Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Beschwerde
Leitsatz (NV)
- Eine außerordentliche Beschwerde ist im Finanzgerichtsprozess seit In-Kraft-Treten des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001 mit der Einfügung eines § 321a in die ZPO nicht mehr statthaft.
- Ein solcher Rechtsbehelf ist ggf. als Gegenvorstellung zu behandeln. Die Entscheidung der Frage, ob die Gegenvorstellung vorliegend zulässig und begründet ist, obliegt dem Ausgangsgericht.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, § 128 Abs. 3 S. 2, § 155; ZPO § 321a
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) hat gegen eine Änderung des ihn betreffenden Einkommensteuerbescheides für das Jahr 1999 durch den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) ohne Erfolg Einspruch eingelegt und Aussetzung der Vollziehung (AdV) beantragt.
Auch das Finanzgericht (FG) wies den darauf bei ihm gestellten Antrag auf AdV zurück, ohne die Beschwerde zuzulassen. Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller Beschwerde erhoben, der das FG nicht abgeholfen und die es dem Bundesfinanzhof (BFH) vorgelegt hat.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde war wieder an das zuständige FG zurückzugeben. Der BFH ist für die Entscheidung nicht zuständig.
1. Gegen die Entscheidung des FG über eine AdV steht den Beteiligten die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Beschwerde sieht die FGO bei Entscheidungen des FG über einen Antrag auf AdV nicht vor. § 128 Abs. 3 Satz 2 FGO ordnet die entsprechende Anwendung des § 115 Abs. 2 FGO lediglich in dem Sinne an, dass die dort genannten Kriterien für die Zulassung der Beschwerde durch das FG maßgebend sind (BFH-Beschlüsse vom 8. März 1995 V B 18/95, BFH/NV 1995, 715; vom 15. Mai 2002 I B 42/02, BFH/NV 2002, 1318).
2. Der Rechtsbehelf des Antragstellers ist nicht in eine außerordentliche Beschwerde umzudeuten. Ein solcher Rechtsbehelf ist nicht mehr statthaft. Allerdings hat der BFH eine derartige Beschwerde, die in der FGO selbst nicht vorgesehen ist, ausnahmsweise in Fällen für zulässig erachtet, in denen der angefochtene Beschluss unter schwerwiegender Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist oder auf einer Gesetzesauslegung beruht, die offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes widerspricht (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 22. November 1994 VII B 144/94, BFH/NV 1995, 791, m.w.N.; vom 7. Januar 2000 VII B 292/99, BFH/NV 2000, 481; in BFH/NV 2002, 1318).
Im FG-Verfahren ist ein solcher Rechtsbehelf jedoch seit dem In-Kraft-Treten des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl I 2001, 1887) mit der Einfügung eines § 321a in die Zivilprozessordnung (ZPO) nicht mehr statthaft. Gemäß § 321a Abs. 1 ZPO ist auf Rüge der durch ein unanfechtbares Urteil beschwerten Partei der Prozess vor dem Gericht des ersten Rechtszuges fortzuführen, wenn dieses Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Darüber hinaus ist § 321a ZPO der allgemeine Rechtsgrundsatz zu entnehmen, dass die Beseitigung von Verfahrensfehlern nach Ergehen einer mit förmlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbaren Entscheidung durch das entscheidende Gericht selbst (iudex a quo) zu erfolgen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 5. Dezember 2002 IV B 190/02, BFHE 200, 42, BStBl II 2003, 269). Damit entfällt das Bedürfnis, das nächsthöhere Gericht (iudex ad quem) mit einer außerordentlichen Beschwerde zu befassen (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 7. März 2002 IX ZB 11/02, BGHZ 150, 133, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 2002, 1577). Dies gilt nicht nur im Zivilprozess, sondern auch in allen anderen Fällen, in denen eine Prozessordnung ―wie für den Finanzprozess durch § 155 FGO geschehen― die ZPO für entsprechend anwendbar erklärt (Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Mai 2002 6 B 28, 29/02, NJW 2002, 2657).
3. Der Rechtsbehelf des Antragstellers ist somit als Gegenvorstellung analog § 321a ZPO zu verstehen. Als solcher ist er statthaft, da gegen die angefochtene Entscheidung kein förmlicher Rechtsbehelf gegeben ist. Die Entscheidung der Frage, ob die Gegenvorstellung vorliegend wegen der Rüge eines schwerwiegenden Verfahrensverstoßes zulässig (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 1. Oktober 2002 VII B 35/02, nicht veröffentlicht; vom 12. Oktober 1994 II B 57/94, BFH/NV 1995, 333) und zudem begründet ist, obliegt dem Ausgangsgericht; darüber zu befinden ist der Senat daher gehindert.
4. Das Verfahren wird somit an das funktional zuständige FG zurückgegeben. Der Senat entscheidet über die Abgabe durch Beschluss (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 200, 42, BStBl II 2003, 269).
Fundstellen
Haufe-Index 946405 |
BFH/NV 2003, 1064 |