Entscheidungsstichwort (Thema)
Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs
Leitsatz (NV)
1. Anordnungsanspruch ist das Recht i.S. des § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO oder der sich aus dem Rechtsverhältnis i.S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ergebende Regelungsanspruch.
2. Zur Glaubhaftmachung sind neben der Bezeichnung des Anordnungsanspruchs schlüssige Darlegungen zu dessen Bestehen und die Beibringung präsenter Beweismittel erforderlich.
3. Zur Glaubhaftmachung eines Stundungsanspruchs und eines Anspruchs auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung.
Normenkette
AO 1977 §§ 222, 258; FGO § 114 Abs. 1, 3; ZPO § 920 Abs. 2
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) erhob vor dem Finanzgericht (FG) Klage, mit der er sich gegen die Ablehnung einer Stundung von Abgabenrückständen durch den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) wandte. Mit der Klage strebt er die Stundung von rund 54 000 DM Steuern (Lohnsteuer, Einkommensteuervorauszahlungen, Umsatzsteuern, Kirchensteuern) an.
In der Klageschrift stellte er auch den Antrag, dem FA im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, vor Abschluß des Klageverfahrens ,,Beitreibungsmaßnahmen" durchzuführen. Das FG lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer habe einen Stundungsanspruch und einen Anspruch auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht glaubhaft gemacht. Zur Begründung des Stundungsantrags habe er lediglich vorgetragen, ihm stehe aus Umsatzsteuererklärungen und Umsatzsteuervoranmeldungen ein Guthaben von mehr als 64 000 DM zu.
Zur Begründung der Beschwerde gegen den Beschluß des FG führt der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf sein Vorbringen in der Vorinstanz folgendes aus:
Die Behauptung des FA in der Vorinstanz, es bestünden Umsatzsteuernachforderungen in Höhe von mehr als 3,6 Mio DM, sei unrichtig. Das FA habe in einem Schriftsatz an das FG richtiggestellt, daß das Mehrergebnis bei der Umsatzsteuer auf Grund der durchgeführten Betriebsprüfung 360 448 DM betrage und daß die Umsatzsteuernachforderungen nach Buchungen der geänderten Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1976 bis 1981 sich auf 69 655,52 DM beliefen; hinzu komme die Nachforderung für den Veranlagungszeitraum 1975 in Höhe von 5 989 DM.
Die angefochtene Entscheidung berücksichtige nicht, daß das FA keine sichere Steuernachforderung habe. Die vermeintlichen Steuernachforderungen beruhten auf einer mehrjährigen Betriebsprüfung. Somit lägen die Voraussetzungen für eine Schätzung durch das FA nicht vor. Gleichwohl habe dieses eine unrealistische Schätzung vorgenommen. Dabei habe es nicht berücksichtigt, daß er - der Beschwerdeführer - in dem fraglichen Zeitraum praktisch einen Einmannbetrieb geführt habe und daher gar nicht in der Lage gewesen sei, über die angemeldeten Umsätze hinaus weitere Umsätze zu tätigen.
Da sichere Steuerforderungen in der geltend gemachten Höhe nicht bestünden, seien ihm - dem Beschwerdeführer - die sich aus den Umsatzsteuervoranmeldungen ergebenden Erstattungsbeträge zuzuerkennen, so daß die beantragte Stundung hätte gewährt werden müssen. Der angefochtene Beschluß sei entsprechend abzuändern.
Das FA beantragt die Beschwerde zurückzuweisen.
Es bezieht sich auf sein Vorbringen in der Vorinstanz und macht außerdem geltend, der Beschwerdeführer wende sich gegen die der Vollstreckung zugrundeliegende Forderung.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist unter anderem davon abhängig, daß ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht ist (§ 114 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -, § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Anordnungsanspruch in diesem Sinne ist das Recht i.S. des § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO oder der sich aus dem Rechtsverhältnis i.S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ergebende Regelungsanspruch (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 114 FGO, Erläuterungen 5). Zur Glaubhaftmachung sind neben der Bezeichnung des Anordnungsanspruchs schlüssige Darlegungen zu dessen Bestehen und die Beibringung präsenter - d.h. unmittelbar verfügbarer - Beweismittel erforderlich (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. November 1984 V B 44/84, BFHE 142, 418, BStBl II 1985, 194; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 114 FGO Tz. 14). Daran fehlt es im Streitfall.
Den Ausführungen des Beschwerdeführers ist zu entnehmen, daß er eine einstweilige Anordnung begehrt, durch die dem FA vorläufig, und zwar bis zum Abschluß des Klageverfahrens wegen Stundung die Einziehung der genannten Steuern und die Vornahme von Vollstreckungsmaßnahmen aus den Steuerfestsetzungen untersagt werden sollen.
1. Eine einstweilige Anordnung mit dem Inhalt, dem FA die Einziehung der genannten Steuern vorläufig zu untersagen, setzt voraus, daß der Beschwerdeführer einen Anspruch auf Stundung nach § 222 AO 1977 hat. Zur Glaubhaftmachung dieses Anspruchs sind Darlegungen erforderlich, aus denen sich ergibt, daß eine Ablehnung der Stundung durch das FA ermessenswidrig ist (vgl. BFHE 142, 418, 421). Das ist nur dann der Fall, wenn aus den Darlegungen des Beschwerdeführers gefolgert werden kann, daß die Einziehung der Steuern für ihn eine erhebliche Härte bedeutet und der Steueranspruch durch eine Stundung nicht gefährdet erscheint.
Daran fehlt es schon deshalb, weil auf Grund der Ausführungen des Beschwerdeführers eine Gefährdung der streitbefangenen Steueransprüche nicht ausgeschlossen werden kann. Eine Darlegung, nach der eine Gefährdung der Steueransprüche auszuschließen ist, kann nicht schon aus der Behauptung des Beschwerdeführers in der Vorinstanz entnommen werden, er habe aus Umsatzsteuererklärungen und Umsatzsteuervoranmeldungen ein Guthaben in Höhe von 64 000 DM. Diese Behauptung reicht nicht aus, um annehmen zu können, daß das Guthaben auch tatsächlich bestehe. Dazu wären zumindest noch Darlegungen etwa darüber erforderlich gewesen, ob das Guthaben vom FA anerkannt wird oder, sofern das nicht zutrifft, weshalb die Einwendungen des FA gegen den Bestand des Guthabens nicht gerechtfertigt erscheinen. Derartige Darlegungen wären vor allem deshalb erforderlich gewesen, weil das FA in der Vorinstanz eingewandt hat, daß für den Zeitraum, für den der Beschwerdeführer Umsatzsteuererstattungsansprüche in Höhe von 64 000 DM geltend mache, nach den Feststellungen einer Betriebsprüfung Umsatzsteuernachforderungen in Höhe von 3 600 448 DM bestünden.
Der Beschwerdeführer hat diesem Einwand im Beschwerdeverfahren zwar entgegengehalten, nach einer Richtigstellung des FA belaufe sich die Umsatzsteuernachforderung auf 69 655,52 DM, zu der eine weitere Nachforderung in Höhe von 5 989 DM für das Jahr 1975 hinzukomme. Abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren keine Unterlagen vorgelegt hat, aus denen diese Richtigstellung entnommen werden kann, reicht das Vorbringen über die Richtigstellung auch nicht aus, um daraus entnehmen zu können, daß der Beschwerdeführer vom FA tatsächlich eine Steuererstattung in der behaupteten Höhe fordern kann. Der Beschwerdeführer hat dazu keine näheren, nachprüfbaren Angaben gemacht.
Der Beschwerdeführer hat zwar vorgebracht, die Steuernachforderungen beruhten auf unrealistischen Schätzungen. Auch das reicht jedoch nicht aus, um annehmen zu können, daß Steuernachforderungen nicht bestünden, und zwar schon deshalb nicht, weil den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht entnommen werden kann, auf welche Grundlage das FA die angeblichen Schätzungen gestützt hat. Schon weil es an einer Darlegung dieser Grundlagen fehlt, kann auch nicht beurteilt werden, ob die Schätzungen, wie der Beschwerdeführer meint, unrealistisch sind und ob bei der Schätzung gewichtige Umstände entsprechend dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu Unrecht nicht berücksichtigt worden sind.
Der Beschwerdeführer hat auch nicht hinreichend dargelegt, daß die Einziehung der streitbefangenen Steuern für ihn eine erhebliche Härte i.S. des § 222 AO 1977 bedeute. Ob die Einziehung dann als erhebliche Härte anzusehen wäre, wenn der Beschwerdeführer, wie er behauptet, vom FA Steuererstattungen in Höhe von 64 000 DM fordern könnte, braucht nicht entschieden zu werden. Denn der Beschwerdeführer hat, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht dargelegt, daß ihm Steuererstattungsansprüche in dieser Höhe zustehen.
2. Eine einstweilige Anordnung mit dem Inhalt, dem FA eine Vollstreckung aus den Steuerfestsetzungen vorläufig zu untersagen, setzt voraus, daß der Beschwerdeführer einen Anspruch auf Einstellung der Vollstreckung hat. Insoweit kommt nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers nur ein Anspruch auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung nach § 258 AO 1977 in Betracht. Dazu ist erforderlich, daß eine Vollstreckung unbillig wäre. Auch das kann aus den Ausführungen des Beschwerdeführers jedoch nicht entnommen werden.
Ob eine Vollstreckung unbillig wäre, wenn der Beschwerdeführer entsprechend seinen Behauptungen eine Steuererstattung fordern könnte, braucht schon deshalb nicht entschieden zu werden, weil die Ausführungen des Beschwerdeführers nicht ausreichen, um daraus den Bestand von Steuererstattungsansprüchen folgern zu können.
Fundstellen