigung erst in einem anschließenden Billigkeitsverfahren (aus sog. sachlichen Gründen) zuließen. Das FG hat die Klageabweisung in der Vorentscheidung aber nicht nur damit begründet, dass die Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses nicht im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens, sondern allenfalls im Erlassverfahren nach § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) geprüft werden könnten; vielmehr hat es gleichzeitig festgestellt, dass die im Einzelnen aufgeführten Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses offensichtlich nicht vorlägen. Bei einer derartigen kumulativen Urteilsbegründung muss für jede Begründung des FG ein Zulassungsgrund dargelegt werden (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 4. Oktober 1998 III B 72/98, BFH/NV 1999, 493). Dies ist nicht geschehen.
3. Schließlich greifen auch die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen nicht durch.
Da das FG festgestellt hat, dass die Klägerin ihre Rechnung vom 2. Juni 1993 am 24. Juni 1993 stornierte, bedurfte es hierzu nicht noch der Erhebung eines beantragten Zeugenbeweises.
Im Übrigen ist bei der Rüge eines Verstoßes gegen verzichtbare Verfahrensvorschriften (wie z.B. der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags) in der Beschwerdeschrift darzulegen, dass auf das Rügerecht nicht verzichtet worden ist. Das Rügerecht geht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. Juli 1997 VIII R 56/93, BFHE 183, 518, BStBl II 1998, 152, unter II. 3. c bb; BFH-Beschlüsse vom 31. Juli 1997 III B 74/95, BFH/NV 1998, 970; vom 30. Juni 1998 X B 10, 11/98, BFH/NV 1998, 1509; vom 9. September 1998 IX B 101/98, BFH/NV 1999, 214, jeweils m.w.N.). Hat das FG die beantragten Beweise weder vorher noch in der mündlichen Verhandlung erhoben, muss dieses Unterlassen im Termin der mündlichen Verhandlung gerügt werden (BFH-Beschluss vom 23. März 1999 X B 210/98, BFH/NV 1999, 1236).
4. Von der Bekanntgabe einer weiteren Begründung seiner Ent-scheidung sieht der Senat gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ab.
Fundstellen
Haufe-Index 424962 |
BFH/NV 2000, 762 |
UR 2000, 207 |