Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug aus Schulungskosten; Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung
Leitsatz (NV)
- Eine Schulung, die der Gründung eines Unternehmens vorausgeht, ist grundsätzlich noch keine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG und berechtigt nicht zum Vorsteuerabzug aus den für die Schulung bezogenen Leistungen. Anderes gilt für Leistungsbezüge im Zusammenhang mit einer Schulung, die unmittelbar auf einen bestimmten selbständigen Beruf vorbereiten.
- Nach Wegfall der zulassungsfreien Revision am 1. Januar 2001 liegt in den Fällen des § 116 FGO a.F. ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor.
- Die Öffentlichkeit der Verhandlung ist auch dann gewahrt, wenn zwar die Haupteingangstür eines Gerichtsgebäudes verschlossen ist, Zuhörer sich aber mit Hilfe einer Klingel Einlass verschaffen können.
Normenkette
UStG 1993 § 2 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, § 119 Nr. 2, § 116
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielte bis März 1992 als Biologielaborant Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er war ab dem 1. April 1992 arbeitslos. Vom 10. Dezember 1992 bis Ende Januar 1995 nahm er an einer Umschulungsmaßnahme zum Steuerfachgehilfen teil. Danach war der Kläger bis Ende März 1995 (wiederum) arbeitslos und erzielte ab 1. April 1995 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Steuerfachgehilfe bei einem Steuerberater.
Während der Streitjahre (1994 bis 1996) war der Kläger nach seinem Vorbringen daneben als Buchhaltungshelfer selbständig tätig.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) erließ am 20. Juni 2000 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre, in denen er die Umsatzsteuer für 1994 und 1995 jeweils auf 0 DM und für 1996 auf 27 DM (Besteuerung eines Eigenverbrauchs von 180 DM) festsetzte.
Die dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage blieb im Wesentlichen erfolglos. Das Finanzgericht (FG) setzte die Umsatzsteuer 1996 auf einen Überschuss zugunsten des Klägers in Höhe von 146 DM fest und wies im Übrigen die Klage ab. Es führte zur Begründung aus:
Entsprechend dem Sachvortrag des Klägers sei davon auszugehen, dass er ab 1994 steuerpflichtige Umsätze im Rahmen seines Unternehmens als Buchführungshelfer gegen Entgelt ausgeführt habe. Da der Kläger die Höhe dieser Umsätze trotz Nachfrage in der mündlichen Verhandlung jedoch nicht beziffert habe, seien sie zu schätzen, und zwar für 1994 auf 1 000 DM, für 1995 auf 3 000 DM und für 1996 auf 5 000 DM.
Von den im Streitjahr 1994 geltend gemachten Vorsteuerbeträgen in Höhe von 688,39 DM entfalle der weitaus überwiegende Teil (mindestens 562 DM) auf Fahrtkosten und Verpflegungsmehraufwendungen im Zusammenhang mit der Umschulung zum Steuerfachgehilfen. Diese Leistungen seien nicht für das Unternehmen des Klägers ausgeführt worden, so dass ein Vorsteuerabzug insoweit nicht in Betracht komme. Die Umschulungsmaßnahme habe den Kläger nicht unmittelbar auf seine Tätigkeit als Buchführungshelfer vorbereitet und sei auch nicht Zulassungsvoraussetzung für diese Tätigkeit gewesen. Sie habe vielmehr in erster Linie dazu gedient, nach Beendigung eine unselbständige Tätigkeit bei einem Steuerberater aufzunehmen. Zudem sei die Frage, ob Lieferungen oder sonstige Leistungen von einem Unternehmer für das Unternehmen des Leistungsempfängers ausgeführt worden seien, im Regelfall nach ertragsteuerlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Da die Ausbildungskosten ertragsteuerlich den beschränkt abzugsfähigen Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zuzuordnen seien, seien die Leistungen, soweit sie mit der Umschulungsmaßnahme im Zusammenhang stünden, auch umsatzsteuerrechtlich als für den privaten Bereich des Klägers erbracht anzusehen.
Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen und der geschätzten Umsätze würde sich für 1994 und 1995 sogar eine positive Umsatzsteuerfestsetzung ergeben. Für 1996 sei die festzusetzende Umsatzsteuer (unter Anerkennung der geltend gemachten Vorsteuerbeträge) auf einen Überschuss in Höhe von 145,85 DM festzusetzen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt. Er rügt, das Urteil sei auf eine mündliche Verhandlung ergangen, bei welcher die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt gewesen seien. Zudem sei die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und wegen Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO), sind nicht vorhanden.
1. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO
a) Nach ständiger Rechtsprechung hat eine Sache grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung des Rechts berührt. Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln. Die Rechtsfrage muss in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsbedürftig und im Streitfall auch klärbar sein (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 14. August 2001 XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51). Diese Voraussetzungen müssen gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO in der Beschwerdebegründung dargelegt werden.
b) Der Kläger macht zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung geltend:
"Objektive unmittelbare Ausbildungs- und Qualifizierungskosten für einen Beruf der steuerbare Umsätze zukünftig erzielt, sind umsatzsteuerbar. Dabei sind keine engen Maßstäbe anzuwenden, sondern es ist die Berufsphäre der Gründe, die für die Aufwendung sprechen, zu betrachten. Weder sind zeitliche noch ertragssteuerliche hierbei ausschlaggebend.
Diese Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung. Der Arbeitsmarkt befindet sich im Wandel. Das lebenslange Beschäftigungsverhältnis ist nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme. Daher ist es für eine Vielzahl von Steuerbürgern von erheblicher Bedeutung, ob der Weg in eine Selbständigkeit ―und die damit verbundenen Kosten und Vorsteuern― geltend gemacht werden können und erstattungsfähig sind.
Die Ausbildungs- und Qualifizierungsbranche hat ebenfalls ein Interesse an höchstrichterlicher Klärung.
Die Abgrenzung Berufsausbildungskosten zum Verhältnis der Qualifikations-Betriebsausgaben steht einer höchstrichterlichen Abgrenzung offen. Hierbei bedarf es aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung zudem einer aktuellen (Neu-)Bewertung."
c) Diese Ausführungen genügen den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nicht.
Nach der ―auch der angefochtenen Vorentscheidung zugrunde liegenden― Rechtsprechung des BFH ist eine Schulung, die der Gründung eines Unternehmens vorausgeht, grundsätzlich noch keine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993 und berechtigt nicht zum Vorsteuerabzug aus den für die Schulung bezogenen Leistungen. Anderes gilt für Leistungsbezüge im Zusammenhang mit einer Schulung, die unmittelbar auf einen bestimmten selbständigen Beruf vorbereitet (vgl. BFH-Urteile vom 15. März 1993 V R 18/89, BFHE 171, 111, BStBl II 1993, 561 a.E.; vom 17. September 1998 V R 28/98, BFHE 187, 67, BStBl II 1999, 146).
Der Kläger hat sich in der Beschwerdeschrift weder mit dieser Rechtsprechung auseinander gesetzt noch geltend gemacht, warum und aus welchen Gründen die von ihm als rechtsgrundsätzlich angesehene Rechtsfrage unterschiedlich beurteilt wird. Das genügt den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 29. Mai 2000 V B 25/00, BFH/NV 2000, 1483).
2. Divergenz
Die Revision ist auch nicht wegen der nach Ansicht des Klägers bestehenden Abweichung der Vorentscheidung von den BFH-Urteilen vom 14. Februar 1992 VI R 69/90 (BFHE 167, 502, BStBl II 1992, 916), vom 15. April 1992 III R 96/88 (BFHE 168, 133, BStBl II 1992, 819) und vom 18. April 1996 VI R 89/93 (BFHE 180, 353, BStBl II 1996, 446) zuzulassen.
Zwar wäre im Falle einer solchen Divergenz die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO statthaft. Der Kläger hat aber keinen entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz aus dem angefochtenen finanzgerichtlichen Urteil und keinen abstrakten Rechtssatz aus den genannten Entscheidungen des BFH, von dem das FG in der Vorentscheidung abgewichen sein soll, so genau bezeichnet, dass eine Abweichung erkennbar wird, weil die gegenübergestellten Rechtsgrundsätze unvereinbar sind (vgl. dazu z.B. BFH-Beschluss vom 7. Juni 2000 III B 32/00, BFH/NV 2001, 45). Zudem sind die bezeichneten BFH-Entscheidungen nicht zur Umsatzsteuer ergangen.
3. Zulassung wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)
Die Revision ist auch nicht wegen des geltend gemachten Verfahrensmangels zuzulassen.
a) Der Kläger sieht als Verfahrensmangel an, dass der Zugang der Öffentlichkeit zur mündlichen Verhandlung nicht gewährleistet gewesen sei. In dem Bürogebäude, in dem die Nebenstelle des FG untergebracht worden sei, und in dem die mündliche Verhandlung stattgefunden habe, sei sowohl die Eingangstür als auch die Etagentür verschlossen gewesen. Erst nach mehrmaligem Klingeln habe ein Mitarbeiter geöffnet und ihm ―nach hitziger Diskussion und offensichtlicher Rücksprache mit dem Vorgesetzten― Einlass gewährt. Die Vorsitzende Richterin habe dieses Verhalten mit Drohungen gegen das FG erklärt.
b) Zwar ist nach Wegfall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 FGO a.F. seit In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000 am 1. Januar 2001 in den Fällen des § 116 FGO a.F. ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gegeben (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz. 233; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 86).
Erforderlich ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO aber, dass der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verfahrensmangel auch vorliegt. Daran fehlt es hier. Denn die Öffentlichkeit der Verhandlung ist auch dann gewahrt, wenn zwar die Haupteingangstür eines Gerichtsgebäudes verschlossen ist, Zuhörer sich aber mit Hilfe einer Klingel Einlass verschaffen können (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. November 1989 6 C 29/88, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 133 VwGO Nr. 91 = Neue Juristische Wochenschrift 1990, 1249; Lange, a.a.O., § 119 FGO Rz. 144; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 22).
4. Einer weiteren Begründung bedarf die Entscheidung nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 905246 |
BFH/NV 2003, 521 |
UR 2003, 392 |