Leitsatz (amtlich)
1. Ist die Beschwerde gegen eine Entscheidung i. S. des § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO beim BFH anhängig, kann auch dieser die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung aussetzen.
2. Die Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung einer Entscheidung i. S. des § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO ist aufgrund summarischer Beurteilung der Erfolgsaussichten sowie der Interessen der Beteiligten zu treffen.
Normenkette
FGO § 131 Abs. 1, § 155; ZPO § 572 Abs. 3
Tatbestand
In dem Rechtsstreit der Antragstellerin gegen das Finanzamt (FA) A wegen Haftung wurde der Antragstellerin durch Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) für die Revisionsinstanz und - nach Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG) - durch Beschluß des FG auch für das Verfahren vor dem FG das Armenrecht bewilligt. Mit den Armenrechtsbewilligungen wurde der Antragstellerin ihr Prozeßbevollmächtigter beigeordnet. Nach Beendigung des Rechtsstreits ordnete das FG die Nachzahlung der Gerichtsund Anwaltskosten an mit der Maßgabe, daß die Antragstellerin monatlich Raten, erstmalig einen Monat nach Zustellung des Beschlusses, zu zahlen habe. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das FG folgendes aus: Über die Anordnung der Nachzahlung sei zwar aufgrund von Art. 5 Nr. 1 des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe (PKHG) vom 13. Juni 1980 (BGBl I 1980, 677) nach § 125 der Zivilprozeßordnung alter Fassung (ZPO a. F.) zu entscheiden. Es erscheine aber sachgerecht, sich bei der Entscheidung nach dieser Vorschrift zur Bestimmung der zumutbaren Belastung an der Tabelle in der Anlage 1 zu § 114 ZPO n. F. zu orientieren.
Die Antragstellerin legte gegen diesen Beschluß des FG Beschwerde ein.
Sie beantragt, die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses des FG ohne Sicherheitsleistung anzuordnen.
Entscheidungsgründe
1. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist zulässig.
a) Nach § 131 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann auch die Vollziehung einer mit der Beschwerde angefochtenen Entscheidung ausgesetzt werden, die nicht die Festsetzung eines Ordnungsoder Zwangsmittels zum Gegenstand hat und bei der infolgedessen nicht schon die Beschwerde kraft Gesetzes (§ 131 Abs. 1 Satz 1 FGO) eine aufschiebende Wirkung zur Folge hat. Eine Entscheidung in diesem Sinne ist der mit der Beschwerde angefochtene Beschluß des FG, mit dem die Nachzahlung nach § 142 FGO a. F. i. V. m. § 125 ZPO a. F. und Art. 5 Nr. 1 PKHG angeordnet worden ist.
b) Zur Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses ist in sinngemäßer Anwendung des § 572 Abs. 3 ZPO (§ 155 FGO) auch der BFH als Beschwerdegericht befugt, nachdem das Beschwerdeverfahren bei ihm anhängig geworden ist und das FG über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung keine Entscheidung getroffen hat. Zwar ist in § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO bestimmt, daß das FG - oder auch dessen Vorsitzender - die Vollziehung aussetzen kann. Daraus folgt jedoch nicht, daß der BFH als Beschwerdegericht zur Aussetzung der Vollziehung nicht befugt sei (anderer Meinung Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 131 FGO Anm.; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 131 Tz. 6). Es ist vielmehr der Auffassung zu folgen, daß die sinngemäße Anwendung der Regelung in § 572 Abs. 3 ZPO aufgrund von § 155 FGO durch § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht ausgeschlossen wird (vgl. v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 131 FGO Anm. 6; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 131 Anm. 3; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., § 149 Rdnr. 3) und danach auch der BFH zur Aussetzung der Vollziehung befugt sein kann. Die Bedeutung der Regelung über die Befugnis zur Aussetzung der Vollziehung in § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO ist nicht darin zu erblicken, daß ausschließlich das FG oder dessen Vorsitzender, nicht aber der BFH als Beschwerdegericht, zur Aussetzung der Vollziehung befugt sein solle. Zu einer Auslegung dahin, daß die sinngemäße Anwendung der Regelung in § 572 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen werden soll, zwingen weder ihr Wortlaut noch der erkennbare Sinn und Zweck. Ihr Wortlaut gestattet zumindest auch die Auslegung, daß durch die Regelung in § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO die Befugnis des Vorsitzenden zur Aussetzung der Vollziehung neben der entsprechenden Befugnis des FG begründet werden soll. Diese Auslegung verdient den Vorzug gegenüber derjenigen, daß durch § 131 Abs. 1 Satz 2 FGO die Anwendung der Regelung des § 572 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen werden solle. Zumindest prozeßökonomische Gründe lassen es als unzweckmäßig erscheinen, dieser zuletzt genannten Auslegung zu folgen. Sobald eine Beschwerde beim BFH anhängig ist, erscheint es zweckmäßig und sachgerecht, dem BFH die Befugnis zur Aussetzung der Vollziehung einzuräumen.
2. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist auch begründet.
a) Die Entscheidung über den Antrag ist aufgrund summarischer Beurteilung der Erfolgsaussichten sowie der Interessen der Beteiligten zu treffen (vgl. Gräber, a. a. O., § 131 Anm. 5). Danach ist im Streitfall zugunsten der Antragstellerin zu berücksichtigen, daß bei der angefochtenen Entscheidung über die Nachzahlung in sinngemäßer Anwendung des § 125 ZPO a. F. offenbar nicht die Frage geprüft worden ist, ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin gebessert haben. Das FG hat die Anordnung der Nachzahlung sichtlich nur darauf gestützt, daß nach dem gegenwärtig geltenden Recht eine Ratenzahlung zumutbar wäre. Bei summarischer Beurteilung ist unter Beachtung der überwiegenden Meinungen zur Anwendung des § 125 ZPO a. F. aber davon auszugehen, daß die Anordnung der Nachzahlung nur gerechtfertigt ist, wenn eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegt (vgl. Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 125 Anm. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 38. Aufl., § 125 Anm. 1 B). Ob die Nachzahlungsanordnung auch allein darauf gestützt werden kann, daß nach der gegenwärtigen Rechtslage Ratenzahlungen zumutbar wären, erscheint zumindest ernstlich zweifelhaft. Eine solche Betrachtung könnte zur Folge haben, daß die Nachzahlung nur deshalb angeordnet wird, weil die Frage der Armut nunmehr anders beurteilt wird als im Zeitpunkt der Bewilligung des Armenrechts. Zur Anwendung des § 125 ZPO a. F. wird aber - offenbar überwiegend - die Auffassung vertreten, daß eine andere Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse zur Anordnung der Nachzahlung nicht ausreichen soll (vgl. Stein/Jonas, a. a. O., mit weiteren Hinweisen).
b) Bei summarischer Prüfung kann zumindest unter Beachtung der allgemeinen Einkommens- und Preisentwicklungen nicht ausgeschlossen werden, daß eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin nicht vorliegt.
Fundstellen
BStBl II 1985, 221 |
BFHE 1985, 427 |