Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit desselben Spruchkörpers bei einer auf nicht vorschriftsmäßige Besetzung gestützten Nichtigkeitsklage
Leitsatz (NV)
Es ist nicht ungesetzlich, daß nach § 584 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 134 FGO im Fall einer Nichtigkeitsklage grundsätzlich dieselben Richter darüber entscheiden, ob das Gericht zuvor i.S. von § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht vorschriftsmäßig besetzt war.
Normenkette
FGO §§ 51, 116 Abs. 1 Nr. 1, § 134; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; GVG § 140a Abs. 1 S. 1; ZPO § 41 Nr. 6, § 579 Abs. 1 Nr. 1, § 584 Abs. 1
Tatbestand
Der ... Senat des Finanzgerichts (FG) wies die Klage (Aktenzeichen .../89) der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wegen Einkommensteuer 1983 bis 1984 durch Urteil vom 27. März 1990 ab und ließ auch die Revision nicht zu. Seitens der Berufsrichter waren an dieser Entscheidung der Vorsitzende Richter A, der Richter B und die Richterin C beteiligt. Die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wies der erkennende Senat mit Beschluß vom 13. September 1991 als unbegründet zurück.
Mit Schriftsatz vom 21. Februar 1992 erhoben die Kläger Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens .../89. Sie führten aus, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 134 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i.V.m. § 579 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). An der Entscheidung vom 27. März 1990 seien die Richter A und B sowie die Richterin C (Sitzgruppe b) beteiligt gewesen, obwohl nach dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan statt der letzteren die Richterin D hätte mitwirken müssen (Sitzgruppe a).
Das FG wies - in der Sitzgruppe a mit der Richterin D - die Klage mit der Begründung zurück, die erhobene Nichtigkeitsklage sei gemäß § 579 Abs. 2 ZPO unbegründet. Die Kläger hätten den gerügten Verfahrensmangel, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO geltend machen können. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger hätte innerhalb der Revisionsfrist das ergangene Urteil auf einen eventuellen Verstoß gegen § 21g des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) überprüfen können und müssen.
Die Revision ließ das FG nicht zu.
Dagegen haben die Kläger Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und außerdem Revision eingelegt. Sie machen geltend, gesetzlicher Richter könne bei Nichtigkeitsklagen wegen nicht vorschriftsmäßiger Besetzung niemals der Spruchkörper in derselben Besetzung wie im Vorprozeß sein. Es sei ein übergreifender Rechtssatz, daß kein Richter Richter in eigener Sache sein könne. Nach dem gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan müßte zwingend ein anderer Senat als der mit dem Vorprozeß befaßte zuständig sein. Die Nichtzuweisung an andere Senate durch das Präsidium sei erkennbar willkürlich. Gerügt werde auch die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und das zulässige Wiederaufnahmeverfahren an denjenigen Senat des FG zurückzuverweisen, der nach dem gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan subsidiär zuständig ist, und hilfsweise die Kosten der Staatskasse aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig; sie ist durch Beschluß zu verwerfen (§ 124 und § 126 Abs. 1 FGO).
1. Gegen das Urteil des FG steht den Beteiligten die Revision zu, wenn das FG oder der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat (§ 115 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -). Das ist nicht der Fall. Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Die von den Klägern erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat der erkennende Senat durch Beschluß vom heutigen Tag zurückgewiesen.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 116 Abs. 1 FGO statthaft. Die Kläger haben innerhalb der Revisionsbegründungsfrist einen Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO des Urteils im Wiederaufnahmeverfahren nicht schlüssig gerügt. Ein Verfahrensmangel ist schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - den geltend gemachten Verfahrensmangel ergeben (BFH-Beschluß vom 29. Juni 1989 V R 112/88, V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850).
Zur Rüge des in § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO bezeichneten Verfahrensmangels muß sich aus den vorgetragenen Tatsachen ableiten lassen, daß der erkennende Spruchkörper des FG bei der angefochtenen Entscheidung vom 8. April 1992 nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Auch wenn man als wahr unterstellt, daß der ... Senat des FG bei seiner Entscheidung vom 27. März 1990 in der Einkommensteuersache 1983 bis 1984 der Kläger wegen einer willkürlichen Abweichung vom senatsinternen Geschäftsverteilungsplan nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen wäre, so folgt daraus nicht, daß dies auch für die Besetzung beim jetzt angefochtenen Urteil vom 8. April 1992 zutrifft.
Für eine Klage im Wiederaufnahmeverfahren ist grundsätzlich das Gericht ausschließlich zuständig, dessen Urteil mit der Klage angefochten ist. Das ergibt sich aus § 584 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 134 FGO (vgl. BFH-Urteile vom 14. August 1979 VII K 11/74, BFHE 128, 487, BStBl II 1979, 777, und vom 4. Juli 1991 IV K 1/90, BFHE 164, 504, BStBl II 1991, 813). Unstreitig ist das nach den vorgelegten Geschäftsverteilungsplänen hier der ... Senat des FG, und zwar in der Sitzgruppe a.
Entgegen der Auffassung der Kläger ist es nicht ungesetzlich, daß nach dieser Maßgabe im Fall einer Nichtigkeitsklage grundsätzlich dieselben Richter zur Entscheidung darüber berufen sind, ob das Gericht zuvor i.S. von § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht vorschriftsmäßig besetzt war. § 584 Abs. 1 Satz 1 ZPO sieht dies ausdrücklich vor und trifft damit zugleich die Entscheidung, daß die erhobene Besetzungsrüge grundsätzlich der Spruchkörper zu überprüfen hat, dem die nicht vorschriftsmäßige Besetzung vorgehalten wird. Zu Recht macht das FA darauf aufmerkam, daß insoweit keine verdeckte Regelungslücke besteht, die - wie die Kläger meinen - dahin auszufüllen wäre, daß ein anderer, und zwar der nach der vom Präsidium beschlossenen Geschäftsverteilung subsidiär zuständige ... Senat des FG zur Entscheidung über die Nichtigkeitsklage berufen wäre. Das zeigt deutlich § 140a Abs. 1 Satz 1 GVG, der nur für Wiederaufnahmeverfahren in Strafsachen ein anderes Gericht anstelle des Gerichts bestimmt, gegen dessen Entscheidung sich der Antrag auf Wiederaufnahme richtet (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 21. Juni 1988 2 BvR 602, 974/83, BVerfGE 78, 331, 337 f.). Auch hier gilt, daß der Gesetzgeber bei den Prozeßparteien ein Mindestmaß an Vertrauen in die Integrität der Rechtsprechung voraussetzt (vgl. BVerfG-Beschluß vom 19. Juni 1970 2 BvR 254/70, Deutsche Richterzeitung - DRiZ - 1970, 269, und BFH-Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252) und es ihnen überläßt, Gründe für die Ausschließung und Ablehnung der in ihrem Fall zur Entscheidung berufenen zuständigen Richter geltend zu machen. Der gemäß § 51 FGO im Finanzgerichtsprozeß anwendbare § 41 Nr. 6 ZPO, durch den ein Richter kraft Gesetzes in Sachen ausgeschlossen ist, in denen er in einem früheren Rechtszug mitgewirkt hat, ist auf Wiederaufnahmeverfahren nicht übertragbar (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 5. Dezember 1980 V ZR 16/80, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1981, 1273; Warneyer, Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in Zivilsachen Jahrgang 1980 Bd.2 Nr. 328 S. 869; vgl. BVerfG-Beschluß in BVerfGE 78, 331, 337 f.). Wegen der verfassungsmäßigen Forderung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, den gesetzlichen Richter möglichst eindeutig zu bestimmen, sind diese Vorschriften auch nicht ausweitend anwendbar und zudem für Erwägungen rechtspolitischer Natur nicht zugänglich (BGH-Urteil in NJW 1981, 1273 m.w.N.). Zwar sichert die Verfahrensgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur die Freiheit von Eingriffen durch Organe der Legislative und der Exekutive, sondern ihre Schutzfunktion richtet sich auch nach innen, also selbst gegen Maßnahmen der Gerichtsorganisation. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich aber, daß auch ein gerichtlicher Geschäftsverteilungsplan nicht fehlerhaft ist, weil er nicht vorsieht, daß über die Nichtigkeitsklage gegen ein Urteil eines Senats ein anderer Senat des Gerichts zu entscheiden hat. Die Auslegung, daß über die Nichtigkeitsklage der Senat entscheidet, dessen Urteil mit der Nichtigkeitsklage angegriffen wird, entspricht § 584 Abs. 1 ZPO, ist jedenfalls nicht willkürlich und führt deshalb nicht dazu, daß der Nichtigkeitskläger seinem gesetzlichen Richter entzogen wird (vgl. BVerfG-Beschluß vom 10. Juli 1990 1 BvR 984, 985/87, BVerfGE 82, 286, 298 f.). Eine solche Handhabung führt entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht dazu, daß die Richter im Wiederaufnahmeverfahren in eigener Sache entscheiden. Zwar gehört zum Wesen der richterlichen Tätigkeit, daß sie von einem nichtbeteiligten Dritten in sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit ausgeübt wird (vgl. BVerfG-Beschluß vom 24. März 1982 2 BvH 1, 2/82, 2 BvR 233/82, BVerfGE 60, 175, 203). Das schließt aber nicht aus, daß die betroffenen Richter selbst überprüfen, ob das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war.
Da danach der ... Senat des FG zur Entscheidung über die erhobene Nichtigkeitsklage berufen war, ist es unerheblich, ob, wie die Kläger geltend machen, zuvor bei dem mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Urteil vom 27. März 1990 der senatsinterne Geschäftsverteilungsplan ekla-tant willkürlich gehandhabt worden sein soll.
Fundstellen
Haufe-Index 419473 |
BFH/NV 1994, 795 |