Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Beschwerde
Leitsatz (NV)
1. Für die Zulassung der Beschwerde gemäß §128 Abs. 3 FGO ist eine besondere Entscheidung des FG erforderlich. Eine Formulierung in der Rechtsmittelbelehrung, wie z. B. "Gegen den Beschluß steht den Beteiligten die Beschwerde zu", genügt hierfür nicht.
2. Wird aufgrund der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung (1.) Beschwerde eingelegt, so ist grundsätzlich auch dann von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren abzusehen, wenn die Beschwerde gleichzeitig auch wegen Nichteinhaltung des vor dem BFH bestehenden Vertretungszwangs als unzulässig zu verwerfen wäre.
3. Von der Erhebung der Gerichtskosten wird unter diesen Umständen (2.) aber nicht abgesehen, wenn das FG den Antragsteller nachträglich auf die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung hingewiesen und dieser dann trotz Kenntnis von der Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung seine Beschwerde aufrechterhalten hat.
Normenkette
FGO § 114 Abs. 1, § 115 Abs. 2, § 128 Abs. 3, § 130 Abs. 1; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; GKG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1
Tatbestand
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Finanzgericht (FG) den Antrag der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§114 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung von Steuerrückständen abgewiesen, weil weder die Voraussetzungen einer Sicherungsanordnung noch die einer Regelungsanordnung vorlägen. In der Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses heißt es u. a.: "Gegen den Beschluß steht den Beteiligten die Beschwerde zu"; auf den vor dem Bundesfinanzhof (BFH) bestehenden Vertretungszwang ist ordnungsgemäß hingewiesen.
Gegen diesen Beschluß hat die nicht vertretene Antragstellerin Beschwerde eingelegt. Mit Schreiben vom 6. Juni 1997 hat der Vorsitzende des FG-Senats die Antragstellerin nochmals, wie schon zuvor die Berichterstatterin, darauf hingewiesen, daß eine Beschwerde gegen den FG-Beschluß nicht statthaft sei, die dem Beschluß beigefügte gegenteilige Rechtsmittelbelehrung auf einem Versehen des mit der Ausfertigung des Beschlusses betrauten Bediensteten des Gerichts beruhe und ein nicht statthaftes Rechtsmittel auch nicht durch eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung zulässig werde. Zur Vermeidung unnötiger Kosten werde die Eingabe der Antragstellerin als erledigt angesehen. Nachdem die Antragstellerin daraufhin mitteilte, daß sie ihre Beschwerde nicht zurücknehme, hat das FG der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem BFH zur Entscheidung vorgelegt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, da sie mangels Zulassung durch das FG nicht statthaft ist (§128 Abs. 3, §132 FGO).
Nach §128 Abs. 3 FGO steht den Beteiligten gegen die Entscheidung des FG über eine einstweilige Anordnung nach §114 Abs. 1 FGO die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Für die Zulassung gilt §115 Abs. 2 FGO entsprechend. Der angefochtene Beschluß des FG enthält keine Ausführungen über die Zulassung der Beschwerde wegen einer oder mehrerer der in §115 Abs. 2 FGO genannten Zulassungsgründe. Die Beschwerde ist deshalb nicht statthaft.
Für die Zulassung der Beschwerde nach §128 Abs. 3 FGO ist im Gesetz keine besondere Form vorgeschrieben. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. z. B. die Senatsbeschlüsse vom 21. Februar 1996 VII B 215/95, BFH/NV 1996, 569, m. w. N., und vom 7. Mai 1996 VII B 76/96, BFH/NV 1996, 778) muß die Zulassung nicht ausdrücklich in die Beschlußformel aufgenommen werden, auch wenn dies im Hinblick auf die Rechtsklarheit erwünscht ist. Vielmehr genügt es, wenn die Zulassung des Rechtsmittels etwa durch Hinweis auf den Zulassungsgrund oder die gesetzliche Bestimmung erkennbar aus den Gründen hervorgeht. Unter besonderen Voraussetzungen kann auch ein in der Rechtsmittelbelehrung des FG-Beschlusses enthaltener ausdrücklicher Ausspruch, daß die Beschwerde zulässig sei, als Beschwerdezulassung anerkannt werden. Da die Zulassung jedoch stets ausdrücklich durch besondere Entscheidung erfolgen muß, reicht es nicht aus, daß eine Rechtsmittelbelehrung lediglich von der Zulässigkeit der Beschwerde gegen den Beschluß des FG ausgeht und nicht zu erkennen gibt, daß mit ihr selbst die Beschwerde durch besondere Entscheidung aus einem der in §115 Abs. 2 FGO genannten Gründe zugelassen wird. Eine Rechtsmittelbelehrung, nach der -- ohne Hinweis auf die besondere Entscheidung über die Zulassung -- die Beschwerde als zulässig angesehen wird, kann nur als unrichtige Rechtsmittelbelehrung verstanden werden. Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung führt aber nicht dazu, daß ein nach dem Gesetz nicht zulässiges Rechtsmittel als zulässig zu behandeln ist.
Im Streitfall folgt daraus, daß aus der dem angefochtenen Beschluß beigefügten Rechtsmittelbelehrung, nach der die Beschwerde den Beteiligten gegeben sein soll ("Gegen den Beschluß steht den Beteiligten die Beschwerde zu"), die nach §128 Abs. 3 FGO erforderliche Zulassung dieses Rechtsmittels nicht entnommen werden kann. Weder aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses noch aus dem Inhalt der Rechtsmittelbelehrung ist die Absicht des FG erkennbar, die Beschwerde gegen die Ablehnung der einstweiligen Anordnung zulassen zu wollen. Aus einer Rechtsmittelbelehrung allein könnte eine Zulassung des Rechtsmittels allenfalls dann entnommen werden, wenn in ihr die Zulassung durch eine ausdrücklich darauf gerichtete Formulierung betreffend Zulassung und Zulassungsgrund zum Ausdruck käme (etwa: Die Beschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen). An einer solchen Formulierung aber fehlt es hier.
Ein Anhaltspunkt für die Zulassung der Beschwerde durch besondere Entscheidung ergibt sich auch nicht daraus, daß das FG auf die Beschwerde der Antragstellerin hin einen Nichtabhilfebeschluß gefaßt hat (§130 Abs. 1 FGO). Auch diesem kann eine ausdrückliche Zulassung der Beschwerde, wie sie nach dem eindeutigen Wortlaut des §128 Abs. 3 FGO erforderlich ist (vgl. zur konstitutiven Zulassung eines Rechtsmittels generell BFH-Beschluß vom 26. August 1987 IV B 27/87, BFHE 150, 403, BStBl II 1987, 786), nicht entnommen werden.
2. Die Beschwerde ist des weiteren auch deshalb unzulässig, weil die Antragstellerin den vor dem BFH bestehenden Vertretungszwang, wonach sich jede Person des privaten Rechts schon bei der Einlegung des Rechtsmittels durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen muß (Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs), nicht eingehalten hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §135 Abs. 2 FGO.
4. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren kann im Streitfall nicht gemäß §8 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) abgesehen werden, weil nicht davon ausgegangen werden kann, daß diese Kosten bei richtiger Behandlung der Sache durch das FG nicht entstanden wären.
Zwar hat der Senat mit Beschluß vom 26. Juni 1997 VII B 50/97 (BFH/NV 1998, 73) entschieden, daß im Falle der Konkurrenz der Unzulässigkeitsgründe "Nichtstatthaftigkeit der Beschwerde" und "mangelnde Postulationsfähigkeit" von der Erhebung der Gerichtskosten nach §8 Abs. 1 GKG abzusehen ist, wenn die Beschwerde aufgrund einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung durch das FG eingelegt worden ist. Zur Begründung hat der Senat dazu ausgeführt: Bei zutreffender Rechtsmittelbelehrung durch das FG hätte ein zur Vertretung vor dem BFH berechtigter Prozeßbevollmächtigter für seinen Mandanten keine Beschwerde eingelegt, so daß beim BFH keine Gerichtskosten angefallen wären. Strengere Anforderungen dürften aber an eine vor dem BFH nicht vertretungsberechtigte -- gleiches gilt für eine nicht vertretene -- Person nicht gestellt werden. Es wäre nämlich unbillig, diese auf den richtigen Teil (Hinweis zur Vertretungsberechtigung) innerhalb einer insgesamt, d. h. im Ergebnis, unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung zu verweisen und sie deshalb mit Kosten zu belasten, die bei richtiger Behandlung der Sache durch das FG wahrscheinlich nicht entstanden wären.
Im Streitfall liegt es indessen anders. Zwar ist auch hier davon auszugehen, daß die Antragstellerin die Beschwerde ursprünglich aufgrund der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung eingelegt hat. Die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung war aber letztlich nicht ursächlich dafür, daß mit der Vorlage der Beschwerde an den BFH (§130 Abs. 1 FGO) Kosten des Rechtsmittelverfahrens beim Rechtsmittelgericht entstanden sind (§4 Abs. 1 Nr. 2, §11 Abs. 1 GKG i. V. m. Anlage 1 Kostenverzeichnis Nr. 3400). Denn das FG hatte die Antragstellerin auf die Fehlerhaftigkeit der Rechtsmittelbelehrung hingewiesen und ihr nahegelegt, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Wäre die Antragstellerin diesem Rat gefolgt und/oder hätte sie ihre Beschwerde zurückgenommen, wären Kosten des Rechtsmittelverfahrens vor dem BFH nicht entstanden. Ursächlich für diese Kosten war mithin nicht die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung, sondern der Wille der Antragstellerin, das Beschwerdeverfahren trotz Kenntnis von der Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung durchzuführen.
Fundstellen