Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinreichende Erfolgsaussicht bei im eigenen Namen erhobener Klage nur eines Gesellschafters einer aufgelösten GbR gegen einen an ihn adressierten Umsatzsteuerbescheid
Leitsatz (NV)
1. Grundsätzlich können nach Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses einer GbR nur alle Gesellschafter gemeinsam die gegen die GbR gerichteten Umsatz- und Gewerbesteuermeßbescheide anfechten. § 166 AO 1977 gewährt dem Gesellschafter keine über die Vertretungsmacht hinausgehende Klagebefugnis, insbesondere nicht die Befugnis zu Klagen im eigenen Namen.
2. Richtet sich jedoch ein ergangener Bescheid gegen die Gesellschafter, so können diese im eigenen Namen klagen.
Normenkette
AO 1977 § 166; FGO § 142 Abs. 1; BGB §§ 705, 730 Abs. 2; GewStG § 5 Abs. 1 S. 3; UStG § 13 Abs. 2 Nr. 1; ZPO § 114 S. 1
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) gründete zusammen mit Frau G zum 1. November 1989 eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR) mit dem Namen "XYZ". Nach § 1 des Gesellschaftsvertrags vom 6. November 1989 ist Zweck der Gesellschaft die Herstellung, der Vertrieb und der Handel von und mit Textilien aller Art und aller diesem Zweck dienenden Tätigkeiten. Mit Schreiben vom 5. April 1990 kündigte die Antragstellerin das Vertragsverhältnis.
Da für die GbR keine Steuererklärungen mehr abgegeben wurden, schätzte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Umsatzsteuer 1990 mit Bescheid vom 20. Februar 1992 auf 3 800 DM sowie den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag für 1990 mit Bescheid vom 2. Juni 1992 auf 200 DM fest. Den Umsatzsteuerbescheid richtete das FA sowohl an die Antragstellerin als auch an ihre Mitgesellschafterin G mit dem Vermerk: "als ehemalige Gesellschafterin der Fa. G und X GbR", und zwar den an die Antragstellerin gerichteten Bescheid an deren Wohnanschrift, während es den Gewerbesteuermeßbetragsbescheid an die "Firma G u. X GbR XYZ" an die Geschäftsadresse adressierte. Die Einsprüche der Antragstellerin wies das FA mit der Einspruchsentscheidung vom 6. Oktober 1992 als unbegründet zurück.
Mit der Klage (Az.: 1 K 6222/92 U, G) machte die Antragstellerin geltend, die Schätzung sei nicht nachvollziehbar. Ihr sei nicht bekannt, welche steuerpflichtigen Umsätze vorangemeldet worden seien und was die Mitgesellschafterin G mit den Waren und Vorräten gemacht habe. Es sei nicht möglich, bei einem gerade neu gegründeten Unternehmen mit einem geschätzten Umsatz von 120 000 DM einen Gewinn von 40 000 DM anzunehmen. Sie selbst habe keine Entnahmen getätigt und ihr sei auch kein Gewinn zugeflossen. Sämtliche Geschäftsunterlagen seien im Besitz der G gewesen. Diese sei inzwischen untergetaucht. Über diese Klage hat das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden.
Zugleich hat die Antragstellerin beantragt, ihr unter Beiordnung ihres Prozeßbevollmächtigten Prozeßkostenhilfe (PKH) für die Durchführung des Klageverfahrens zu bewilligen.
Das FG lehnte den Antrag ab, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Die von der Antragstellerin in eigenem Namen erhobene Klage dürfte unzulässig sein, weil sich die angefochtenen Bescheide nicht gegen die Antragstellerin, sondern gegen die GbR richteten. Auch nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin sei es trotz der erklärten Kündigung noch nicht zu einer Abwicklung und damit zu einer zivilrechtlichen Vollbeendigung gekommen.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin mit der Begründung, sie selbst sei klagebefugt. Das Gesellschaftsverhältnis sei de facto abgewickelt. Eine zivilrechtliche Vollbeendigung könne nicht mehr erfolgen, weil Frau G nicht mehr erreichbar sei.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nur teilweise begründet; unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wird der Antragstellerin die beantragte PKH für die Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid bewilligt und ihr zu ihrer Vertretung der von ihr bestellte Prozeßbevollmächtigte beigeordnet; im übrigen wird die Beschwerde abgelehnt.
Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält ein Prozeßbeteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Da die Antragstellerin ausweislich der eingereichten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 117 Abs. 2 ZPO) nur Arbeitslosenhilfe bezieht und somit außerstande ist, die Kosten der Prozeßführung zu tragen, ist nur noch darüber zu entscheiden, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Satz 1 ZPO). Eine Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung für den Eintritt des Erfolgs eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht; eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten ist insoweit jedoch nicht erlaubt (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 23. Januar 1991 II S 15/90, BFHE 163, 123, BStBl II 1991, 366 m. w. N.). Das ist entgegen der Auffassung des FG zu bejahen.
Allerdings trifft es grundsätzlich zu, daß eine GbR nach der Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses gemäß § 730 Abs. 2 Satz 2, zweiter Halbsatz des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entsprechend der Gesamtgeschäftsführung nur durch alle Gesellschafter gemeinschaftlich Dritten gegenüber vertreten werden kann, so daß eine Klage der GbR gegen Umsatz- und Gewerbesteuermeßbetragsbescheide auch nur durch alle Gesellschafter gemeinschaftlich erhoben werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 10. August 1989 V R 36/84, BFH/NV 1990, 386; vom 11. April 1991 V R 86/85, BFHE 164, 219, BStBl II 1991, 729 sowie Senatsurteile vom 21. April 1992 IV R 146/88, Steuerrechtsprechung in Karteiform -- StRK --, Finanzgerichtsordnung, § 58, Rechtsspruch 21, und vom 1. Oktober 1992 IV R 60/91, BFHE 169, 294, BStBl II 1993, 82). Im Streitfall war die GbR nach der Kündigung durch die Antragstellerin auch noch als materiell-rechtlich existent anzusehen, weil gegen sie noch Umsatz- und Gewerbesteueransprüche geltend gemacht wurden und das Rechtsverhältnis zwischen der GbR und dem FA noch nicht abgewickelt worden war. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß nach § 10 des Gesellschaftsvertrages im Fall der Kündigung durch einen Gesellschafter der andere Gesellschafter ein Übernahmerecht hatte, mit der Folge, daß das gesamte Gesellschaftsvermögen auf ihn übergehen konnte. Es ist nämlich nicht ersichtlich, daß die G die dazu erforderliche Erklärung abgegeben hat.
Dennoch besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Klägerin mit der im eigenen Namen erhobenen Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid Erfolg haben könnte. Denn der Umsatzsteuerbescheid war gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) an die Gesellschaft als Steuerschuldner zu richten; diese hatte auch einen eigenen Namen (vgl. Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 8. April 1991 IV A 5 -- S 0284 -- 1/91 unter Tz. 2.4.1 und 2.4.1.2 und 3, BStBl II 1991, 398). Der Bescheid vom 20. Februar 1992 ist aber jeweils an die beiden Gesellschafterinnen gerichtet; auch heißt es darin: "St- Berechnungsbogen 1990 als ehemalige Gesellsch. der Fa. G u. X GbR". Außerdem ist in der maschinell gefertigten Abrechnung vom 20. Februar 1992 die "Firma G u. X GbR XYZ" als Adressat gestrichen und handschriftlich sind wiederum die beiden Gesellschafterinnen mit dem Vermerk eingesetzt "als ehemalige Gesellschafterin der Fa. G und X GbR". Unter diesen Umständen erscheint es zumindest zweifelhaft, ob das FG zu Recht angenommen hat, der Umsatzsteuerbescheid richte sich nicht gegen die Antragstellerin, sondern gegen die GbR (vgl. BFH-Urteil vom 17. Juli 1986 V R 96/85, BFHE 147, 211, BStBl II 1986, 834, und Beschluß vom 19. Februar 1992 II B 100/91, BFH/NV 1992, 784).
Bei summarischer Prüfung erscheint auch das Vorbringen der Antragstellerin nicht aussichtslos, die ausgebrachte Schätzung sei angesichts der Neugründung sowie der nach wenigen Monaten erfolgten Aufgabe des Unternehmens deutlich überhöht. Das gilt auch für die Frage, ob mit den bei Aufgabe des Unternehmens noch vorhandenen Vorräten weitere hohe Umsätze getätigt werden konnten. Es spricht daher eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der Klage, obwohl bislang Steuererklärungen nicht vorliegen (vgl. BFH-Beschluß vom 18. Mai 1988 X B 185/87, BFH/NV 1988, 731 m. w. N.).
Ebenso wie für die Umsatzsteuer ist die Gesellschaft auch Steuerschuldner der Gewerbesteuer (§ 5 Abs. 1 Satz 3 des Gewerbesteuergesetzes -- GewStG --). Anders als der Umsatzsteuerbescheid richtet sich jedoch der Gewerbesteuermeßbescheid zweifelsohne gegen die Gesellschaft. Dem FG ist auch darin zuzustimmen, daß die Antragstellerin die Klage im eigenen Namen und nicht etwa für die Gesellschaft erhoben hat. Das bedeutet indes, daß die von ihr erhobene Klage unzulässig ist; etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß sie für die Gewerbe- und Umsatzsteuer der Gesellschaft haftet (BFH-Beschluß vom 31. Oktober 1991 V B 194/91, BFH/NV 1992, 402). § 166 der Abgabenordnung (AO 1977) steht dem nicht entgegen. Die Vorschrift sieht u. a. vor, daß ein Gesellschafter bei seiner Inanspruchnahme als Haftender nicht mit solchen Einwendungen gehört werden kann, die er als Vertreter der Gesellschaft gegen die sie betreffende Steuerfestsetzung hätte vorbringen können (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 21. Januar 1986 VII R 196/83, BFH/NV 1986, 512). Der Ausschluß von Einwendungen reicht aber nicht weiter als die Vertretungsmacht (Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, § 166 AO 1977 Tz. 6). § 166 AO 1977 gewährt daher keine über die Vertretungsmacht hinausgehende Klagebefugnis gegen die die Gesellschaft betreffenden Steuerbescheide, insbesondere nicht die Befugnis zu Klagen des Gesellschafters im eigenen Namen. Daraus ergibt sich zugleich, daß ohne einen Haftungsbescheid gegen die Antragstellerin gegen diese auch nicht vollstreckt werden darf, weil hinsichtlich der aufgrund des strittigen Gewerbesteuermeßbescheids festgesetzten Gewerbesteuer Vollstreckungsschuldner (§ 253 AO 1977) nur die Gesellschaft sein kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO; unerheblich ist, daß Gegenstand der Beschwerde die Bewilligung von PKH ist (BFH-Beschluß vom 18. Oktober 1988 VII E 9--10/88, BFHE 154, 454, BStBl II 1989, 47).
Fundstellen