Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmangel nur bei mißbräuchlicher oder willkürlicher Handhabung des Geschäftsverteilungsplans
Leitsatz (NV)
1. Eine Rechtssache ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung, wenn erst mit der Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil auf eine erhobene Nichtigkeitsklage gerügt wird, bei der mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Entscheidung sei der Spruchkörper nicht richtig besetzt gewesen.
2. Eine Abweichung von der BFH-Entscheidung vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252 ist nicht darin zu sehen, daß das FG im Fall einer Nichtigkeitsklage darauf abstellt, daß die Unterlassung der Revisionseinlegung der Nichtigkeitsklage entgegensteht.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 116 Abs. 1 Nr. 1, § 119 Nr. 1, § 134; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; GVG § 21g Abs. 2; ZPO § 579 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Finanzgericht (FG) bei seinem Urteil vom 27. März 1990 .../89 in der Einkommensteuersache 1983 bis 1984 der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) vorschriftsmäßig besetzt war und in welcher Weise diese eine Fehlbesetzung hätten rügen müssen.
Die Kläger sind Eheleute; sie bewirtschafteten in den Streitjahren 1983 bis 1984 zusammen einen landwirtschaftlichen Betrieb. Da sie keine Bücher führten, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) die Besteuerungsgrundlagen und erließ entsprechende Steuerbescheide. Dagegegen machten die Kläger im Einspruchs- und Klageverfahren geltend, die Ausbildungs-, Unterhaltshöchst- und Kinderfreibeträge seien verfassungswidrig, auch seien die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft zu hoch angesetzt worden.
Der ... Senat des FG wies diese Klage unter dem Aktenzeichen .../89 nach der mündlichen Verhandlung am 27. März 1990 durch Urteil ab und ließ auch die Revision nicht zu. Seitens der Berufsrichter waren an dieser Entscheidung der Vorsitzende Richter A, der Richter B und die Richterin C (Sitzgruppe b) beteiligt. Die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wies der erkennende Senat mit Beschluß vom 13. September 1991 als unbegründet zurück.
Mit Schriftsatz vom 21. Februar 1992 erhoben die Kläger Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens .../89. Sie führten aus, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 134 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i.V.m. § 579 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). An der Entscheidung vom 27. März 1990 seien die Richter A und B sowie die Richterin C (Sitzgruppe b) beteiligt gewesen, obwohl nach dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan der Senat in der Sitzgruppe a und daher statt mit der Richterin C mit der Richterin D habe entscheiden müssen.
Das FG wies die Klage mit der Begründung zurück, die erhobene Nichtigkeitsklage sei gemäß § 579 Abs. 2 ZPO unbegründet. Die Kläger hätten den gerügten Verfahrensmangel, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO geltend machen können. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger hätte innerhalb der Revisionsfrist das ergangene Urteil auf einen eventuellen Verstoß gegen § 21g des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) überprüfen können und müssen.
Die Revision ließ das FG nicht zu.
Dagegen richtet sich die Beschwerde mit der Begründung, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung und zudem weiche das FG von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab und beruhe auch darauf.
Entscheidungsgründe
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
Nach übereinstimmender Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte führt nicht jeder Fehler bei der Anwendung eines senatsinternen Geschäftsverteilungsplans zur nicht ordnungsmäßigen Besetzung des Gerichts und damit zu einem Verfahrensmangel i.S. der §§ 116 Abs. 1 Nr. 1, 119 Nr. 1 FGO und § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO; dies ist vielmehr nur bei einer mißbräuchlichen oder willkürlichen Handhabung des Geschäftsverteilungsplans der Fall (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. November 1988 VIII R 5/88, BFH/NV 1989, 517; vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252, jeweils m.w.N.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorlagebeschluß des X.Senats des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 30. März 1993 X ZR 51/92 (Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1993, 1596), auch wenn man der dort vertretenen Auffassung folgt. In dem Vorlagebeschluß wird nämlich daran festgehalten, daß nicht jede Fehlbesetzung des Gerichts zur Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO führen könne. Die Ausführungen des X.Senats, es komme nur auf das objektive Vorliegen eines gerügten Mangels an, beschränken sich auf die Anforderungen, die § 21g Abs. 2 GVG an den senatsinternen Geschäftsverteilungsplan stellt.
Geklärt ist durch ständige Rechtsprechung ferner, daß es zum schlüssigen Vortrag eines Verfahrensmangels gehört, die Tatsachen vorzutragen, die, ihre Wahrheit unterstellt, den behaupteten Verfahrensmangel ergeben (vgl. BFH in BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252 m.w.N.). Dies gilt auch bei der Rüge der Nichtbeachtung eines senatsinternen Geschäftsverteilungsplans im Einzelfall (vgl. BFH-Beschluß vom 5. März 1970 V R 135/68, BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384).
Zur Rüge nicht ordnungsmäßiger Besetzung des Gerichts gehörte somit im Streitfall, daß Tatsachen vorgetragen werden, die die Mitwirkung der Richterin C anstelle der Richterin D als mißbräuchlich oder willkürlich erscheinen lassen. Dieser Vortrag hätte mit der Nichtigkeitsklage erfolgen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Es wurde nämich lediglich vorgetragen, statt der geschäftsplanmäßig berufenen Richterin D habe die Richterin C mitgewirkt. Der weitere Vortrag hierzu in der Nichtzulassungsbeschwerde ist für die Entscheidung durch den Senat ohne Bedeutung. Im Revisionsverfahren müßte er nämlich als Vortrag neuer Tatsachen unberücksichtigt bleiben (§ 118 Abs. 2 FGO).
So ergibt sich, daß nach den Grundsätzen langjähriger Rechtsprechung die Revision, würde sie zugelassen, als unbegründet zurückgewiesen werden müßte. Bei dieser Sach- und Rechtslage ist ein Interesse der Allgemeinheit daran, daß der BFH sich mit dem Streitfall befaßt, nicht erkennbar.
2. Das FG weicht auch nicht von einer Entscheidung des BFH ab (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
Eine Abweichung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist nur gegeben, wenn das FG-Urteil einen die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz enthält, der von einem ebenfalls entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz einer BFH-Entscheidung abweicht (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Tz. 58 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.
Tragender Rechtssatz für die Entscheidung in BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252 ist der Satz, daß nicht jeder Fehler bei Anwendung eines (an sich ordnungsmäßigen) Geschäftsverteilungsplans und somit auch nicht jeder dem Geschäftsverteilungsplan selbst anhaftende Mangel ein Verfahrensfehler i.S. der §§ 116 Abs. 1 Nr. 1, 119 Nr. 1 FGO und § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist, sondern nur ein Mangel, der sich gleichzeitig als Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes darstellt.
Demgegenüber beruht das FG-Urteil auf den Rechtssätzen, daß die Unterlassung der Revisionseinlegung der Erhebung der Nichtigkeitsklage entgegensteht (§ 579 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 134 FGO) und daß die Kläger sich nicht darauf berufen können, ihrem Prozeßbevollmächtigten sei das Vorhandensein von Regeln über die senatsinterne Geschäftsverteilung nicht bekannt gewesen. Diese Rechtssätze stehen nicht in Widerspruch zueinander. Der Rechtssatz, auf dem die BFH-Entscheidung beruht, bezieht sich auf die Frage, welcher Art ein Besetzungsmangel sein muß, um das Gericht als nicht ordnungsmäßig besetzt erscheinen zu lassen. Der Rechtssatz, auf dem das FG-Urteil beruht, bezieht sich demgegenüber auf die Frage, ob ein Mangel im Nichtigkeitsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden kann, weil er mit der zulassungsfreien Revision im Revisionsverfahren hätte geltend gemacht werden können.
Fundstellen