Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Bindung des Zulagenrechts an die ertragsteuerliche Beurteilung; Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist nach Treu und Glauben; zuständiges FA bei zweifelhafter Mitunternehmerschaft
Leitsatz (NV)
- Bei der Auslegung von Begriffen in zulagenrechtlichen Begünstigungstatbeständen ist im Allgemeinen auf ertragsteuerrechtliche Grundsätze zurückzugreifen, sofern nicht der Zweck des jeweils anzuwendenden Fördergesetzes einer uneingeschränkten Übernahme dieser Grundsätze entgegensteht.
- Für die Gewährung der Investitionszulage besteht darüber hinaus keine Bindung an die konkrete ertragsteuerrechtliche Behandlung. Beide Regelungsbereiche stehen verfahrensrechtlich selbständig nebeneinander, so dass die für die Gewährung der Zulage notwendigen Voraussetzungen in diesem Bewilligungsverfahren unabhängig von der ertragsteuerlichen Behandlung zu ermitteln und zu würdigen sind.
- Nach Treu und Glauben kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommen, wenn z.B. bei Unklarheiten über die Anspruchsberechtigung als Mitunternehmerschaft oder als Einzelunternehmer die Antragsfrist für die Antragstellung bei dem örtlich zuständigen FA deswegen versäumt worden ist, weil das unzuständige FA aufgrund einer nachhaltigen Verwaltungspraxis sowie weiterer besonderer Umstände einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, der es ausnahmsweise verbietet, dem Anspruchsberechtigten bzw. seinem Berater ein Verschulden anzulasten.
Normenkette
AO 1977 § 110 Abs. 1-2; EStG § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 116 Abs. 3 S. 3; InvZulG 1996 § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 7 Abs. 1 S. 1; InvZulG 1999 § 5a
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist (vgl. § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO) keine Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO entsprechend den gesetzlichen Anforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargetan.
1. Wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache begehrt, so ist in der Beschwerdebegründung eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche bestimmte Rechtsfrage herauszuarbeiten und darzulegen, inwieweit diese Rechtsfrage im allgemeinen Interesse an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig ist. Eine durch den Bundesfinanzhof (BFH) geklärte Rechtsfrage ist regelmäßig nicht mehr klärungsbedürftig und kann somit im Allgemeinen keine grundsätzliche Bedeutung mehr haben.
Eine Ausnahme von dieser Regel gilt aber dann, wenn gewichtige neue rechtliche Gesichtspunkte in der Rechtsprechung oder in der Literatur vorgetragen worden sind, die der BFH noch nicht geprüft hat. In diesem Fall hat die Beschwerde allerdings in der Begründung substantiiert darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung dieser (bereits entschiedenen) Rechtsfrage umstritten und inwieweit sie im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig geblieben oder erneut geworden ist. Dazu ist es erforderlich, dass der Kläger ausgehend von der Entscheidung des BFH im Einzelnen in der Beschwerdeschrift konkret darlegt, welche neuen gewichtigen rechtlichen Gesichtspunkte zu der aufgezeigten Rechtsfrage in welcher Entscheidung der Finanzgerichte und/oder dem Schrifttum vorgetragen werden, die der BFH bisher noch nicht geprüft hat. Zur Begründung des allgemeinen Interesses reicht der Vortrag nicht aus, die Rechtsfrage sei bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden.
Ebenso wenig wird ein Zulassungsgrund durch die Begründung dargetan, das Finanzgericht (FG) habe im konkreten Fall das Recht unzutreffend angewendet (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. Oktober 2001 III B 97/01, BFH/NV 2002, 366; vom 29. Mai 2000 III B 11/00, BFH/NV 2001, 209, jeweils m.w.N.).
Handelt es sich ―wie im Streitfall― um eine Frage des ausgelaufenen Rechts, so sind konkrete Ausführungen dazu erforderlich, inwieweit über den Einzelfall hinaus weiterhin ein Klärungsbedarf im Interesse der Allgemeinheit besteht, weil die Rechtsfrage noch für eine Vielzahl von Fällen entscheidungserheblich werden könne (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Januar 2000 III B 84/99, BFH/NV 2000, 1242, m.w.N.).
2. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger wirft die Frage auf, welches Finanzamt (FA) bei einem Auseinanderfallen von Wohnsitz- und Betriebsstätten-FA im Rahmen der Festsetzung der Investitionszulage verbindlich über das Vorliegen einer Mitunternehmerschaft zu entscheiden habe und sieht die Frage im Allgemeininteresse deshalb als klärungsbedürftig an, weil der Antrag innerhalb der Frist nach § 6 Abs. 1 des Investitionszulagengesetzes 1996 (InvZulG 1996) bei dem in § 6 Abs. 2 InvZulG 1996 bestimmten zuständigen FA zu stellen gewesen sei.
a) Der Senat hat indes bereits mehrfach entschieden, dass zwar bei der Auslegung der Begriffe zulagenrechtlicher Begünstigungstatbestände im Allgemeinen auf ertragsteuerliche Grundsätze zurückzugreifen sei, jedoch insbesondere der Zweck des jeweils anzuwendenden Fördergesetzes einer uneingeschränkten Übernahme einkommensteuerrechtlicher Grundsätze entgegenstehen könne (vgl. BFH-Urteil vom 19. Januar 1990 III R 115/84, BFHE 160, 352, BStBl II 1993, 136, unter 3. d, m.w.N.) und darüber hinaus bei der Gewährung der Investitionszulage keineswegs von der konkreten ertragsteuerlichen Behandlung durch den Anspruchsberechtigten auszugehen sei. Vielmehr stehen beide Regelungsbereiche verfahrensrechtlich selbständig nebeneinander, so dass die für die Gewährung der Investitionszulage erforderlichen Voraussetzungen in diesem eigenständigen Verfahren auch unabhängig von der ertragsteuerlichen Behandlung zu ermitteln und zu würdigen sind (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1999 III R 74/97, BFHE 191, 125, BStBl II 2001, 311, unter II. 2. c der Gründe; bestätigt durch BFH-Urteil vom 7. Dezember 2000 III R 35/98, BFHE 194, 294, BStBl II 2001, 316, unter II. 3. der Gründe).
Damit ist die noch im Urteil vom 28. Oktober 1999 III R 42/97 (BFH/NV 2000, 747 zur zulagenrechtlichen Behandlung einer Praxisgemeinschaft) offen gelassene Frage einer möglichen Bindung an eine ertragsteuerliche Beurteilung als Mitunternehmerschaft im Rahmen einer durchgeführten einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung für die Gewährung der Investitionszulage geklärt.
Der Kläger hat sich weder mit dieser veröffentlichten jüngsten Rechtsprechung auseinander gesetzt noch dementsprechend einen weiteren oder erneuten Klärungsbedarf dargetan.
b) Der Hinweis auf die in § 5a InvZulG 1999 völlig neue Verfahrensregelung für Fälle der gesonderten Feststellung ist schon deshalb nicht geeignet, für die Vergangenheit einen Klärungsbedarf zu belegen, weil der Gesetzgeber sie ausdrücklich erst für nach dem 31. Dezember 1999 endende Wirtschaftsjahre für anwendbar erklärt hat (vgl. § 10 Abs. 6 InvZulG 1999). Überdies unterscheidet sich die Antragstellung nach dem InvZulG 1999 von den bis dahin geltenden Fassungen der InvZulG 1991 ff. in verfahrensrechtlicher Hinsicht dadurch grundlegend, dass § 5 InvZulG 1999 keine Antragsfrist mehr enthält.
c) Der Senat hat darüber hinaus entschieden, dass unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nach Treu und Glauben eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Antragsfrist zu gewähren sein könne, wenn z.B. bei Unklarheiten über die Anspruchsberechtigung als Mitunternehmerschaft oder als Einzelunternehmer die Antragsfrist für die Antragstellung bei dem örtlich zuständigen FA deswegen versäumt wurde, weil das unzuständige FA aufgrund einer nachhaltigen Verwaltungspraxis sowie weiterer besonderer Umstände einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe, der es ausnahmsweise verbiete, dem Anspruchsberechtigten bzw. seinem Berater ein Verschulden hinsichtlich des nicht fristgerechten Eingangs eines Zulagenantrags anzulasten (vgl. BFH-Urteil vom 14. September 1999 III R 78/97, BFHE 189, 273, BStBl II 2000, 37, unter II. 2. der Gründe, m.Anm. o.V. in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 2000, 86).
Abgesehen davon, dass für die vom FG angenommene Mitunternehmerschaft für das Streitjahr 1996 offensichtlich kein ordnungsgemäßer Investitionszulagenantrag beim Betriebsstätten-FA innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist eingereicht worden ist (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes i.V.m. § 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 InvZulG 1996, § 110 Abs. 1, Abs. 2 der Abgabenordnung ―AO 1977―), lassen sich weder den Feststellungen des FG noch dem Vortrag des Klägers die Voraussetzungen für die Bildung eines Vertrauenstatbestandes entnehmen. Denn der Investitionszulagenantrag des Klägers für 1996 ist bei dessen Wohnsitz-FA am 29. September 1997 eingereicht worden, sämtliche für eine irrtümliche Beurteilung eventuell Anlass gebenden Umstände, nämlich der gesonderte Gewinnfeststellungsbescheid vom 10. März 1998, der Betriebsprüfungsbericht vom 8. Dezember 2000 und die nach Angabe des Klägers gleichzeitig durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung liegen indes zeitlich offensichtlich erheblich nach dem für die Antragstellung maßgebenden Stichtag 30. September 1997.
Zur Frage der erstmaligen Verkennung der örtlichen Zuständigkeit des FA und der regelmäßig nicht in Betracht kommenden Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Antragsfrist hat der Senat im BFH-Urteil vom 27. August 1998 III R 47/95 (BFHE 187, 134, BStBl II 1999, 65), ferner im Urteil vom 27. August 1998 III R 15/96 (BFH/NV 1999, 368, 369) ausführlich Stellung genommen.
Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er überhaupt den Sachverhalt dem FA umfassend zur Klärung vorgetragen hätte, nämlich den Abschluss eines Gesellschaftsvertrages zum 1. Januar 1996 ohne dessen ―wie möglicherweise anfangs geplant― tatsächliche Umsetzung. Vielmehr hat der steuerlich beratene Kläger den Investitionszulagenantrag für 1996 ausweislich der vom FG beigezogenen Investitionszulagenakte ―in der gleichen Weise wie für die Vorjahre― eingereicht, in denen er unstreitig nur eine Einzelpraxis betrieben hat (vgl. zur Auslegung von Investitionszulagenanträgen BFH-Urteil vom 3. Februar 2000 III R 4/97, BFH/NV 2000, 888).
3. Die weiteren aufgeworfenen Fragen würden sich in einem künftigen Revisionsverfahren im Übrigen nicht stellen. Weder ist über die Zuständigkeit zur verbindlichen Beurteilung des Vorliegens einer Mitunternehmerschaft bezüglich anderer Steuerarten zu befinden noch über die Behandlung von Sitzverlegungen.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Fundstellen